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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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gegen mich?“ fragte er noch leiſer als bisher, doch leb-
haft und eindringlich.
Kühl erhob ſie den Blick. „Welche Frage! Ich
achte und ehre Dich als einen nahen Verwandten,
meiner ſeligen Mutter leiblichen Bruder.“
Der Tanz war eben beendet.
Unmuthig kehrte der Magiſter ihr den Rücken und

Herließ dann die Feſträume. „Um nach der Großmutter

zu ſehen“, wie er einem Verwandten der neuen Schwä-
gerin ſagte. ö
Engelbrechta blickte ihm eine Secunde mit zuſam-
mengebreßten Lippen und finſtern Brauen nach. Dann
warf ſie den Kopf in den Nacken und wandte ſich in
der heiterſten Laune ihren Freundinnen zu. Mit ihnen
ging ſie langſam den Saal hinab, machte ſich dann von
ihnen frei und nahte ſich einer Fenſterbrüſtung, in
welcher die beiden fremden Gäſte ſich befanden, von
denen ſie mit Sigismund geſprochen hatte.
„Du trinkſt zu viel!“ ſagte eben verweiſend der in
einfaches Schwarz gekleidete Magiſter zu dem Herrn
von Kendelitz. ö ö
„Unbeſorgt, gnädiger Herr!“ Die raſche Antwort
war lauter geſprochen, als dem Andern angenehm. Un-
willig winkte er Schweigen und blickte ſich um. Nur
Engelbrechta befand ſich in der Nähe, konnte aber nichts
gehört haben, denn ihre Miene wär völlig unbefangen.
Auch wandte ſie ſich einer hinzutretenden Verwandten
entgegen. Verſtimmt verließ der fremde Magiſter das
Fenſter, eine ſichtliche Verlegenheit niederkämpfend,
blieb Herr von Keudelitz zurück.
Dus Fräulein fand bald einen Vorwand, ſich ihrer
gegenwärtigen Geſellſchafterin zu entledigen und machte
einen Schritt auf Herrn von Keudelitz zu. Er kam ihr
entgegen und verbeugte ſich ungeſchickt, als ſie ihn
freundlich anredete:
„Ich hoffe, es gefällt Euch hier, Herr Ritter.“
Er ſchwur laut, daß es ihm außerordentlich gefalle.
„Daſſelbe darf man wohl nicht von Eurem ge-
lehrten Freunde ſagen? Mich dünkt, er ſieht gelang-
weilt aus.“
Seine grauen Augen blinzelten ſie ſchlau an. „Ge-
langweilt, o bewahre, ſchönes Fräulein! In ſolcher
Geſellſchaft —“
„Eben die Geſellſchaft ſagt dem gnädigen Herrn
vielleicht nicht zu“, flüſterte ſie.
Sein ſchelmiſches Augenblinzeln verwandelte ſich in
den Ausdruck der Verdutztheit. Er antwortete nicht.
Vertraulich legte ſie die Hand auf ſeinen Arm.
„Mich täuſcht Ihr doch nicht, Ihr Herrn. Drum müht
Euch nicht länger, auch vor mir die Mummerei auf-
recht zu erhalten.“ * ö
Er ſtarrte ſie groß an.
Sie flüſterte mit ihrem einnehmenden Lächeln: „Der
gnädige Herr iſt — iſt alſo wirklich —?“ Ihr Blick
enthielt die Aufforderung, durch Nennung des Namens
ihre Vermuthung zu beſtätigen.,
Er hatte ſich indeß ſchon gefaßt.
Ihr, Fräulein?“
„Stellt Euch nur unwiſſend. Ich habe ja ſelbſt ge-

„Von Wem redet

hört, daß Ihr ihn gnädiger Herr nanntet.“
„Ach, Ihr meint den Magiſter“, lachte er. „Im
Scherz, Fraͤulein, in fröhlicher Weinlaune — was thut
man da nicht? Ich heiße Euch Prinzeſfin, wenn's Euch
genehm iſt,“
Sie ſchleuderte ihm einen halb ungeduldigen, halb
zornigen Blick zu.
„Herr von Keudelitz ſcheint Euren Unwillen zu er-
regen, ſchönes Fräulein“, klang eine wohllautende
Stimme hinter ihr.
Haſtig wandte ſie ſich. „Ihr, Herr — Herr —
wie nennt Ihr Euch doch nur?“ fragte ſie erregt.
Forſchend tauchte ſein Blick in den ihrigen. „Rächer
— Magiſter Rächer — zu dienen.“ Er mußte unwill-
kürlich lächeln.
„Ein ſeltſamer Name!“
Eigenthümlich, blitzartig flammte ſein Blick auf.
Doch nur für einen Moment. „So nennt mich beim
Vornamen: Thymo.“
Herr von Keudelitz lachte auf; das Fräulein meinte:
„Ihr wäret kein bloßer Magiſter, ſondern ein Edel ⸗
mann.“
Thymo ſah ſie verwundert an. „Was bringt Euch
auf die Vermuthung?“
Herr von Keudelitz entfernte ſich leiſe.
„Mancherlei, gnädiger Herr.“ Ein Lächeln, gemiſcht
aus Schelmerei und Befriedigung umſpielte ihre Lippen.
„Zumeiſt Euer durchaus adelig Weſen. Sodann aber
meine Beobachtungsgabe. Wollt Ihr mir wohl den
Ring erlauben? Sie deutete auf einen in Gold ge-

faßten, als Siegel geſchnittenen Opal an ſeinem Finger.

Er zuckte leicht zufammen, bot ihr jedoch den Reif
ohne Zögern dar. „Das Wappen des Herrn von Keude-
litz, wie Ihr ſeht, ſchööne Dame. Und auch ſein Ring,
der ihm zu enge geworden, den ich ihm aufbewahren
ſollte und anſteckte, in der Meinung, ihn ſo am ſſicher,
ſten zu bewahren. Ich durfte das immerhin wagen-
da er mich mit ſeiner Freundſchaft beehrt.“
„Dieſe Freundſchaft ehrt vielmehr ihn ſelber“, gab
ſie fein zurück. „An ſeinen Finger paßt der Reif
allerdings nicht!“ fügte ſie muthwillig hinzu. „Wollter
Ihr aber ſagen, was Euer Erſchrecken vorhin be-
deutete?“
Artig verneigte er ſich. „Wenn Ihr es befehlt Fräu-
lein — obſchon ich fürchte, damit Euren Zorn zu er-
regen.“ Sein Auge begegnete dem ihrigen zärtlich,
ja mehr als zärtlich voll Leidenſchaft. „Eure Worte
beweiſen mir, was ich längſt gehört, daß Ihr nämlich
ein ungebührliches Gewicht legt auf adelige Geburt
und — das zerriß mir das Herz. Euch gilt der Mann
nichts, nichts ſeine perſönliche Begabung, nichts ſogar
ſeine Ergebenheit für Euch. Ihr ſeht nur auf ſeine
Stellung, ſeinen Nang, auf den bloßen äußerlichen
Schein.“ Sein ganzes Weſen war verändert, heftig,
bitter!
Stolz und Schalkheit, Unmuth nnd Heiterkeit kämpf-
ten in ihrem Innern. „Ihr fallt aus der Rolle“, ſagte
ſie endlich. „Ein Magiſter würde es ſchwerlich wagen,
mir das zu ſagen.“
 
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