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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 1- Nr. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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„Und warum nicht, wenn der Magiſter Urſache da-
zu hat? Danke ich Eure Huld und Freundlichkeit dem
Umſtande, daß ihr mich irrthümlich für mehr hieltet,
als ich bin, ſo danke ich in Wahrheit dafür und —
beklage Euch, Dame!“
Wieder verneigte er ſich höflich, doch voll ſpötti-

ſcher Höflichkeit.

Sie war ſprachlos.
Er hatte ſich dem Saale zugekehrt, wandte ſich je-
doch wieder raſch zu ihr. „Wolltet Ihr mir wohl eine
Frage geſtatten?“
Der Ton klang ganz anders, als ſie ihn bisher ver-
nommen und die Neugierde behielt die Oberhand über
jede ihrer andern Empfindungen. „Was wollt Ihr
wiſſen?“
„Wer iſt jenes Mädchen dort, zwiſchen den Zu-
ſchauern an der Thür? Die Blonde mit der einfachen,
ſchwarzen Haube und dem Geſicht, das einen Maler zu
einer Madonna begeiſtern könnte. Mit welch' lieb-
lichem Erröthen ſie die Wimpern ſenkt, da ſie ge⸗—
wahrte, daß wir von ihr reden!“
„Wir? Engelbrechta hatte ihm einen Zornblick
zugeworfen, den er jedoch nicht beachtete nud ſprach
ſpöttiſch weiter: „Mich dünkt, Ihr allein redet von
der Handwerkertochter; fragt ſie doch ſelber nach Ihrem
Namen. Oder erkundigt Euch bei meinem lieben Oheim
Sigismund, der, wie ich glaube, die Mädchen dort in
den Saal brachte und — beiläufig geſagt, durch dies
Geſicht auch begeiſtert zu ſein ſcheint, obgleich er ke in
Maler iſt, ſondern auch ein Magiſter. Es mag eben
in der Magiſterwürde ſtecken.“
Seine ganze Seele lag in dem Blick, den Thymo
auf Benigna richtete. „Jeder Mann, Dame, ſei er
auch thöricht und leichtfertig, huldigt der lieblichen De-
muth und ſittſamen Holdſeligkeit des Weibes, wie je⸗—
den Mann weibliche Hoffarth empört.“
ſich und machte den andern Platz, die ſie zu ſprechen
wünſchten. ö
Verächtlich hatte ihre Lippe ſich gekräuſelt. Sie
mühte ſich, heiter, unbefangen zu plaudern; es gelang
indeß kaum, ihre Aufregung zu verbergen.
Auch andere Augen, als die des Fremden, mußten
wohlgefällig auf der hohen ſchlanken Geſtalt der Leine-
webertochter ruhen. Zwar kontraſtirte dieſelbe auf das
Schneidenſte mit dem glänzenden Putz rings. Ihr Rock
von dunkelblauem Vierdraht, ziemlich grobem Wollen-
zeug, nach Vorſchrift der Kleiderordnung mit einer
viertel Elle Sammet verbrämt, doch ſo zierlich geſchürzt,
wie das der reichſten Dame. Das ſchwarze „Kittlichen“
nicht mit weiten Aermeln, obwohl dieſe nur den Mäg-
den und Bäuerinnen zu tragen verboten, den Hand-
werkertöchtern aber geſtattet waren; ſo feſt, wie bei
verheiratheten Frauen, welche damals die bloßen Arme
nicht ſehen laſſen durften, ſchloß ſich der Aermel um
die Hand, hatte nur um den Ellenbogen einen kleinen,
zierlichen Puff. Ebenſo war das ſchwarze Bruſtlatz
nur von, ſchwarzem Tſchamlott, ohne jegliche „Ver-
zänkelung.“ Allein es ſchien, gerade dieſe Einfachheit
hebe das prächtige Ebenmaß des Wuchſes um ſo mehr

Tief neigte er ö

hervor. Am Halſe ward das ſelbſtgeſponnene feine

Leinenhemde ſichtbar, der einzige Luxus in ihrer Klei-

dung, doch ein großer Luxus zu jener Zeit.
(Fortſetzung folgi.)

Vermiſchtes.

(Thomas ein Dentſcher.) Ueber den Ameri-
kaner Thomas ſchreibt ein Bewohner Dresdens, Hr.
K., den „Dresdener Nachrichten“: „Ueber die wahre
Nationalität des berüchtigten Thomas wird vielfach ge-
ſtritten. Es haben ſich ſogar einige Zeitungen hin-
reißen laſſen, bei Gelegenheit dieſes ſchrecklichen Ver-
brechens Schmähungen auf die amerikanifche Nation
laut werden zu laſſen. Ich glaube, ich bin in der Lage,
hierüber einige Aufklärungen geben zu können, und
darf ich hiermit im Intereſſe unſerer wahrheitslieben-
den deutſchen Nation nicht zurückhalten. Ich eriaube
mir daher, Ihnen Folgendes über Thomas mitzuthei-
len: Schon ſein Name ſagt, daß er nicht amerikani-
ſcher Abſtammung iſt. Thomas iſt meines Wiſſens im
Jahre 1838 oder 1840 in der kleinen Stadt Bocholt
in Weſtfalen geboren. Kaum zwei Jahre alt, fiedelten
ſeine Eltern nach Amerika über, wo ſein Vater in
einer Vorſtadt Neuyorks, ich glaube in Brooklyn, eine
nicht unbedeutende Wagenfabrik beſaß, um ſpäter als
Direktor einer amerlkaniſchen Eiſenbahn thätig zu ſein.
Thomas' Mutter ſtarb bald nach der Ueberſiedelung;
darauf heirathete ſein Vater eine Amerikanerin. Ich

Jlernte William Thomas im Jahre 1852 in Osnabrück

kennen, wo wir Beide die bekannte Nölle'ſche Handels-
ſchule beſuchten. Thomas war noch mit zwei amerika-
niſchen Vettern (von Mutterſeite), Namens Robinſon,
dort. Lange Zeit hatte ich nichts von Thomas wieder
gehört; ich ſchlug die landwirthſchaftliche Carriere ein,
und er war nach Amerika zurückgekehrt. Als ich im
Jahre 1869 nach Osnabrück kam, theilte mir der jetzt
verſtorbene Direktor Nölle über Thomas mit, daß die-
ſer (während des Krieges) zum Verräther an ſeinem
Adoptiv⸗Vaterlande geworden, und zwar ſei er mit einem
andern Deutſchen, Namens von Harthauſen, mit einem
Theile des Trains zum Süden übergetreten. Ich hatte
dieſe Angelegenheit, da ich für Thomas kein beſon-
deres Intereſſe fühlte, bald vergeſſen. Dieſen Sommer
unterhielt ich mich längere Zeit in der Kneiſt'ſchen
Bierſtube mit einem Herrn, welcher gerade nicht ſehr
gut der deutſchen Sprache mächtig war, und nach lan-
gem Hin⸗ und Herfragen erkannten wir in uns alte
Mitſchüler. Ich kam jetzt häufiger mit Thomas in der
Kneiſt'ſchen Bierſtube zuſammen; in ſeiner Wohnung
bin ich nie geweſen, wohl aber einige Mal mit ſeiner
Frau und dem älteſten Kinde auf der Brühl'ſchen Ter-
raſſe zuſammengekommen. Seit vielleicht zwei Mona-
ten habe ich von Thomas nichts geſehen und gehört.
Er hatte mir geſagt, er beabſichtige im April des näch-
ſten Jahres wieder nach Amerika zu reiſen und ich
hatte angenommen, daß er ſeinen Plan ſchon früher
zur Ausführung gebracht.“
 
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