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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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Heidelberger Vollksblatt.

Samſtag, den 19. Februar 1876.

9. Jahrg.

v. W I

irſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleg er, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.

(Fortſetzung.)

Er wollte ſehen, daß wirklich nicht Menſchenhände
arbeiteten und ſchlich die Stiegen hinab — ohne Licht.
Benigna folgte. Als ſie unten angelangt waren, ver-
ſtummte plötzlich das Hämmern — wie öfters, wenn
man es gerade hören wollte. Daſür ertönten draußen
heftige Schläge gegen die Thür.
„Aufgemacht, Meiſter Schmied, aufgemacht“, hieß es.
„Ich bin der Zirkelmeiſter. Wir wollen nur ſehen, ob
ſich bei Eurer Abweſenheit nicht ein unerbeteuer Gaſt in
die verlaſſene Schmiede geſchlichen hat.“
Thymo drückte, von einem übermüthigen Gedanken
durchblitzt, die Hand Benigna's und flüſterte einige Worte.
Sie fürchtete zwar, das Wageſtück werde nicht gelingen,
wußte aber nichts Beſſeres. Jedenfalls mußte, koſte es
auch, was es wolle, der Verſuch gemacht werden, ihn
zu retten durch ferneres Verbergen. Sie huſchte die
Treppe hinauf, holte eben ſo raſch ihr Lämpchen herunter
und oͤffnete dann.
„Die Jungfrau noch wach?“ ſchmunzelte der Zirkel-
meiſter, der Anführer der Stadtknechte. Es ſiel nicht
auf; — Benigna war als fleißige Spinnerin bekannt —
ihr Lämpchen erloſch meiſt erſt gegen Mitternacht.
„Was wollt Ihr ?“ fragte ſie zitternd.
Auch dieſes Zittern fiel nicht auf — die Ueberraſch-
ung, der Schrecken mochte es veranlaſſen. „Keine Furcht,
liebes Kind“, beruhigte er wohlwollend. Wußte man doch,
daß die Familie Engernſtein große Stücke auf die Ker-
belins, Mutter und Tochter hielt. „Ein frecher Bube,
ein Abenteurer und Jungfrauenräuber iſt ſpurlos ver-
ſchwunden hier in dieſer Gegend des Obermarkts. Alle
Häuſer der Nachbarſchaft haben wir durchſucht. Zu den
Thoren kann er nicht hinaus, könnte ſich alſo vielleicht
in die Schmiede geſchlichen haben, da dieſen Abend hier
Niemand arbeitete und —“

Betreten verſtummte er. Jetzt arbeitete Jemand

hier. Laut, deutlich erklang Hammerſchlag auf Hammer-

ſchlag, erſt langſam, dann raſch und raſcher auf ein-
ander folgend. Der Spuk, den Jedermann wohl kannte,
der den Stadtdienern die Haare zu Berge trieb und auch
ihren Anführer höchlich entſetzte! Zu ſehen war nichts.

Und doch — da vor dem Haufen Handwerksgeräth
altem Eiſen und dergleichen im finſtern Hintergrunde
der Schmiede bewegt ſich etwas. Das Lampenlicht, wie
der von draußen hereinfallende Schein der Fackeln, welche
die Diener der Obrigkeit mitbrachten, beleuchtet nur den
Vordergrund. „Da iſt er!“ flüftert der Zirkelmeiſt er
und will ſeine Leute voranſchicken, den Verbrecher zu
fangen, wenn er es etwa wirklich ſein ſollte. Doch die
Stadtdiener haben zum Vorgehen eben ſo wenig Luſt,
wie er ſelber — zögernd bleiben ſie ſtehen. Und jetzt
tritt es — oder er — mehr in den Lichtkreis hervor.
Der Junker, den Niemand zu dieſer Stunde, an dieſem
unheimlichen Orte, bei ſeinem Namen zu nennen wagt,
ſteht leibhaftig da — mit der rothen Feder am Hut,
vor dem letzteren, über der ſcheußlichen Fratze, die ſein
Geſicht bildet, jene verrätheriſchen Auswüchſe, die Hörner.
„Alle guten Geiſter!“ ſtammelt der Beherzeſte der Schaar
ſchüchtern. Im nächſten Augenblick, als der Junker vor-
zuſchreiten Miene macht, drängen und ſtürzen die Män-
ner hinaus, in paniſchem Schrecken des Mädchens ver-
geſſend, das ſie ſolchergeſtalt allein bet dem Gottſeibei-
uns, dem Junker Voland, zurückließen. ö
Ein lautes Gelächter hallte ihnen nach, das wahr-
haft hölliſch klang. ö ö
Der Schmied im erſten Geſtock war nicht erwacht,
er ſchlief den Schlaf der Gerechten nach dem luſtigen
Faſchiugsabend.

9.

Am andern Morgen befand ſich die Stadt in leb-
hafter Aufregung durch das, was wirklich geſchehen, noch
mehr aber durch die abenteuerlichen Gerüchte, die ſich
daran knüpften, erzählt und auch geglaubt wurden, mochte
ihre Unglaubwürdigkeit auch ſofort in's Auge ſpringen.
Katharina kam herauf, ſie ihren Hausgenoſſinen zu
berichten. Bisher hatten wohl Wegelagerer die Land-
ſtraßen beunruhigt — es war indeß ſtets kurzer Prozeß
mit ihnen gemacht worden, namentlich in Görlitz, der
vornehmſten der ſogenannten Sechsſtädte. Sie wurden,
ſelbſt wenn ſie zun Adel gehörten, „gerechtfertigt“, wie
man es damals nannte. Geſtern Abend waren noch ge-
fährlichere Stegriefritter entdeckt worden — Leute, die

ſich nicht mit einem gewoͤhnlichen Straßenraub begnügten,
ſondern es auf — Jungfrauen abgeſehen hatten.

Eine
der vornehmſten war fortgeſchleppt worden von der Thür
ihrer Freundin bis zum Thor. Wie das möglich bi
 
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