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der Belebtheit der Gaſſen, darüber zerbrach man nicht
den Kopf. Es bewies eben die an's Fabelhafte gren-
zende Verwegenheit und Gewandtheit der Verbrecher. Durch
eine wunderbare Fügung hatte gerade ihr Verwandter
die Geraubte befreit, gerettet, dabei aber ſein eigenes
Leben eingebüßt, denn der Phyſikus gab keine Hoffnung
für ſein Aufkommen. Das war das Natürlichſte bei der
Sache — ein Wunder ſchien es nur, daß der junge
Mann nicht auf der Stelle getödtet wurde, da er mit
ſtieben Feinden, und mit ſolchen Feinden, gekämpft
hatte. ö ö
Dieſe Schaar oder wenigſtens ihr Anführer ſtand
mit dem Teufel im Bunde, wie der Leibhaftige in der
guten Stadt einmal wieder ſehr ſtark ſeine bölliſche
Macht offenbarte. War er doch den Dienern des Rathes
mit einem ganzen Gefolge von Höllengeiſtern in der
Werkſtätte des Nachtſchmieds erſchienen, Schwefelflammen
auf ſie ſpeiend, ſo daß nur ihre frommen Sprüche ſie
davor bewahrt, bei lebendigem Leibe im Feuer aufzu-
gehen!
Der gefährliche Hauptmann des Bundes ſollte ſich
noch in der Stadt befinten. Zum großen Entſetzen
mancher — nicht aller — hübſchen Jungfrauen und
ihrer beſorgten Angehörigen. Man hatte ihn als den
Fremden erkannt, der auf Wenzel Engernfteins Hochzeit
die ſchöne Benigna Kerbelin zu einem Ehrentanze auf-
gezogen und männiglich verwunderte ſich, warum er
nicht auch gleich dieſe in ſeine Gewalt zu bekommen
verſucht, zumal ſein Benehmen in und nach der Kirche
nicht unbeachtet und unbeſprochen geblieben. Aber fie
war eben ſo fromm und ſittſam, daß ihr der Böſe ſelber
nichts anzuhaben vermochte, eine Auffaſſung, welche ge-
rade kein Kompliment für Engelbrechta emhielt. Dem
jungen Mann, der ſich Magiſter Thymo Rächer genannt,
ſagte man die erſtaunlichſten Dinge nach. So hatte er
z. B. dem Edlen von Keudelitz einen Liebeszauber an-
gethan, ſonſt hätte derſelbe ihm doch nicht ſeine Freund-
ſchaft ſchenken können.
Die Berichterſtatterin — Käthe — ſchüttelte bei
einem Theil ihrer Reden den Kopf und erläuterte dieſe
Geberde im Flüſterton gegen Benigna: „Ich denke,
die Geſchichte hängt mit der Abweiſung des Junkers
auf Dahlenburg zuſammen. Das war ein Streich von
daher — gieb Acht, ob ich nicht Recht habe.“
Frau Kerbelin, das Haupt mit ihrer größten Nacht-
haube verhüllt, lag zu Bett — krank. Ihr erzählte
Käthe dergleichen nicht — ſie ärgerte ſich ſtets, wenn
etwas geſagt ward, das ihren einſtigen Pflegling im
Entfernteſten herabſetzte.
geſehen, der ſich plötzlich in dem Geſicht der Kranken,
die ihre Worte doch aufgefangen hatte, kundgab — ſie
würde ſich gewundert haben. Noch mehr hätte ſie ſich
freilich über dieſes Geſicht ſelbſt gewundert.
„Härme Dich nur nicht allzuſehr — Du ſiehſt ja
ganz elend aus. Deine Mutter wird ſchon wieder beſ-
ſer, war ja öfter krank.“ Damit ſchied Käthe — hatte
heute mehr als ſonſt zu ſchaffen.
Hätte Käthchen den Ausdruck
Zur großen Erleichterung Benignas, die nicht im
Stande geweſen, ihre Reden noch länger anzuhören und
ſich einer wahrhaft auftreibenden Anaſt befand. Nicht
etwa die ſchwere Verwundung des Magiſters ängſtigte
ſie — er war nur leicht beſchädigt worden beim Nie-
derwerfen durch das Pferd und Engelbrechta, obwohl
ſelber leidend, ließ ihm die ſorgſamſte Pflege angedeihen.
Das hatte fie ſchon am frühen Morgen erfahren, als
ſie in das Engeruſtein'ſche Haus eilte und dem Fräulein
ungeſehen den Brief an den Großvater zurückgab. Da-
bei war wenig geſprochen worden — die ſonſt ſo Hoch-
fahrende außerordentlich ſtill, niedergedrückt, faſt demü-
thig, etwas das Benigna rührte, ja wit Schuldbewußtſein
erfüllte. Gewiß ängſtigte ſie ſich um das Schickſal des
jungen Mar nes, der plötzlich auf ſolche Weiſe ein Ge-
genſtand allgemeiner Verfolgung und Abſcheus geworden,
nachdem er vor einigen Tagen durch die Engernſteinſche
Gaſtfreundſchaft geehrt worden und damals jedes Haus
der Stadt ſich ihm bereitwillig geöffnet hätte. Doch
durfte ſie ſeiner gegen die Bekümmerte eben ſo we nig
erwähnen, als gegen ſonſt Jemand und das Schweigen
wurde ihr nicht ſchwer gemacht, da das Fräulein ſeiner
mit keiner Silbe gedachte, überhaupt wenig ſprach, ſie
nur umarmte bei Uebergabe des verhängnißvollen Briefes.
Die Umwandlung ihres Weſens entwaffnete auch
Brechta's Angehörige ſo, daß fie kaum ein Wort über
die Sache fallen ließen und keine Aufklärung darüber
verlangten, wie fie bis an das äußere Thor gekommen
war. Nicht einmal Sigismund that eine Frage, obwohl
ſeinen Blicken ihr Bündel nicht entgangen war. Er hatte
es ſogar aus ihrer widerſtandloſen Hand genommen, um
es unter ſeinem Mantel beſſer zu bergen, als ſie es ver-
mochte. Von Kälte halb erſtarrt, von Gemüthsaufreg-
ung mehr als halb verwirrt, bedurfte ſie hilfreichen Bei-
ſtandes und wurde in einem Seſſel heimgetragen. Sie
fand ſpäter das Päckchen in ihrer Truhe, wohin der
Ohm es unbemerkt gelegt. Die Aufklärung, die ſie ihm
reuevoll geben wollte, wies er zurück mit den Worten:
„Später — gelegentlich; jetzt biſt Du zu angegriffen.“
Und angegriffen war ſie wirklich, daher nahmen auch
die betreffenden Rathsglieder davon Abſtand, ſie ſelber
über die Angelegenheit zu befragen. Das Faktum des
verſuchten Jungfrauenraubes und des Friedensbruches
gegen ihren Beſchützer ſtand feft und der Thäter wurde
noch on demſelben Vormittag in „die Acht — des Rei-
ches Acht und Aberacht —“ erklärt. — ö
Vom Rathsherrn Engernſtein war Benigna nach der
Spukgeſchichte der Nacht befragt worden, die man ihm
gerade bei ihrer Anweſenheit im Hauſe hinterbrachte.
Wie von ſeiner Enkelim das Schweigen, wurde ihr hier
das Reden leicht gemacht. De alte Herr ſetzte voraus,
daß ſie auf das Pochen mit der Lampe herabgekommen
ſei und fragte nur, ob ſie den Teufel auch geſehen habe,
auf deſſen Erſcheinung der Zirkelmeiſter und ſeine Be-
gleiter einen Eid abzulegen bereit waren.
Sie konnte das verneinen. Die zweite Antwort wurde
ihr ſchwerer. Auf die Frage: ob ſie denn gar nichts
der Belebtheit der Gaſſen, darüber zerbrach man nicht
den Kopf. Es bewies eben die an's Fabelhafte gren-
zende Verwegenheit und Gewandtheit der Verbrecher. Durch
eine wunderbare Fügung hatte gerade ihr Verwandter
die Geraubte befreit, gerettet, dabei aber ſein eigenes
Leben eingebüßt, denn der Phyſikus gab keine Hoffnung
für ſein Aufkommen. Das war das Natürlichſte bei der
Sache — ein Wunder ſchien es nur, daß der junge
Mann nicht auf der Stelle getödtet wurde, da er mit
ſtieben Feinden, und mit ſolchen Feinden, gekämpft
hatte. ö ö
Dieſe Schaar oder wenigſtens ihr Anführer ſtand
mit dem Teufel im Bunde, wie der Leibhaftige in der
guten Stadt einmal wieder ſehr ſtark ſeine bölliſche
Macht offenbarte. War er doch den Dienern des Rathes
mit einem ganzen Gefolge von Höllengeiſtern in der
Werkſtätte des Nachtſchmieds erſchienen, Schwefelflammen
auf ſie ſpeiend, ſo daß nur ihre frommen Sprüche ſie
davor bewahrt, bei lebendigem Leibe im Feuer aufzu-
gehen!
Der gefährliche Hauptmann des Bundes ſollte ſich
noch in der Stadt befinten. Zum großen Entſetzen
mancher — nicht aller — hübſchen Jungfrauen und
ihrer beſorgten Angehörigen. Man hatte ihn als den
Fremden erkannt, der auf Wenzel Engernfteins Hochzeit
die ſchöne Benigna Kerbelin zu einem Ehrentanze auf-
gezogen und männiglich verwunderte ſich, warum er
nicht auch gleich dieſe in ſeine Gewalt zu bekommen
verſucht, zumal ſein Benehmen in und nach der Kirche
nicht unbeachtet und unbeſprochen geblieben. Aber fie
war eben ſo fromm und ſittſam, daß ihr der Böſe ſelber
nichts anzuhaben vermochte, eine Auffaſſung, welche ge-
rade kein Kompliment für Engelbrechta emhielt. Dem
jungen Mann, der ſich Magiſter Thymo Rächer genannt,
ſagte man die erſtaunlichſten Dinge nach. So hatte er
z. B. dem Edlen von Keudelitz einen Liebeszauber an-
gethan, ſonſt hätte derſelbe ihm doch nicht ſeine Freund-
ſchaft ſchenken können.
Die Berichterſtatterin — Käthe — ſchüttelte bei
einem Theil ihrer Reden den Kopf und erläuterte dieſe
Geberde im Flüſterton gegen Benigna: „Ich denke,
die Geſchichte hängt mit der Abweiſung des Junkers
auf Dahlenburg zuſammen. Das war ein Streich von
daher — gieb Acht, ob ich nicht Recht habe.“
Frau Kerbelin, das Haupt mit ihrer größten Nacht-
haube verhüllt, lag zu Bett — krank. Ihr erzählte
Käthe dergleichen nicht — ſie ärgerte ſich ſtets, wenn
etwas geſagt ward, das ihren einſtigen Pflegling im
Entfernteſten herabſetzte.
geſehen, der ſich plötzlich in dem Geſicht der Kranken,
die ihre Worte doch aufgefangen hatte, kundgab — ſie
würde ſich gewundert haben. Noch mehr hätte ſie ſich
freilich über dieſes Geſicht ſelbſt gewundert.
„Härme Dich nur nicht allzuſehr — Du ſiehſt ja
ganz elend aus. Deine Mutter wird ſchon wieder beſ-
ſer, war ja öfter krank.“ Damit ſchied Käthe — hatte
heute mehr als ſonſt zu ſchaffen.
Hätte Käthchen den Ausdruck
Zur großen Erleichterung Benignas, die nicht im
Stande geweſen, ihre Reden noch länger anzuhören und
ſich einer wahrhaft auftreibenden Anaſt befand. Nicht
etwa die ſchwere Verwundung des Magiſters ängſtigte
ſie — er war nur leicht beſchädigt worden beim Nie-
derwerfen durch das Pferd und Engelbrechta, obwohl
ſelber leidend, ließ ihm die ſorgſamſte Pflege angedeihen.
Das hatte fie ſchon am frühen Morgen erfahren, als
ſie in das Engeruſtein'ſche Haus eilte und dem Fräulein
ungeſehen den Brief an den Großvater zurückgab. Da-
bei war wenig geſprochen worden — die ſonſt ſo Hoch-
fahrende außerordentlich ſtill, niedergedrückt, faſt demü-
thig, etwas das Benigna rührte, ja wit Schuldbewußtſein
erfüllte. Gewiß ängſtigte ſie ſich um das Schickſal des
jungen Mar nes, der plötzlich auf ſolche Weiſe ein Ge-
genſtand allgemeiner Verfolgung und Abſcheus geworden,
nachdem er vor einigen Tagen durch die Engernſteinſche
Gaſtfreundſchaft geehrt worden und damals jedes Haus
der Stadt ſich ihm bereitwillig geöffnet hätte. Doch
durfte ſie ſeiner gegen die Bekümmerte eben ſo we nig
erwähnen, als gegen ſonſt Jemand und das Schweigen
wurde ihr nicht ſchwer gemacht, da das Fräulein ſeiner
mit keiner Silbe gedachte, überhaupt wenig ſprach, ſie
nur umarmte bei Uebergabe des verhängnißvollen Briefes.
Die Umwandlung ihres Weſens entwaffnete auch
Brechta's Angehörige ſo, daß fie kaum ein Wort über
die Sache fallen ließen und keine Aufklärung darüber
verlangten, wie fie bis an das äußere Thor gekommen
war. Nicht einmal Sigismund that eine Frage, obwohl
ſeinen Blicken ihr Bündel nicht entgangen war. Er hatte
es ſogar aus ihrer widerſtandloſen Hand genommen, um
es unter ſeinem Mantel beſſer zu bergen, als ſie es ver-
mochte. Von Kälte halb erſtarrt, von Gemüthsaufreg-
ung mehr als halb verwirrt, bedurfte ſie hilfreichen Bei-
ſtandes und wurde in einem Seſſel heimgetragen. Sie
fand ſpäter das Päckchen in ihrer Truhe, wohin der
Ohm es unbemerkt gelegt. Die Aufklärung, die ſie ihm
reuevoll geben wollte, wies er zurück mit den Worten:
„Später — gelegentlich; jetzt biſt Du zu angegriffen.“
Und angegriffen war ſie wirklich, daher nahmen auch
die betreffenden Rathsglieder davon Abſtand, ſie ſelber
über die Angelegenheit zu befragen. Das Faktum des
verſuchten Jungfrauenraubes und des Friedensbruches
gegen ihren Beſchützer ſtand feft und der Thäter wurde
noch on demſelben Vormittag in „die Acht — des Rei-
ches Acht und Aberacht —“ erklärt. — ö
Vom Rathsherrn Engernſtein war Benigna nach der
Spukgeſchichte der Nacht befragt worden, die man ihm
gerade bei ihrer Anweſenheit im Hauſe hinterbrachte.
Wie von ſeiner Enkelim das Schweigen, wurde ihr hier
das Reden leicht gemacht. De alte Herr ſetzte voraus,
daß ſie auf das Pochen mit der Lampe herabgekommen
ſei und fragte nur, ob ſie den Teufel auch geſehen habe,
auf deſſen Erſcheinung der Zirkelmeiſter und ſeine Be-
gleiter einen Eid abzulegen bereit waren.
Sie konnte das verneinen. Die zweite Antwort wurde
ihr ſchwerer. Auf die Frage: ob ſie denn gar nichts