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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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erblickt habe, erklärte ſie: „Ja, eine dunkle Geſtalt.
Wer es war, weiß ich nicht.“ Freilich die buchſtäbliche
Wahrheit. Kannte ſie denn dieſen Mann? Er hatte
ihr nicht geſagt, wer er ſei. Daß er ein Gaukler und
Seilſteiger, wie er geſtern angedeutet, glaubte ſie nicht.
Schließlich wollte der Rathsherr noch wiſſen, ob ſie
ſich nicht gefürchtet und was ſte nach Entfernung der
Stadtdiener gethan habe. „Ich eilte die Treppe hinauf
und verriegelte die Stubenthür. Gefürchtet habe ich mich
nicht.“ Jedes Wort koſtete ſie Anſtrengung — war ſie
doch nicht daran gewöhnt, buchſtäblich die Wahrheit zu
ſagen und dennoch zweideutig zu ſprechen. Sie erſchien
ſich als eine große Sünderin und mußte doch nach we-
nigen Augenblicken wirklich lügen, zum erſten Mal in
ihrem Leben. Und gar gegen eine Perſon, die ſie ſo innig
lieb hatte. Die greiſe Bürgermeiſterin ließ ſie an ihr
Bett rufen, ehe ſie heimgehen durfte. ö
Der Rathsherr hatte ſeine Gedanken über die Er-

ſcheinung des Satans; er war überzeugt, es ſei der junge

Verbrecher geweſen, der in der Schmiede ein Aſyl für
die Nacht gefunden. Er ordnete eine ſorgſame Nach-
forſchung in dem berüchtigten Hauſe an, obgleich er da-
ran zweifelte, daß der Geſuchte ſich noch dort befinde.
Benigna hatte das vorausgeſetzt; ſie wußte, daß die
Engernſteins nicht abergläubiſch ſeien, wie die Mehrzahl
der Zeitgenoſſen, hatte ja ſelber in deren Hauſe die Auf-
klärung eingeſogen, die ſie vor jedem anderen Mädchen
ihres Standes auszeichnete — auch vor vielen der höhe-
ren Klaſſen. Darum, und um überhaupt der Entdeck-
ung ſicherer vorzubeugen, war ſie mit ihrem Gaſt über-
eingekommen, daß er die Stelle ihrer Mutter einnehme.
Sie mußte alſo der von ihr ſo hochverehrten Greifin
auf deren Erkundigung nach der Mutter ſagen, dieſelbe
ſei krank. Hätte man ſie ſonſt nicht vielleicht hierher be-
ſcheiden können? ö
Beſchwichtigend ſtrich die Matrone über ihre glühen-
den Wangen. „Aengſtige Dich nicht, Kind — wirf Deine

Sorge auf den Herrn, der es wohl machen und Dich

nicht verlaſſen wird. Ich hatte dieſe Nacht einen ſelt-
ſamen Traum von Dir und von ihr und auch von
meinem Enkelſchwiegerſohn, Brechta's Vater. Denke Dir
— aber es iſt unrecht, ſeine Träume zu erzählen, wenn
die Zuhörerin darüber verſäumt, was ihr zu thun ob-
liegt. Geh, liebes Kind, laß Deine Mutter nicht ſo
lange allein. Der Friede Gottes ſei mit Dir!“

(Fortſetzung folgt.) ö

Vermiſchtes.

(Ueber eine Höllenmaſchine,) durch welche
kürzlich das Leben einer ganzen Familie Lfohrvet war
geht der „Schleſ. Zig.“ unter dem 15. ds. folgende
Mittheilung zu: Ein hieſiger Schloſſerwaarenfabrikant
erhielt geſtern durch die Poſt eine in Ohlau aufgegebene
Holzliſte, welche 32 CEm, laug, 26 Cm. hoch u. 20 Cm.

Zündnadeln angeſchraubt waren.

breit war. Auf den Coupon des Begleitſcheins hatte der
Abſender den jedenfalls fingirten Namen Römer geſchrie-
ben. Der Fabritant, welcher nichts Böſes ahnen konnte,
begann alsbald im Beiſein ſeiner aus 7 Perſonen be-
ſtehenden Familie die Kiſte zu öffnen. Der Deckel war
jedoch ſo feſt genagelt, daß es große Mühe koſtete, den-
ſelben zu lockern. Als der Fabrikant nach vieler Mühe
eine Oeffnung zu Stande gebracht hatte, ſah er zu ſeinem
Erſtaunen, daß aus der Kiſte Pulverkörner herausfielen.
In welchen Schrecken die Familie hierbei gerieth, kanu
man ſich leicht denken. Mit der größten Vorſicht wurde
nun der Deckel langſam abgehoben und nun gewahrte
man in der Kiſte eine Maſchinerte, die derartig con-
ſtruirt war, daß beim plötzlichen Oeffnen und Auf-
brechen des Deckels eine Exploſion erfolgt wäre. Die
Mitte der Kiſte nahm eine mit Schießpulver gefüllte
Blechbüchſe ein, in welcher ſich aber noch 13 große
Zündhütchen befanden, wie dieſelben bei den Bickforth'⸗
ſchen Zündſchnuren zu Dynamitpatronen verwendet wer-
den. An dem oberen Theile der Büchſe war ein Blech-
ſteg eingelöthet, in welchem zwei meſſingene Zündſchrauben
zu Hartgußlanggranaten befeſtigt waren. An dem Deckel
der Kiſte zeigten ſich zwei rechtwinkliche Haken, an denen
Hälte der Fabrikant
die Kiſte mit einem gewaltſamen Ruck aufgebrochen, ſo
würden die Zündnadeln in jene Zündſchrauben einge-
drungen und die Exploſion erfolgt ſein. Da an dem Holz-
deckel der Kiſte gleichzeitig auch der gut ſchließende Deckel
der Bloechbüchſe angebracht war, welcher ſich bei dem all-
mähligen Lockern des Deckels öffnete, ſo verrieth das
heraustriefende Schießpulver den gefährlichen Inhalt der
Kiſte. Die Explofivſtoffe ſind ſolche, wie ſie von Sei-
ten der preußiſchen Marine zum Abfeuern der Geſchütze
in Verwendung kommen. Daß hier ein entſetzlicher Akt
der Rache beabſichtigt worden iſt, dürfte kaum zu be-
zweifeln ſein. Von dem Bedrohten iſt auf die Ermitte-
lung des Abſenders der Kiſte bereits eine Prämie von
450 Mark ausgeſetzt. ö

(G. Darwin) weiſt ſtatiſtiſch nach, daß die Be-
hauptung von der Schädlichkeir und Verwerflichkeit der
blutsverwandten Ehen durch keinerlei Beweisgründe ge-
ſtützt werden kann. Darwin zeigt, daß weder Irrſinnige

noch Taubſtumme öfter aus Geſchwiſterehen, denn aus

anderen entſpringen; ebenſo wenig beruhe die angeblich
hohe Sterblichkeit unter den Kindern von Blutsver-
wandten auf wiſſenſchaftlicher Grundlage. Die Ethnologie
lehre ſchon lange, daß Tugenden und Vorzüge weit mehr
auf Seiten der Racen vorhanden ſeien, die ſich rein er-
halten, während Miſchlingsracen meiftens die Fehler u.
Laſter ihrer Erzeuger ausbilden, aber nicht deren gute
Seiten. Die Natur ſei die ſtärkſte Ariſtokratin, und im
Völkerleben herrſchen die gleichen Geſetze, wie beim In-
dividuum.
 
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