ö Heidelberger Volksblatt.
Nr. 18.
Samſtag, den 4.
März 1876. 9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Es knirſchte, als ſei die Schaufel auf Etwas Hartes
geſtoßen. Sie bückte ſich tiefer und hob ein kleines
Käſtchen auf. „Aber wohin damit? Verbergen kann ich
es nicht — Benigna käme einmal darüber. Thörin
— ich wozu habe ich es denn aufgewühlt? Konnte es
nicht ruhig da liegen bleiben, wo Niemand es findet?
Es vernichten? Nein, das hätte ich ja gleich damals
thun können, als ich es in einer Som nermittagſtunde
hier vergrub. Man weiß nie, wozu man etwas noch
brauchen kann. Und das Blatt, worauf die Hand und
das Auge der Todten in ihren letzten Stunden geruht,
kann ich heute ebenſo wenig vernichten, wie da nals. —
Arme Benigna! Aber es darf nicht ſo bleiben. Er —
ihr Vater ſoll etwas für ſte thun. Weigern wird er es
mir nicht. — So — ich habe mich nun doch überzeugt,
daß es noch da iſt und bin viel ruhiger geworden. Nun
merkt Niemand, daß hier die Schaufel gehandhabt wurde.
Bah, wer ſollte es auch merken — hierher verirrt fich
ja nicht leicht ein menſchliches Weſen.“ Sie trat die
Erde feſt, legte einige Steinedarauf und ſtreute zu-
ſammengeraffte Blätter darüber, wobei ſie auf dem Bo-
den kauerte. Ehe ſie ſich noch aufrichtete, erhoben ſich
Töne, die ein abergläubiſches Gꝛmüth zu dieſer Stunde,
hier, wo die Geiſter der „ehemaligen Burgbewohner um-
gehen ſollten für Spuf gehalten hätte. Pferdewiehern
hinter dem Gemäuer, welches ein noch ſtehendes Thurm-
gemach umſchloß. Die Feau ſchien indeß zu ſehr mit
ſich ſelber beſchäftigt), um dieſe Laute zu beachten; ſie
beendete ihre Arbein und entfernte ſich ſtill und langſam,
wie ſie gekommen war.
Nach ihrer Entfernung erſt löſte ſich die Geſtalt von
der Linde. „Was bedeutete denn das?“ fragte ſich
Thymo. „Ich hätte ſte aufhalten, ihr einen Gruß an
Benigna mitgeſzen ſollen! — Doch wozu?“
Es wurde / lebendig hinter der alten, halbzerbröckelten
Mauer. 's Stimme rief beſtürzt den Namen ſeines
Herrn. ſſer trat in den Raum, welcher einigen Men-
ſchen und Roſſen als Nachtquartier diente.
„Ihr twart ſchon dranßen!“ ſagte Joſt erleichtert.
„Ich erſchkack, als ich Eure Decke leer fand.“ Er blies.
das Feuer an, welches vom vorigen Abend her noch
unter der Aſche glienmte, bei deſſen Schein Zurüſtungen
zum Aufbruch getroff en warden.
Thymo trieb zur Eile. Die Leute entfernten ſich
bald, um Kundſchaft einzuziehen und Nahrungsmittel zu
holen — er blieb allein zurück. ö
Nun begab er ſich zu der Linde, nahm aus der Höͤh⸗
lung im Stamm derſelben einen Geldbeutel und ſteckte
etwas von deſſen Jahalt zu ſich, worauf er ihn wieder
in ſeinen Verſteck that, den er zufällig entdeckt und nicht
einmal Joſt mitgetheilt hatte. Seine Gedanken verweil-
ten noch immer bei der Kerbelin und dem, was ſie ver-
baͤrg. Vom Schlaf gemieden, hatte er hier geſtanden,
als die dunkle Geſtalt heranſchlich. Daß es ein Weib
ſei, ließ ihn das nächtliche Däm werlicht ſogleich erken-
nen — er fürchtete alſo nicht Verrätherei, ihr ſeltſames
Treiben erregte nur ſeine Neugierde. An der Stimme
erkannte er dann die Frau, welch: ihn an jenem Sonn-
tag angeſpꝛybchen hatte — Benigna's Mutter. Um ſie
nicht zu erſchrecken, trat er nicht hervor und bald er-
regten ihre Reden ſeine geſpannteſte Aufmerkſamkeit.
„Ich muß wiſſen, was das bedeutet — es bezieht ſich
ja auf ſie — will wenizſtens ſehen, was hier liegt.“
Bei dieſen Worten lockerte er ſchon mit ſeinem
Schwert die Erde und warf ſie dann mit den Händen
heraus. Die Stelle war nicht zu verfehlen — das Erd-
reich loſer, als rings umher. Er gewahrte bei der Be-
ſchäftizung nicht, daß der Tag hereinbrach.
Nach einiger Zeit ſtieß er auf das Käſt hen, zog es
heraus und betrachtete es im zunnehmenden Morgenlicht.
Es war zierlich von Eiſen gearbeitet, doch vom Roſt
ſehr angegriffen. Allein das Wappen auf dem Deckel
ließ ſich noch deutlich unterſcheiden und — er kannte es
nur allzuwohl. „Dis Vohtalſche!“ rief er aus, während
das Käſtchen ſeiner Hand entglitt und klirrend auf einen
Stein fiel.
Das Schloß war dabei aufgeſprungen. Ein Perga-
mentblatt lag offen vor ſeinen Augen in dem Tuchfutter
des ehemaligen Schmuckbehälters. Selbſtverſtän dlich nahm
er Kenntniß von deſſen Inhalt.
Es war ein Brief, den die Tochter Kunz Enzern-
ſteins, Eagelbrechta's Mutter, kurz vor ihrem Tode ge-
ſchrieben hatte, worin ſie ihren Eitern ihr Kind empfahl,
das Elſabe Kerbelin ihnen mit dieſem Schreiben über-
bringen werde. Eine Stelle machte ihn ſtutzig, nach-
denklich, aufgeregt! Eine Vermuthunz blitzte in ihm auf,
Nr. 18.
Samſtag, den 4.
März 1876. 9. Jahrg.
Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf Einzelne Nummer à 6 Pf. Man abonnirt beim Verleger, Schiffgaſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Aus dunkler Zeit.
Sittenbild von Marie von Roskowska.
(Fortſetzung.)
Es knirſchte, als ſei die Schaufel auf Etwas Hartes
geſtoßen. Sie bückte ſich tiefer und hob ein kleines
Käſtchen auf. „Aber wohin damit? Verbergen kann ich
es nicht — Benigna käme einmal darüber. Thörin
— ich wozu habe ich es denn aufgewühlt? Konnte es
nicht ruhig da liegen bleiben, wo Niemand es findet?
Es vernichten? Nein, das hätte ich ja gleich damals
thun können, als ich es in einer Som nermittagſtunde
hier vergrub. Man weiß nie, wozu man etwas noch
brauchen kann. Und das Blatt, worauf die Hand und
das Auge der Todten in ihren letzten Stunden geruht,
kann ich heute ebenſo wenig vernichten, wie da nals. —
Arme Benigna! Aber es darf nicht ſo bleiben. Er —
ihr Vater ſoll etwas für ſte thun. Weigern wird er es
mir nicht. — So — ich habe mich nun doch überzeugt,
daß es noch da iſt und bin viel ruhiger geworden. Nun
merkt Niemand, daß hier die Schaufel gehandhabt wurde.
Bah, wer ſollte es auch merken — hierher verirrt fich
ja nicht leicht ein menſchliches Weſen.“ Sie trat die
Erde feſt, legte einige Steinedarauf und ſtreute zu-
ſammengeraffte Blätter darüber, wobei ſie auf dem Bo-
den kauerte. Ehe ſie ſich noch aufrichtete, erhoben ſich
Töne, die ein abergläubiſches Gꝛmüth zu dieſer Stunde,
hier, wo die Geiſter der „ehemaligen Burgbewohner um-
gehen ſollten für Spuf gehalten hätte. Pferdewiehern
hinter dem Gemäuer, welches ein noch ſtehendes Thurm-
gemach umſchloß. Die Feau ſchien indeß zu ſehr mit
ſich ſelber beſchäftigt), um dieſe Laute zu beachten; ſie
beendete ihre Arbein und entfernte ſich ſtill und langſam,
wie ſie gekommen war.
Nach ihrer Entfernung erſt löſte ſich die Geſtalt von
der Linde. „Was bedeutete denn das?“ fragte ſich
Thymo. „Ich hätte ſte aufhalten, ihr einen Gruß an
Benigna mitgeſzen ſollen! — Doch wozu?“
Es wurde / lebendig hinter der alten, halbzerbröckelten
Mauer. 's Stimme rief beſtürzt den Namen ſeines
Herrn. ſſer trat in den Raum, welcher einigen Men-
ſchen und Roſſen als Nachtquartier diente.
„Ihr twart ſchon dranßen!“ ſagte Joſt erleichtert.
„Ich erſchkack, als ich Eure Decke leer fand.“ Er blies.
das Feuer an, welches vom vorigen Abend her noch
unter der Aſche glienmte, bei deſſen Schein Zurüſtungen
zum Aufbruch getroff en warden.
Thymo trieb zur Eile. Die Leute entfernten ſich
bald, um Kundſchaft einzuziehen und Nahrungsmittel zu
holen — er blieb allein zurück. ö
Nun begab er ſich zu der Linde, nahm aus der Höͤh⸗
lung im Stamm derſelben einen Geldbeutel und ſteckte
etwas von deſſen Jahalt zu ſich, worauf er ihn wieder
in ſeinen Verſteck that, den er zufällig entdeckt und nicht
einmal Joſt mitgetheilt hatte. Seine Gedanken verweil-
ten noch immer bei der Kerbelin und dem, was ſie ver-
baͤrg. Vom Schlaf gemieden, hatte er hier geſtanden,
als die dunkle Geſtalt heranſchlich. Daß es ein Weib
ſei, ließ ihn das nächtliche Däm werlicht ſogleich erken-
nen — er fürchtete alſo nicht Verrätherei, ihr ſeltſames
Treiben erregte nur ſeine Neugierde. An der Stimme
erkannte er dann die Frau, welch: ihn an jenem Sonn-
tag angeſpꝛybchen hatte — Benigna's Mutter. Um ſie
nicht zu erſchrecken, trat er nicht hervor und bald er-
regten ihre Reden ſeine geſpannteſte Aufmerkſamkeit.
„Ich muß wiſſen, was das bedeutet — es bezieht ſich
ja auf ſie — will wenizſtens ſehen, was hier liegt.“
Bei dieſen Worten lockerte er ſchon mit ſeinem
Schwert die Erde und warf ſie dann mit den Händen
heraus. Die Stelle war nicht zu verfehlen — das Erd-
reich loſer, als rings umher. Er gewahrte bei der Be-
ſchäftizung nicht, daß der Tag hereinbrach.
Nach einiger Zeit ſtieß er auf das Käſt hen, zog es
heraus und betrachtete es im zunnehmenden Morgenlicht.
Es war zierlich von Eiſen gearbeitet, doch vom Roſt
ſehr angegriffen. Allein das Wappen auf dem Deckel
ließ ſich noch deutlich unterſcheiden und — er kannte es
nur allzuwohl. „Dis Vohtalſche!“ rief er aus, während
das Käſtchen ſeiner Hand entglitt und klirrend auf einen
Stein fiel.
Das Schloß war dabei aufgeſprungen. Ein Perga-
mentblatt lag offen vor ſeinen Augen in dem Tuchfutter
des ehemaligen Schmuckbehälters. Selbſtverſtän dlich nahm
er Kenntniß von deſſen Inhalt.
Es war ein Brief, den die Tochter Kunz Enzern-
ſteins, Eagelbrechta's Mutter, kurz vor ihrem Tode ge-
ſchrieben hatte, worin ſie ihren Eitern ihr Kind empfahl,
das Elſabe Kerbelin ihnen mit dieſem Schreiben über-
bringen werde. Eine Stelle machte ihn ſtutzig, nach-
denklich, aufgeregt! Eine Vermuthunz blitzte in ihm auf,