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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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103

Flech hätte nicht gewagt, es zu verbieten. Er begnügte
ſich damit, bei einigen gutmüthigen gleichgeſtimmten See-
len, Frauen und alten Mädchen, die die unerblttliche
Zeit über dieſe Verſuchung hinweggetragen hatte und die
nicht ohne Neid die jüngere Generation ſich einem Ver-
gnügen hingeben ſahen, das ſie ſelber nicht mehr genie-
ßen konnten, ſich über die Verderbniß der Welt auszu-
ſprechen und ſeinem bekümmerten Herzen Luſt zu machen.
ö Fortſetzung folgt.)

Die Frauen und das Trinken.
Eine kulturgeſchichtliche Seizze von R. D.
(Fortſetzung.)

Konnte der Dichter ſolche Verſe ſchreiben, wenn die
franzöſiſchen Damen nicht bisweilen einen Liter oder
zwei zuviel getrunken hätten? — Um rothwangig zu
werden, hielt man es für gut, recht ſtark und kräftig
zu frühſtücken; aber auch der Wein galt als Mittel, eine
blühende Gefichtsfarbe zu erlangen.
An vielen Orten wurden Trinkſtuben und Rathskeller
nicht blos von Männern, ſondern auch von Perſonen
weiblichen Geſchlechts beſucht, welche, das Geſicht im
Schleier bergend, das liebe Weiaſtübchen aufſuchten, wo
ihrer neben Bacchus häufig auch Amor gewartet haben
ſoll — eine recht ſchlimme Nachrede, unter der beſon-
ders die ſchönen Lübeckerinnen des Mittelalters zu lei-
den hatten. Das Stadtrecht von Zittau enthält über
dieſen Punkt nachſtehende Vorſchrift: „Es ſollen ſich
auch die Weiber, die vielleicht Kellermeuſe genandt wer-
den, in den Kellern hinfordern nitt begriffen laſſen, Bier
dort inne zu trinken, bei Straff des Rads.“ Im An-
ſchluſſe hieran ſei der Stadtordnung von Münnerſtadt
vom Jahre 1527 gedacht, in welcher ſich eine Beftim-
mung über das Zutrinken findet, das mit Nachdruck allen
Unterthanen und Verwandten, Frauen und Männern
unterſagt ward, „um den grauſamen Zorn Gottes, der
durch dieſe unmenſchlichen, viehiſchen Goitesläſterungen
und Zutrinken herausgefordert werde, abzuwenden.“
Zu dem Jubiläum der hochgebildeten, trefflichen Cha-
ritas Pirkheimerin in Nürnberg ſpendete ihr Bruder,
der berühmte Willibald, ein Fäßchen Wein; andere Ga-
ben Rebenſaft kamen von weiteren Verwandten, und die
Damen wußten in zwei Tagen damit fertig zu werden,
ohne andere Wirkung, als eine gemüthliche Heiterkeit,
welche uns Katharina Pirkheimerin in einem anmuthi-
gen Briefe an ihren Vater geſchildert hat.
In der Periode der Reformation häufen ſich die
Zeugniſſe, die uns oft in einer Ausdrucksweiſe zuge-
kommen ſind, für deren Derbheit wir im Voraus um
Verzeihung und Nachſicht bitten müſſen. So iſt z. B.
in einer Chronil der Herren von Zimmern. zu leſen, die
„Mägde“ der Gräfin Barbara von Wertheim hätten
„friedlich geſoffen“, und der fahrende Humoriſt Johann
Butzbach berichtet in ſeinem „Wanderbüchlein“, in Küſten-

gegenden am Meere, namentlich in Holland, gäbe es
Frauen, die zu zweien oder dreien binnen einem Tage
und ſelbſt noch in kürzerer Friſt eine ganze Tonne Bier
zu vertilgen verſtänden. ö
Aeußerſt luſtig klingt nachſtehende Geſchichte, welche
Herold's Chronik der Stadt Schwäbiſch⸗Hall unter der
Ueberſchrift: „Drei wohlbeſoffene Weiber“ folgender-
maßen erzählt: „Anno 1532 ſind drei adeliche Ge-
ſchwiſtrig, die Friedrichin genannt, von Eltershofen bür-
tig, nach Johannistag im Sommer gen Untermünkheim
vou Hall in deß Mühl⸗Michels hauß kommen, allda des
beſten Weins 32 maas ohne die Koſt ausgetrunken, die
zech bezahlt und ſein ruhig vor Nachts wider mit ein-
ander gen Hall gangen.“ Wer möchte es wohl heutzu-
tage mit dieſen gnädigen Fräulein von Eltershoſen auf-
nehmen? ö ö
In einem nicht beſonders günſtigen Rufe ſcheinen die
Kölnerinnen geſtanden zu haben, wofür das Sprüchwort
zeugt: „Watt der Mann verdeent, verſüff datt Wif“;

auch ſchüldert uns der Humoriſt Fiſchart, wie die kölni-

ſchen Frauen, wenn der Mann in's Wirthshaus geht,
daheim beim Zapfen ſitzen. Die Mutter des kölniſchen
Rechtsgelehrien Hermann Weinsberg, eine mäßige Frau,
trank doch Mittags Bier und Wein; als ſie aber ſpäter,
wird naiv beigefügt, „jeſnitiſch“ geworden, hat ſie weni-
ger getrunken. Etn Viſitations⸗Receß der Univerſität
Tübingen vom Jahre 1591 rügt, daß die Frauen der
dortigen Profeſſoren häufig ein Gläschen über den Durſt
trinken, daß z. B. Frau Profeſſor Cruſius und FraTu
Profeſſor Homberger ſich „gar ungebührlich“ halten,
daß ſie gar übel fluchen und ſchwören, ſonderlich des
Cruſii Weib, daß fie ſelten zur Kirche gehen, oſtmals
nach Luſtnau und Derendingen ziehen, ſich dort ziemlich

verdächtig erzeigen u. ſ. f. ö

Aus den Zeiten der ſächſiſchen Kurfürſtin Anna,
(Mutter Anna“, wie die Liebe ihrer Unterthanen ſie
nannte), eine Tochter des Königs Chriſtian III. von
Dänemark, welche mit ſechszehn Jahren die Gemahlin
des Kurfürſten Auguſt von Sachſen wurde, wollen wir
einige Züge erwahnen, welche gleichfalls darthun, daß
in früheren Zeiten die deutſchen Damen dem Bierge-
nuſſe nicht abhold geweſen ind. In jener Epoche wurde
am Dresdener Hofe Bier in großen Mengen getrunken,
welches in Dresden, Auguſtusburg, Torgau, Belgern,
Ortrand und Zſchopau gebraut wurde, Die Vornehmen
am Hofe zogen das Torgauer Bier allen anderen vor,
Anna und ihre Kinder das „ſanfte Bier“, die Herren
das Doppelbier. Unter ſanftem Bier wird auch ein
Lagerbier zu verſtehen ſein, denn bei einer Verſendung
entſchuldigt ſich Anna bei der Empfängerin, einer öſter-
reichiſchen Erzherzogin, daß ſie ein Bier ſchicke, welches
nicht lange tauge; „aber gegen den Maͤrz“, ſchreibt ſie
weiter, „pflegt man das beſte Lagerbier zu brauen, dann
will ich Ew. Liebden mit mehreren und beſſeren Bier
eerſehen.“ ‚
(Fortſetzung folgt.)
 
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