Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

DOI chapter:
Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0108

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
10² —

flun pf herab auſ ſeiner Geige ſpiele, damit Alt und liebte Brohat, wo er geboren, und das Meer,

Jung um ſich verſammle und daß der Tanz, der nach
ſeinen Vorurtheilen das ſündhafteſte aller Vergnügungen
war, nachgerade zur Leidenſchaſt ſeiner jungen Pfarr-
kinder geworden ſei.
Heimlich ſchlich er ſich eines Tages in die Nähe der
Wieſe, um ſich mit eigenen Augen von dieſem ſündlichen
Treiben zu überzeugen und das verführeriſche Inſtru-
ment, von dem die ganze Inſel ſich erzählte, ſelbſt mit
anzubören. Job ſpielte eben, während einer Tanzpauſe,
eine jener alten melancholiſchen Volksmelodien, in denen
er exellirte und welche durch dies tiefe Gefühl, welches
er hineinzulegen verſtand, des Eindruckes auf ſeine länd-
lichen Zuhörer nicht verfehlte, ſo daß man in mehr als
einem Auge dieſer Naturkinder Thränen bemerken konnte.
Abbe Flech ſagte ſich ſelbſt, indem er — wie wei-
land Odyſſeus bei dem Geſang der Sirenen — ſeine
Ohren verſtopfte, man könne ſolche Töne nicht hören,
ohne daß die Seele den Schlingen des Böſen geöffnet
würde.
Dieſe Trunkenheit, erörterte er weiter, iſt in an-
derer Art eben ſo gefährlich wie die des Weines; was
ſage ich, nein, eine ſolche Geige iſt ſchlimmer als ein
Buch, denn ſie erzählt uns Dinge, für die es keine
Worte gibt.
Die Folge war, daß das Tanzen als Teufelswerk
von dem zelotiſchen Geiſtlichen verboten wurde. Die
jungen Möbchen vergoſſen einige Thränen, die Vurſchen
tröſteten ſich beim Wein in der Schenke, einige Alte,
die ſich mit an dem Vergnügen amüſirten und nebenbei
ſelbft gern Job ſpielen hörten, murrten, aber der lang-
gewöhnte Gehorſam behielt die Oberhand, man tanzte
nicht mehr des Sonntags. Doch wußte der Prieſter nur
zu gut, daß man ſich um Job und ſeine Geige riß; er
wußte, daß nun einmal die Neugierde rege geworden,
durch das Aufſehen, welches der Kau pf zwiſchen der
Kunſt und der Kirche erregt hatte, die Ortseinwohner
den Geiger zu ſich beftellten, denn Jeder wollte ihn nun
erſt recht hören, um zu erproben, worin denn eigentlich
das Gefährliche dieſes Inſtrumentes liege, gegen welches
der Priefter ſo ſehr eiferte und das man doch mit dem
beſten Willen nirgends entdecken konnte. Ja ſelbſt die
Frauen, die von jeher gewöhnt waren, die Unfehlbarkeit

dieſes Mannes bedingungslos anzuerkennen, wagten ſich

ſchüchtern unter einander zuzuflüſtern, es ſchiene ihnen
immer noch weniger ſchlimm, wenn ihre Männer der
Muſik zuhörten, als im Wirthshaus ſäßen.
Man begehrte Job nach Paingal und noch weiter
hin, um bei Hochzeiten, Kindtaufen und ſonſtigen Feſten

aufzuſpielen und nicht ſelten riethen ihm durchreiſende

Freunde, die ſein Improviſationstalent kennen lernten,
ſich in einer Stadt auf einem Theater hören zu laſſen.
Aber Job hing an der Behauſung ſeiner Vorfahren, in
welcher ihm ſelbſt drei ſchöne Kinder geboren waren, er
hing an dem Fleckchen Erde, das hingereicht hätte, ihn
und ſeine Familie zu ernähren, wenn er auch keine wei-

tern Hilfsquellen gehabt hätte. Mit einem Worte, er

deſſen
Geſang er mit ſeiner Geige begleitete und deren ſchnt-
zende Töne ſelbſt die Wellen mit Entzücken zu belauſchen
ſchienen Der Dämon, der ihm inne wohnte, ſchien es
auf die Verderbniß der Heerde des Abbe Flech nun ein-
mal abgeſehen zu haben, denn anſtatt ſich mit Seines-
gleichen, wie der heilige Mann dies ſo ſehnlichſt wünſchte,
in die Hölle von Paris hinein zu ftürzen, blieb er auf
ſeiner heimathlichen Inſel und begnügte ſich von Zeit zu
Zeit eine Kunſtreiſe auf den Continent zu machen, die
ſich aber ſelten weit von der Küſte in's Innere erſtreckte.
Da ich an der Küſte wohnte, der Inſel gegenüber,
ſo kam ich zur Jagdzeit öfters binüber, um wilde En-
ten oder Bekaſſinen zu jagen. Ganze Tage lang ſtrich
ich an dem flachen Saudufer hin, wechſelte hin und wie-
der ein paar Worte mit einem Zollbeamten oder der
Frau eines Feldarbeiters, die geduldig ihre ſchwere Laſt
Seegras ſchleppte, das ſie mühſam den Wellen abgerun-
gen und womit ſie den unzureichenden Dünger vermeh-
ren wollte. Müde von meinen Wanderurngen kehrte ich
dann bei meinem Freunde, dem Grenzwächter, ein, der
früher Aufſeher bei einem Rettungsboot geweſen und
hatte er, nach ſeinen Erzählungen zu ſchließen, viele glück-
liche Erfolge aufzuweiſen gehabt. Sein jetziges Amt ließ
ihm viel freie Zeit und ließ er keine Gllegenheit vorüber-
gehen, ſeine angeborenen und mit den Jahren immer
mehr zunehmenden Geſchwätzigkeit, die ihm den Spitz-
namen „Schwatzmaul“ zugezogen, freien Lauf zu laſſen.
Es beirrte ihn auch nicht im Mindeſten, wenn ſeine Zu-
hörer ſich zuweilen erlaubten, einige Zweifel in ſeine
Erzählungen zu ſetzen. An ſeine Thür angelehnt, eine
wollene Mütze ſchief auf dem einen Ohr, eine Zwiebel
ſchälend, die er in ſeiner Sprache eine Ente aus der
Provence nannte, plauderte er mir alle Geheimniſſe der
Inſel aus. Er nannte mir die Namen all der Schiffe,
die vermittelſt ſeines Beiſtandes gerettet wurden, der-
jenigen, die er zu Grunde gehen ſah, ohne helfen zu
können und endlich derer, die in dunkler Nacht fern von
jedem menſchlichen Auge oder auch vor den alten ver-
laſſenen Batterien des Forts Roſido verſunken waren.
Ein andermal ſaß er neben mir auf einer alten ver-
nagelten Kanone, die im Graſe langſam vom Roſt ver-
zehrt wurde und erzählte die alten Kriegsgeſchichten von
Brohat. Er ſchilderte die Blokaden, welche die Inſel
tapfer gegen die Engländer ausgehalten, die durch die
vortheilhafte Lage derſelben angelockt und auf ihre See-
macht eiferſüchtig geworden waren. In haarſträubender
Weiſe beſchrieb er die Grauſamkeiten der Verbündeten
Heinrichs des Vierten gegen die Liga, wie dieſelben ſo-
gar einmal ſechszehn Edelleute an Windmühlenflüͤgel
aufgehängt hatten und ſo von einem zum andern über-
gehend, erfuhr ich lange bevor ich Job Sainker perſön-
lich kennen lernte, ſeine Kämpfe mit dem Prieſter.
Es war an einem großen Kirchenfeſte zu Ehren des
Schutzheiligen der Inſel, daß ich dem Geiger zum er-
ſten Male begegnete. An dieſem Tage war das Tanzen
ſeit undenklichen Zeiten herkömmlich und ſelbſt Paſtor
 
Annotationen