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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 44 - Nr. 51 (3. Juni - 28. Juni)
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auf, und da ſah ich unſern Herrn mit einem Fremden
im Sprechzimmer, Weiter weiß ich ſelbſt nich ts.“
„Das iſt allerdings höchſt gleichziltig. Wie kom-
men Sie nur dazu, mir das mitzutheilen? Das iſt
mir wirklich unbegreiflich.“
„Well ſo ſelten Fremde hierher kommen, und noch
dazu ſolche, die ſo ausſehen. Das halle Geſicht von
einem zottißen Barte bedeckt und auf dem Kopf Gott
weiß wie lange Haare und dazu ſo braun gebrannt
wie die Tiſchdecke da. Das Licht fiel zwar nur einen
Augenblick auf ihn, als er neben dem Tiſch, dem Fen-
ſter gerade gegenüber ſtand. Als ich wie der hinſah, ſiand
unſer Herr da; aber er mußte ven dem Fremden irgend
eine ſchreckliche Neuigkeit gehört haben, denn der Herr
hatte einen Aut druck im Geſicht, den ich rorher noch
nie bei ihm gefehen hatte, denn ich ſeitdem aber oft an
ihm bemerkt habe.“
Elsbeth fühlte ſich ſehr ur beharlich. Sie empfand
wohl, daß es nicht paſſend ſei, ihres Mannes Angelegen-
heiten mit einer Dienerin, wern ſie auch ſo anhänglich
ſei wie die alte Trina war, zu beſprechen. Sie machte
300 Vorwürfe, ſie ſo lange angehört zu haben, und
ogte:
„Es iſt gut, Trina, wenn mein Mann wieder wohl
iſt, will ich mit ihm dariber reden, verlaſſen Sie ſich
darauf..“s
„Horch! Er iſt aufgewacht!,
Elsbeth ging leiſe zu ihm und fand ihn auſrecht im
Bette ſitzend, mtt fliegender Bruſt die Worte vor ſich
hinmurmelnd: ö
„Fürchte Dich nicht vor Denen, die den Leib toͤdten
— — fürchte Ihn, der Seele und Leib zur ewigen
Hoͤlle verdemmen kann.“ ö
Sie war ſtarr vor Angſt und Entſetzen; aber ſchon
im nächſten Augenblick kam er wieder zum Bewußtſein,
und ſagte in ſeinem gewöhnlichen Ton: „Elsbeth, wie
kommt es, daß Du um dieſe Zeit auf biſt?“
„Du warſt nicht ganz wohl“, ſagte ſie, ihre Stimme
mit Gewalt zur Feſtigkeit zwingend; aber ſo matt der
Schein der Nachtlampe auch war, ſo entging ihm doch
nicht ihr verſtörtes Ausſehen, und mit der ihr nur zu
bekannten angſtvollen Schärfe des Tons fragte er haftig:
„Was habe ich geſart, daß Du ſo leichenblaß aus-
ehſt?“ ö
1 r nichts, liebſter Robert. Wahrſcheinlich ſind
Dir ein paar Bibelſprüche im Kopf herumgegangen;
tas war Alles.“
„Wirklich, weiter nichts?“ Er prußte ihre Hand
feſt gegen ſeine brennende Stirn und ſchien ſeine Ge-
danken gewaltſam zu ſammeln; dann fuhr er in ruhi-
gem Tone fort:
„Hoͤre mich an, Elsbeth: Ich glauke, daß dieſer
fleberhaſte Zuſtand urd dieſe Kepfſchmerzen nur die
Folge von Anſtrengung mit Nachtwachen find; dennoch
wäre es wöglich, daß ſich die Vorboten des Scharlach-
fiebers zeigten. Dann mußt Du mir etwas verſprechen:
Laß mich durch Trina pflegen; laſſe keinen andern Men-

ſchen üler meine Schwelle und halte Dich fern von
mir. Verſprich mir das!“
„Das kann ich unmoͤglich; wie kanuft Du ſo etwas
von mir verlangen?“ rief ſie heftig erregt. Würdeſt
Du ſelbſt nicht jede Frau verdammen, die fähia wäre,
ein ſolches Verſprechen zu geben, oder zu halten?“
„Verſprich es mir“, wiederholte er dringender. „Els-
beth, Du verſchlimmerſt meinen Zuſtand; Du treibſt mich
zum Wahnſinn, durch Deine Weigerung; Du weißt nicht,
was Du thuft! Verſprich es mir!“ ö
In der feſten Vorausſetzung, das er bereits irre
rede, gab ſie das geforderte Verſprechen, in der Ueber-
zeugurg, daß es keine Sünde ſei ihr Wort zu brechen.
„Ich glaube ſich er, daß es Dir morgen beſſer gehen
wird“, ſagte fie ſo heiter wie möglich. „Trira derkt,
daß es nur die Folgen der letzten ſchweren Zeit find“
„Das iſt auch meine Anſicht“, erwiderte er, und
ihre Hand feft in der ſeinigen haltend, verſank er von
Neuem in einen eiwos ruhigeren Schlaf, fuhr aber denn-
noch ſort, unaufhörlich zu murmeln und zu ſtöhner.
So oft er die Augen aufſchlug, war ſeine erſte Frage:
„Was habe ich geſagt?“
Gegen Morgen wurde er ruhiger und Elsbeth be-
merlte zu ihrer Freude, daß ſeine Stirn und Härde
kühler wurden, und daß ſeine Züge nicht mehr ſo ent-
ſtellt waren. Sie ſtahl ſich hehutſam hinter den Fenſter-

vorhang, um nach der Morgendämmerung auszuſpähen.

Während fie die Stirn gegen das Fenſter lehrte,
überdachte ſie rochmals Alles, was Trina ibr grſaat
hatte. Es war ihr ein troſtreicher Gedanke, daß irgend
eine alte Schuld, oder knabenhafte Unbeſonnenheit, ihres
Gatten ſeltſamen Reden und Weſen zu Grunde läge.
Daun war ihr Alles begreiflich. Seine ungleiche Laune,

ſein beſtändiger Argwohn, ſeine Furcht vor Allem, was

ihr zu Obren kommen konnte, waren ja natürlich, wenn
er ein Geheimniß vor ihr zu verbergen hatte. Ihre
Augen füllten ſich mit Freudenthränen bei dem Gedan-
ken, wie ſie ſein volles Vertrauen gewinnen wollte durch
die heilige Verſicher ung, daß keine Unbeſonnenheit, kein
Jugendfehler im Stande ſeien, ihre Liebe und Achtung
für ihn zu vermindern.
„Sobald er wieder wohl iſt“, dachte ſie, „frage ich
ihn, welche Sorge ihn bedrückt und wenn er mir nur
erſt ſein Vertrauen ſcherkt, dann wird Alles gut werden.“
Solche Hoffnungen belebten Elsbeth, während ihr
Gatte ſich auf ſeinem Lager ächzend und flüſternd hin
und herwarf und während draußen die heraufziehende
Morgenſonne ſich in dem ſchwarzen Gewäſſer des Kloſter-
teichs ſpiegelte.

4.

Dörnburgs Unwohlſein nahm zum Glück keinen be-
denklichen Charakter an. Wenige Tage ungeſtörter Ruhe
genüpten, ihn wieder herzuſtellen. ö
Seine Gattin war und blieb der Abgott ſeines Her-
zens und ſeit einigen Wochen verdoppelte er nech ſeine
 
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