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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 90 - 102 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0411
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heidelbe rger

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Donnerſtag, ten 30. November 1876.

9. Jchrn

Erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer 4 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-
leger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

— —

Das verkauſte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
(Fortſetzung.)

„Jedenfalls muſt ich ſogleich nach Schönfeld hinaus,

um mich ſelöſt zu berzeugen. Ste werden mich begleiten.“
„Meinetwegen!“ murrte Herr Bandemeier. Aber erſt
wollen wir noch frühſtücken und uns zu der Reiſe ſtär-
ken. Der Tunnel läuft uns nicht fort.“ ö
„Ich warte keinen Augenblick! Mir würde es un-
möslich ſein, auch nur einen Biſſen zu genießen, wenn
ich an die Möglichkeit eines ſolchen Uaglüͤcks denke, wo
es ſich um Menſchenleben handelt.“
„Sie finad ein närriſcher Meuſch. Ich laſſe mich nicht
ſo leicht in's Bockshorn jagen. Werden ſehen, daß ſich
vie Sache nicht der Müße lohnt. Aber einem eigenſta-
nigen Kind muß man den Willen thun. Köngen ja eine
Flaiche Wein und die Trüffelwurſt mituehmen und in
Schͤnfeld verzehren.“ ö
Mit fieberhafter Ungeduld dröngte und trieb Robert
den roch immer zögernden Schwiegervater in den Wa-
gen, von bangen Ahnaugen und Befürchtungen erfüllt.
Der kurze Weg kam ihm lünger als j: vor und fort-
wahrnd maßnte er ben Kutſcher zur größten Eile.
„Werden mir noch die Pferbe zu Schanden fahren,“
wezrie der Maurermeiſter. „Loſten mich zweihundert
Louidore. Koamen nech früh genug nach Schöafeld,
um ſich auslachen zu laſſen.“
ſollte.

„Um ſo beſſer, wenn ich mich getäaſcht haben
Wir müſſen unſere Pflicht 9an. ſ8
Je näzer Robert dem Zirle kam deſto lauter ſchlug
ſein Herz, deſte böher ſti⸗z ſeine ihm ſelbſt uner klärliche
Unruhe. Ozne ſich um den Wiederſpruch ſeines Schwie-
gerbaters zu kümmern, ergriff er ſelbe die Zü el und
jagte mit dim leichten Wagen ia ſauſendem Galopp auf
der Landſtraße hin, daß die Räder nur ſo flogen und
die Funken ſtoben. Schon konate er aus der Ferne den
Kirczthurm uad die eiazelnen Hänſer des Dorfers erken-
nen, uur ber vorliegende Daunm der neuen Eiſenbahn
entzeg ihm roch die Ausſicht auf den nahen Tuanel.
Eeſt bei einem Durchſchnitt des Erdwalls überſah
er die ihm bekannte Ungerend des Baus in deſſen Nähe
er eine duakle Maſſe von Menſchen bemerkie. Der An-
blick der vielen Leute befremdete ihn, da die Arbeiter grade

um dieſe Zeit im Innern des Tunnels beſckäftigt zu ſein
pflegten.
„Ich begreife nicht,“ ſagte er beſorgt, „was die Men-
ſchen da draußen za thun haben?“ ö
„Werden ſich wohl amüſiren und faullenzen,“ ent-
gegnete der Maurermeiſter. „Wenn die Katze nicht zu
Hauſe iſt, tanzen die Mäuſe.“ ö ö
„Hoͤren Sie denn uicht das Geſchrei?“ fragte Ro-
paſſt ängſtlich lauſchend. „Ich fürchte, daß ein Unglück
paſſizt iſt.“ ö ö
„Sie ſind wirklich toll geworden. Würden denn die
Leute ſo ruhig daſtehen, wenn es ein Malheur gegeben
ättz.“ ö

„Sehen Sie nicht wie Sie rathlos hin und herlau-
Es kommen ja immer mehr Menſchen vom Dorfe
Das hat nichts Gutes zu bedeuten.“
Von Neuem trieb Robert die Pferde an, daß der Wa-
gen auf der holprigen Straße hin⸗ und herſchwankte.
„Um Gotteswillen!“ ſchrie Herr Bandemeier. „Sie
werden noch umwerfen und den Hals brechen.“
Ja wenigen Miauten war die Strecke zurückzelegt
und der Tunnel erreicht. Schon von Weitem ließ ſich
eus der Menſchenmenge ein dumpfes Gemurmrel verueh-
men, das immer lauter und drohender wurde, als Ro-
bert aus vem Wagen ſprang und in hoͤchſter Aufrezung
auf die Gruppe zufürzte. ö
„Was giebt es hier?“ fragte er erbleichend, mit be-
bender Stimme.
Die Arbetter dränzten ſich mit beſtürzten Geſichtern
um ihn und ſahen ihn mit düſteren, grimmi zen Blicken
an. Einen Augenslick herrſchte ein furchtbahres Schwei-
gey, als ob der Schreck Allen die Sprache geraub: bätte.
Nur in ioreu vernörten Zägen, in ihren entſetzten Mie-
uen glaubte er die Beſtäti ung ſeiser bangen Ahn ungen
zu leſen. ö
„Ich will wiſſen, was geſchehen iſt?“ gebot er laut.
„Das Gewölbe iſt zuſammenzgeſtürzt,“ antwortete der
Schachtmeiſter Schubert grollend „der Tunnel verſchüͤt⸗
tet.“ .
Zegleich erhob ſich ein Sturm von wilden Klagen
und Verwünſchungen, zu denen ſich noch das Weigen,
Schluchzen, Kreiſchen und Schreien der ſchaell herbrige-
eilten Weiber und Kinder der Arbeiter geſellte. Robert
war vernichtet, keines Wortes, keiner Beweguag, fähis,
ſtand er gleich dem Steinbild der Verzweiflung da, ver-
ſunken in düteres Brüten, wie ein zum Tode verurtheil-

fen.
her.
 
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