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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 90 - 102 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0412

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ter Verbrecher, während der an allen Gliedern zitternde
Maurermeiſter ſich kinter ihm zu verbergen ſuchte. Wie-
der beraing einiße Zeit, bis der tobende Aufruhr der Leute
ſich gelegt und Robert von dem zerſchmetterr den Schlage
ſich ſoweit erholt hatte, um genautre Erkundigungen über
die Entfiehungen mid den Umfang des ſo traurigen Un-
glͤöcks einzuziehen. ö
Wie der Schachtmeiſter berichtete, hatten die Arbtiter
auch heute in der Morgerſturde ihr Togtwerk im Tun-
nel begonner, ohne di; vahe Gefahr zu ahnen, oder einen be-
ſonderen Umkand zu demerten, außer der Vergrößerung der
vorhandenen Eprünge und der angegebenen, leichten Sen-
kung des flützeaden Mauerwerks. Nur von Zeit zu Zeit li 5
ſich ein Liſes Kniſtern und uphermliches Rieſeln in dem
Gewoölte hören, als ob ſich der Mortel durch die en-
haltende Feuchtigktit hier und da ein werig abbröckelte.
Da das Geräuſch nicht gärker als ſonſt war, ſo acht ten
bie Leute nicht weiter borguf, und arbeiteten rudig fort
bis zur Frühſtͤcksſtunde, wo ſie ſich eine kleine Pauſe
göanten.
Die Mehrzeahl verließ den Tuarel, um in der freien
Luft zu verſchneufen, nur acht bis zehn Männer, welche
am ertzegenzeſetzteu Ende des Baues an der Bohr⸗Ma-
ſchiene beſchäftigt waren, blieben noch zurück. Plötzlich
erſchalltes ein dumpfer Knoll in dern Gewölbe und zugleich
nehmen die Drapßerſtehenden cite Erſchüiteruneer wahr,
wie bel einem Erdkeben. Erſckhrocken eilten Alls nach
dem Tunnel, in dem Glouben, daß ſich eire Dynamit-
Patroue von ſelbſt entzündet habe, da in den letzten Ta
gen vicht mehr geſprengt wurde. ö
„Als wir,“ fuhr der Schachtmeiſter ſert, „u dem
Eingang zurückkehrter, fanden wir derſelben lurch Trüm-
mer, heroabzefallene Steine und losgelöſte Erde verſperrt,
ſo daß wir nickt weiter kommten und den Verſuch trotz
aller Mühe arf eben mußten —“
„Urnd di: armen Leute die noch im Tunnel waren!“
rief Robert entſetzt.
„Die ſind todt, erſchlagen oder erſtickt“, erwiderte
Schubert mit dumpſer Refignation.
„Barmberziger Gott!“
Von Neuen erhod ſich ein lauts Wehklagen, ein Jam-
meru und Stohnen, ein Weinen und Schluchzen der ver-

ſammelten Menge und zerriß des Herz des niedergeſchla-

genen Ober-Ingenieurs. Aber der Gedanke an dir armen
Leute erweckte ſeinen teſunkenen Math und verlieh ihm
eine bewunderurgswürdige Energi⸗. —
„Wir müſſen Ailes verſuchen, um die Unglücklichen
zu retten“, ſa zte er zu dem Schachtmeiſter.
„Ich fürchte, daß es umſonſt ſein wird. Wir zis-
kiren nur unſer Leben, ohre ihnen zu helfen.“
„Wer leine feige Memme, kein elerder Schurke ig“,
rief Robert mit lonter Stimme, „der folge mir nach, um
unſern Komeraden beipuſehn. Wir dürfen fir nicht ver-
laſſen. Vorwärts!“
Mit einer Schaufel bewaffnet, diz er dem vächſtſiehen-
den Arbeiter aus den Händen nahm, ftürmte er nach dem
Tunnel; ſein Geſicht glühte, ſeine Augen flammtten, ſeine

ganze Geſtalt ſchien ploͤtz'ich verwandelt und hoͤher ge-
worden. Von ſeinem Eifer fortgeriſſen, folgten ihm die
Arbriter und ſelbit ein Theil der Dorfbrwohner, an derer
Spitze der ebenfolls anweſende Ackerbürger Krauſe ſtand.
„Vorwärls, vorwärts!“ ſchallte es wie aus einem
Mund.
Nachdem Robert den Schauplatz des Unglücks ſoweit
dies möglich war, unterſucht hatte, traf er die nöthigen
Anerdnungen zur Beſeitigung der den Eingang verſper-
renden Trümwer. Hurdert kräftige Hände ſchwangen
die herbeigekolten Schaufeln, Hacken und Srabſcheite, um
den aofgekänſten Schott h'inweszuräumen und ſich eiren
Wes in des Innere des Tuanels zu bahnev. Wenn auch
die Arbeit nur langſam vorrückte und mitunter auf kaum
zu überwiadende Schwierigkeiten fließ, ſo ließ ſich Robert
nicht zurückſarecker. Er ſelbſt ſchaufelte um die Wette
mit ſeinen Leuten und ſein Beiſpiel, ſeine unermüͤdliche
Thätizkeit, ſowie zwckmäßigen Auweiſungen feuerte den
Eifer und den Muth der Männer an, ſo daß es ihm ge-
long, alle Hinderniſſe zu beſiegen. Bald zeizte ſich eine
Oeffrung, durch welche ein Maunn zur Noth in den Tun-
nel gelangen konnte. Aber ſelbſt die Kührſten bebten vor
der Gefahr, welche bei jedem weiteren Schritt drohte. Nie-
mand wagt⸗, die dunkle Höhle zu betreten, wo der Tod
tuͤckiſch im Finſtern auf ſeine Opfer lauerte, wo das Ver-
derben den Verwegener erwartete, welcher in das zer-
ſtörte Gewölbe, in dies offene Grab einzudrinaen ſuchte.
Ein herabfallender Stein, ein ſich loslöſendes Mauerſtück
konnte den Tollkühnen zer ſchmeitern, da jede Sicherheit,
jeder Einblick in das Jarere des zerſtöcten Tunnels fehlte.
Robert ließ enite Fakeln aus der nahen Bauhütte
herbeiholen, in der die röteigen Uter ſilien verwah t wur-
den. Nachdem dieſelben angezür det worden waren, for-
derte er die Männer auf, ſich mit ihm in den Tunnel
zu begeben. Aufänglich zögerten die Arbriter, aber als

er, eine breunende Fackel ſchwingend, muthi voranſchritt,

ſchloſſen ſich ihm der Schachtmeiſter, Krauſe und noch
einige Freiwillige zur Rettung der Vanſchͤtteten an.
Bei dem flackernden Schein der Fackeln, welche ge-
ſpeuſtiſch den dur klen Gang erhellten, rückten ſie long-
ſam mit gebotener Vorſicht vor, ohne auf allzugroße Hin-
derniſſe zu ßoßen. Nur hier und da war der Weg durch
die herabgefallenen Trümmer des Mauerwerks und den
vorliegenden Schult erſchwert, welcher jwoch durch die
vereinten Anftrengungen fortacſchafft wurd'. Von Zeit
zu Zeit löſte ſich voch ein Stein von dem erſchütterten
Gewölbe ud Kürzte aus der Höhle herab, durch ſeinen
dumpfen, unheimlichen Fall daran madnend, daß die Ge-
fahr nech keineswegs beſeitigt ſei. Dann wichen wohl
die erſchrockenen Arbeiter zurück und blickten ängſtlich
nach ihrem Führer hin, aber ein aufmunterndes Wort
aus dem Munde des Ober⸗Ingeniens genü te, um ſte
wirder zu ermuthiger. ö
Faſt wäre ber ehrliche Ackerbürger, der nicht von
Roberts Seite ging und mit ſeinen Rieſer kräften ſo viel
wie drei ardere Mänder leiſtete, als ein Opfer ſeines
Eifers gefallen und von einem heimtückiſchen Quaderſtein
 
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