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Heidelberger Volksblatt (34) — 1901

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Nr. 20 (Montag 11. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43808#0003
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Während der erſten Nacht hatte ich ein leichtes Wund-
fieber zu überſtehen, doch war ich am nächſten Tage kräftig
genug, der Compagnie zu folgen, wobei ich den linken
Arm in einer Binde trug. Der Torniſter wurde von
den Kulis getragen, das Gewehr trug ich am Riemen an
der rechten Schnlter. An dieſem Tage wurde der Vor-
marſch auf der Straße nach Langſon fortgeſetzt, wobei
es wieder zu einem Gefechte mit den Chineſen kam, an
welchem meine Compagnie jedoch nicht teilnahm. Die
folgenden Tage verliefen in gleicher Weiſe, meine Com-
pagnie blieb ſtets inder Reſerve.
Am 8. Februar erreichten wir Dong⸗ſung, ein
am vorhergehenden Tagen zwiſchen einem Bataillon al-
geriſcher Tirailleurs und einer feindlichen Abteilung ein
blutiger Kampf ſtattgefunden hatte, infolgedeſſen die Chi-
neſen den Ort geräumt hatten. Wir erbeuteten eine
großes Magazin von Kriegsbedürfniffen aller Art, na-
mentlich Patronentaſchen fanden ſich in großer Menge
vor. Gleichfalls fielen uns mehrere modernen Gewehre
nebſt vieler Munition in die Hände, doch hatten die
Chineſen dieſelben durch Abſchlagen der Kolben ſämtlich
Unbrauchbar gemacht. Die Gewehren waren von allen
möglichen Syſtem; wir fanden amerikaniſche Peabodyge-
wehre, Riflebüchſen, engliſche Remin ztongewehre, deutſche
auſergewehre und ganz alte Steinſchloßflinten; alle
Sorten waren vertreten. Die Kiſten mit Munition waren
im Boden vergraben. Die Patronen wurden ins Waſſer
geworfen, die übrigen Gegenſtaͤnde, welche für uns un-
brauchbar waren, verbrannt. Es wurde beabſichtigt, in
Dong⸗ſung eine ſtärkere Verſchanzung anzulegen, in der
ein Magazin ſowie eine Sanitätsſtation untergebracht
werden ſollten. Die nötigen Arbeiten wurden ſofort in
Angriff genommen und der Weitermarſch auf Lang⸗ſon
bis zur Vollendung derſelden unterbrochen. Sämtliche
Truppen arbeiteten mit Pickel und Schaufel, ein ſtarkes
Blockhaus wurde gleichfalls errichtet. Da ich wegen
meiner Wunde zur Arbeit untauglich war, ſo wurde
ich einem Begleitkommando zugeteilt, das eiwa 300
Schwerverwundete nach Tſchu zurückzubringen hatte, auf
Hin und Rückmarſch ſollten vier Tage verwendet werden.
Unterwegs paſſierte ein Vorfall, der mir wegen ſeines
tragiſchen Ausganges ſtets im Gedächtnis bleiben wird.
ls wir am zweiten Tage bereits mehrere Stunden mar-
ſchiert waren und nach einer einſtündigen Pauſe wieder
aufbrachen, bemerkte einer der begleidenten Soldaten, daß
eine Hängematte mit einem Verwundeten fehlte. Der
Führer der Kolonne und ein Leutnant von meinem Ba-
taillon, ließ ſofort halten um die Umgebung aufs Schärfſte
durchſuchen. Hierbei wurde der Verwundete weitab vom
Wege im Gebüͤſch aufgefunden, die Träger, eingeborene
Kulis, hatten ſich aus dem Staube gemacht. Da wir ohne die

Träger den Verwundeten nicht fortſchaffen konnten, ſo ſuchten

wir die Gebüſche ab, um der Flüchtlinge habhaft zu werden.
Ich wurde einer Patrouille zugeteilt. Da ich meiner
Armwunde wegen mein Gewehr nicht benutzen konnte,
ſo gab mir unſer Führer ſeinen Revolver, der
leider nicht geladen war, was in der Eile aber nicht
bemerkt wurde; beinahe wäre dieſer Umſtand verhängnis-
voll für mich geworden. Die Straßen, die ſich zwiſchen
Höhenzügen hinſchlängelte, war an beiden Seiten von Ge-
düſchen begrenzt, ſo daß wir uns nur zu beiden Seiten

ſorgte.

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der Straße zu verteilen und längs derſelben vorzugehen

hatten. ‚
(Fortſetzung folgt.)

Nachträgliches zu Kneißl Gefangennahme.

Müncheu, 6. März. Dem „Schwäb. Merk.“
wird geſchrieben: Um die Gefangennahme des Raub-
mörders M. Kneißl ſchwebt inſofern ein Dunkel, als
nicht feſtſteht, wer eigentlich ſeinen Aufenthalt erkundet,
wer ihn verraten hat. Jedenfalls erfuhr die Polizei
durch ein Frauenzimmer aus dem engſten Kneißlkreiſe
wo der Räuber ſtecke, und zwar erſt in den allerletzten
Tagen. Ob die 15 jährige Mathilde Danner, ob die
38 jährige Math. Lorenz, beide mit K. intim, dieſen um
der 1000 M. willen oder aus Eiferſucht oder in der
Einſchüchterung durch die Gendarmen verrieten, oder
aber ob ihnen ein Polizeibeamterr unter der Maske
eines neuen zärtlichen Verehrers das Geheimnis entlockte,

kann nur die Unterſuchung klarſtellen; darum iſt es

auch noch ganz ungewiß, wer die 1000 M. erhalten
wird. Mit großem Befremden erfährt man jetzt, daß
Kneißl nicht nur viele Freunde hatte ſondern darunter
auch ſcheinbar ganz anſtändigen Männer, wie den Boten
Aigenhart, der dem K. Proviant und Munition be-
Auch ſein Vetter Vöſt, ein Arbeiter in einer
großen Münchener Maſchinenfabrik, beſuchte den K. alle
Sonntage und brachte ihm Lebensmittel, und Schießbe-
darf, ſowie die neueſten Zeitungen. Bei den Bauern
Merkl, Bader, Aumacher in den benachbarten Weilern
Geiſenhofen und Piſchertshofen wohnte, aß und ſchlief
der faſt zur Mothe oder unſichtbar gewordene Kneißlhias
während der letzten ſechs Wochen und hielt ſogar noch
vom Sonntag bis Montag früh halb 3 Uhr mit den
genannten Dirnen und ſeinen Freunden ein Trinkgelage;
bei der Heimkehr fielen die Dirnen und Vöſt den Gen-
darmen in die Hände; damals war aber der Verrat
ſchon begangen, denn in derſelben Nacht rückten ja die
Gendarmen auf Kommando ſchon von allen Seiten und
viele Meilen weit heran. Bei dieſem⸗Teinkgelage war
zugleich, da dem „Privatier“ Kueißl das Geld ausging.
ein Einbruch beim Gütler Albertshofer in Piſchertshofen
verabredet, bei dem viel Geld zu holen ſein ſollte; dem
Einbruche kam nun die Polizei zuvor; die beiden Orte

liegen im Südweſtrand des ſogen. Kneißlgebies.

Die „Münch. N. N.“ berichten noch folgende Elnzel-
heiten: Die Spur Kneißls wurde durch Verrat einer
Frauensperſon, der Wäſcherin Mathilde Lorenz aus
München, entdeckt, die ſowohl die Anweſenheit Kneißls

in Piſchertshofen, als in Geiſenhofen der Gendarmerie

verriei, indem ſie es verſtand, den jungen Vöſt, der über
Kneißls Aufenthalt nach eigenem Zugeſtändnis ſtets auf
das Genaueſte informiert war, in unauffälliger Weiſe in
ihr Vertrauen zu ziehen. Die gemeldete Verhaftung
dieſer Frau war nur eine ſcheinbare, um Vöſt gegenüber,
der ja in ihrer Begleitung war, keinen Argwohn zu er-
regen. Der endgiltige Verrat erfolgte, wie bekannt, in
der Nacht vom 3. auf 4. März, in die auch eine inter·
 
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