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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 150-176 (01. Juli 1902 - 31. Juli 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23861#0062
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Ritterkreuz zweiter Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen, dem
Professor Ludwig Möry am Gymnasium in Karlsruhe das
Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom Zähringer Löwen ver-
lieheu, dem Kammerherrn, Wirklichen Legationsrat und vortragenden
Rat im auswärtigen Amt Dr. Rudolf Goebel vou Harrant
die Erlaubnis zur Annahme und zum Tragen des ihm von dem
Kaiser von Oesterreich verliehenen Ordens der Eisernen Krone
zweiter Klasse erteilt, den Bibliothekar Honorarprofessor Dr. Jakob
Wille in Heidelberg zum Oberbiblothekar an der Universitäts-
bibliothek daselbst ernanut, den Privatdozentsn an der Universität
Heidelberg Dr. Bruuo Schmidt, Dr. Julius Hatschek und
Bürgermeister Dr. Ernst Walz den Charakter als außerordentliche
Professoren verliehen und den Eisenbahuingenieur Friedrich Wolff
in Offenburg landesherrlich angestellt.

— Dem Sekretär Heinrich Bühler bei der psychiatrischen
Klinik in Freiburg wurde die etatmäßige Stelle eines Kanzlei-
sekretärs übertragen.

— Buchhalter Philipp Müller beim Finanzamt Manuheim
wurde zum Revidenten bei ersterer Behörde ernannt. Es wurden
die Finanzassistenten Heinrich Eichhorn bei dem Großh. Steuer-
kommissär für den Bezirk Buchen, Eduard Frey bei dem Großh.
Steuerkommissär sür den Bezirk Schönau i. W., Robert Laubert
bei dem Großh. Steuerkommissär für den Bezirk Heidelberg-Land,
Georg Neudörfer bei dem Großh. Steuerkommissär für den
Bezirk Mosbach, Ernst Häfner bei dem Großh. Steuerkommissär
sür den Bezirk Pforzheim-Stadt und Nichard Lachenmayer
bei dem Großh. Steuerkommissär für den Bezirk Müllheini als
Steuerkommissärassistenten etatmäßig angestellt.

Karlsruhe, 8. Juli. Am Sonntag, dsn 6., vor-
mittags 10 Uhr, fand in der Schloßkapelle in Baden
Gottesdienst statt, in welchem Hofdiakonus v. Frommel
die Predigt hielt. Gestern, Montag, Vormittag besuchten
die höchsten Herrschaften unter Führung des Direktors
Schall die Jubiläums-Ausstellung in Baden und verweilten
daselbst mehrere Stunden zu eingehender Besichtigung.
Heute Vormittag 11 Uhr empfingen der Grotzherzog und
die Grotzherzogin den Prinzen Alexander zu Hohenlohe-
Schillingsfürst. Gegen 1 Uhr brachte der Prinz seine
Gemahlin zu Jhren Königlichen Hoheiten und nahm mit
derselben an der Frühstückstafel teil. Die grotzherzoglichen
Herrschaften verlassen heute Abend halb 8 Uhr Schloß
Baden, um den morgigen Geburtstag des Erbgroßherzogs
in Karlsruhe zu verbringen. Der Großherzog von Luxem-
burg ist besonders von Luxcmburg nach Königstein gereist,
um den Geburtstag des Erbgroßherzogs dort mit dem-
selben zu begehen. Am Donnerstag nach dem feierlichen
Schluß des Landtags empfangen der Großherzog und die
Großherzogin die Mitglieder beider Kammern der Stände-
versammlung, welche hierauf an ciner Frühstückstafel teil-
nehmen werden. Hierzu werden die Mitglieder des Staats-
ministeriums und sonstige höhere Staatsbeamte und die
Hofchargen eingeladen. Freitag, deu 11. Juli reisen die
höchsten Herrschaften zu kurzem Aufenthalt nach St. Blasien.

Ausland.

Afrika.

— Wie dem „Standard" gemeldet wird, sind zwei
Burenführer, darunter Btaritz, nebst 30 Anhängern auf
deutsches Gebiet geflüchtet.

— Das Reuter-Bureau meldet aus Pretoria: Lord
Krtchener hielt vor der kürzlich erfolgten Abreise
nach Europa eine 2l b s ch i e d s a n s P r a ch e an die
Truppen, in der er ausführte, ihre Haltung im Feldzuge,
der sich durch große Beschwerden auszeichnete, sei über
alles Lob erhaben. Besonders beglückwünsche er sie zu
dem freundlichen, humanen Geiste, den sie im Felde ge-
zeigt hätten. Schließlich sprach sich Lord Kitchener lo-
bend über die soldatischen Eigenschaften der Buren aus
und den bewundernswerten Geist, womit sie die Ueber-
gabe durchgeführt hätten und erwähnte, daß viele Buren,
die m dem Krieg bis zu Ende mitkämpften, dnr Wunsch
ausdrückten, sie möchten bei einem künftigen Anlaß Ge-
legenheit haben, zusammen mit den Truppen des Königs
zu dienen.

Aus Stadt und Land.

Heidelberg, 9. Juli.

-l- Säuglingsanstalt. Gestern Mittag um halb 1 Uhr
/and m der Luisen-Heilanstalt die Einweihung der nunmehr
zum Gebrauch fertigen Säuglingsanstalt mit einer kleinen
^erer statt. Jm oberen grotzen Saale waren dazu mit den
lertenden vlerzten eine Anzahl ihrer Kollegen und Studierende
der Medrzm, sowie Arigehörige des Nähvereins, der sich um die
Wa,che dcr neuen Anstalt verdient gemacht hat, nnd sonstiqe
Gonnermnen und Freundinnen, sowie Gönner und Freunde der
Anstalt versammelt. Ans Karlsrnhe nahmen die Herrei.
Geh. Rat Battlehner und Ministerialrat Böhm an dem Akt
. Hvfrat Vierordt hielt die Festrede, dann begab man
Üch rn das Haus und besichtigte alle Lokalitäten desselben
Die Praktgche Einrichtung, welche zugleich selbstverständlich
alle hygienischen Anfordcrungcn aufs strengste erfüllt, fand
imgeleilien Beisall ustd doHe Anerkennung. Eine kleine Be--
schreibung der Säuglingsanstalt findet der Leser an anderer
Stelle. Ueber Ge,chrchte, Zweck und Bedeutung der Anstalt, die
wrr dem Wohlwollen unserer geehrten Leser nicht dringend ae-
nug ans Herz legen kömren, giebt die treffliche Festrede des

haben, rst em Brutapparat vorhanderr, in dem sie sich noch
ermge Zert aushalten müssen, ehe man sie zu den Großen
latzt. Dort muß es übrigens recht behaglich sein. Die Tem-
peratur wird immer auf der gleichen Höhe gehalten, zu einer
Serte drrngt frrsche Luft ein, durch eine Röhre wird die ver-
branchte nach oben abgeführt. Und wird es einmal zu trocken.
Lann Länn man mrt dem gleichen Wasser, das die Luft wärmt,
rhr den iiotrgen Feuchtigkeitsgehalt geben. Dabei ist das ganze
Drng so ernfach konstruiert, datz man srch eigentlrch wurrdern
sind ' Sescheit rmd pfiffig die Menscherr heutzutage schon

Für unsere lieben Pflegerinnen ist natürlich auch qesorgt.
Unten, wo unser großer Milchkocher steht. da steht auch ein
Hcre, der mrt Kohlen oder Gas geheizt werderr kann, dann sind
mr «outerram noch Waschräume, neben uns wohnt eine
Schwester m rhrem Zimmer steht ein grotzer Schrank mit
Wasche. den sre auf,chlreßt, wenn die ausgegebene Wäsche
schmntzrg geworden rst. Auch Badezimmer für die Grotzen
Lefmden srch m dem glerchen Stock. Und oben sind die Schlaf-
Zimrrier der Pflegermnen. So kann ich dem Schicksal nicht
genug danken, datz rch in dieses Haus unter diese freundlichen
Menschen gekommen bin. Wemr rch nur recht lange drimren
mewen konrrte, brs rch stark und gesund geworden bin. Nachher
wrll rch damr schon sehen, wie rch bei meinen Eltcrn weiter
Lurchs Leben strample, zumal da die Schwester in der Säuq-
lmgsan,talt mir versprochen hat, datz ich die delikate Milch
ans der Anstalt auch später zu Hause erhalten soll.

Herrn Hofrat Bierordt Aufschlutz, die wir hier im Wortlaut
folgen lassen:

„Sie wissen, datz diese Anstalt der W o h l t h ä t i g k e i t,
der Wissenschaft und dem U nterricht zugleich dient.
Jch habe gelegentlich schon Zweifel äntzcrn hörcn, ob denn
diese Verbindung eine glückliche sei, ich mutz Jhnen abcr be-
kenncn, datz ich mir einc bessere uud ersprietzlichere nicht
denken kann.

Jn allen Fragcn realer Wohlthätigkeit (von
den höheren, den cthischen und religiösen Wohlthaten bitte ich
hier, in merner Eigenschaft als Arzt absehen zu dürfen) kommt
es auf Kenntnrsse und auf Wissen an, damit die
Mittel der Wohlthätigkeit richtig und nutzbringend verwendet
werden; dieser Grundsatz gilt nrrgends mchr als rm Betrreb
eines Krankcnhauses, in dem es so leicht ist, grotze Snmmen
nutzlos zu vergeuden.

Mit dem Herzen allein bctreibt man kein Hospital; mit der
Humanität mutz sich die wissenschaftliche Exakthcit verbinden.
Durch nichts aber wird diese Exaktheit, die sorgsame Untersu-
chung der Kranken, die gcwissenhafte Erwägung der einzuschla-
gendcn Behandlring nnd deren peinliche Durchsührung so
rnächtig gefördert, als durch den medizinischen Unterricht.

Der klinische Lehrer, welcher werdenden Aerzten seine
Krankheitssälle darlegen und stets Rechenschaft über die Gründe
seiner Aufsassung, nber seine Behandlung und ihre Durch-
sührung ablegen mutz, ist dadurch mächtig angcspornt zu gleich-
mätziger Sorgfalt in der Ausübrmg seines Berufs; und diesen
Sporir empfindcn auch seine Assistcnten und Schwestern. Jn
solchen Krankenhäusern wird man aber auch stets der Grenzen
rmseres Könnens bewutzt und natnrgemätz darauf hingewiesen,
diese durch wrssenschaftliche Arbeit zu erweitern; rmd die Be-
gcisterung, welche durch die wissenschaftliche Forschung (deren
Kosten übrigcns in diescm Hause ausschliehlich aus staatlrchen
Zuschüssen bestritten werden), geweckt wird, durchdringt wre
eme wohlthätige Wärme das Thun des Arztes auch rn der
sckweren alltäglichen Arbeit.

Mcine Assistenten, der Sparsamkeit wegen stets zn wenige
sür das, ivas zu leisten ist, würden nrcht im Stande sein,
Fahre lang von früh bis in die Nacht bei oft Ibstündigem
Arbeitstag rastlos thätig zu sein, z. T. bei geringer Ent-
schädigung, z. T. ohne eine solche überhaupt, — wenn drese
wrssenschastliche Begeisterung nicht wäre.

So kommt das alles der Wohlthätrgkeit zn gute: Der Un-,
terricht, indcm er die Sorgfalt nnd Exaktheit garantiert, und
unseren Eifer stärkt, die richtigen Mittel anznwenden und so
der zwecklosen Verschleriderung, der so häufig wohlthätige
Spenden anheimfallen, vorzubeugen, und die wissenschaftliche
Forschung, ivelchc Begeisterung rmd Berufsfreudigkeit erweckt.

Erbarmende Liebe ist eine Wohlthat, zarte Pflege ist eine
Wohlthat, und wir bemühen nns nach Kräften, diese auszu-
üben, — allein der Kranke will von rrns Heilung oder Linde-
rung seiner Leidcn haben, und da ist die gröhte Wohlthat Wissen
und Exaktheit. Eine Wohlthäterin kann das edelste Herz, die
hilfbereiteste Hand haben; wenn sie dem Leidenden eine nicht
für ihn passende Nahrung reicht, so ist der Schaden grötzer
als der Nutzen.

Freuen wir uns also dieser Verbindung von Wohlthätrgkeit,
Unterricht und Wissenschaft. Sie ist die denkbar gesundeste
Basis für unser Kinderkrankenhaus.

Nun mutz ich Sie mit der seltsarnen Thalsache bekannt
machen, dah, während für die kranken Kinder und die Unter-
weisung und Erforschung der Kinderkrankhciten neuerdings in
aller Welt sehr vicl geschieht, die S ä u g l i n g e, diese zar-
testen, hinfälligsten und hilflosesten Wesen, allenthalben zu
kurz kommen; man muß sagen, datz der kranke Säuglmg noch
heute das Stiefkind der Wohlthätigkeit, wie nicht minder des
Unterrichts der Aerzte und der wisscnschaftlichen Forschnng ist.

Auch des gesrmden Säuglings fängt man crst in -der neuesten
Zeit an, sich intensiver anzunehmen. Man errichtet Krippen,
auch mehr Findelhäuser. Mit diesem habe ich mich hier nicht
zu beschäftigen.

Was den krankeri Säugling betrisft, so lehrt eine alte Er-
fahrung, datz er im Kraiikenhause nicht gedciht; dies trifft
auck, die Kinderkrankenhäuser. Säuglingc, welche wegen ?lno-
malieen der Verdauung und Ernährnng aufgenommen werden,
sind im Krankensaal gemeinsam mit andcren Kranken selbst
bei grötzter Sorgfalt und genau regulicrtcr Kost nur mit vielen
Schwierigkeiten und oft genug gar nicht zu heilen; SLuglinge
aber, welche wegen anderer Leiden behandelt werden, fangen
nrcht selten an, Verdauungsstörungen zu zeigen.

Daher eme hohe Sterblichkeit der Säuglinge in derr Spi-
tälern, gegen welche mit allen Mitteln sorgsamster Pflege von
jeher vergeblich angekämpft wird.

Diese Erfahrnng ist so allgemein und feststeherid, datz sich
aus Grund derselben die meisten Kinderkrankenhäuser den
Säuglingen gmrz oder nach Möglichkeit verschlietzen. So
lautet denn auch ein Paragraph der Satzungen auch dieses
Hauses, vor 22 Jahren von meinem Herrn Vorgänger ausge-
stellt, dahin, daß Kinder im ersten Lebensjahr nur ausnahms-
weise aufgenommcn werden dürfen.

Der Grund dieser auffälligen Erscheinung ist vielfach, am
eingehendsten in letzter Zeit von Heribner, dcm Direktor der
Kinderklinik der Charitee in Berlin, erörtert worden. Ohne
aus Einzelheiten einzugehen, will ich nur sagen, datz es eben
unmöglich ist, in eincm Betrieb, in welchcm ältere Kinder und
Säuglinge vcrpflegt werden, die den letzteren zukommenden
Bedmgungen der Pflege zu schnffen, und datz ferner nicht
wcnige kranke Säuglinge zu ihrer Genesung der Ammen be-
dürsen, die man bisher in Spitälern nicht hat.

So wie nun diese Dinge bisher lagen, haben sie naturge-
mätz auf die Wohlthätigkeit, soweit sie sich auf die Hospitals-
behandlung kranker Säuglinge erstreckt, lähmend gewirkt.

Die mcdizinische Wissenschaft ist schon durch diesen Um-
stand in der Erforschung der Physiologie und Pathologie des
Säuglingsaltcrs gehindert worden, und es ist bezeichnend, datz
eine grotze Anzahl der besten Arbeiten über Stofswechsel, Wachs-
tum und Ernährung des Säuglings nicht aus Kliniken, son-
dern aus Beobachtungen und Untersuchungen von Aerzten an
dercn eigenen Kindern stammen, wobei häufig eine gewisscn-
hafte Gattin bei der mühsamen Arbeit des Mannes geholfen
hat. Aber auch diese Untersuchungerr sind bisher spärlich; die
Schwierigkeiten der sorgsamen Beobachtung des Sänglings,
besonders seines Stoffwechsels, sind aus nicht näher zu erör-
ternden Gründen grotz. So kommt es, datz dre Kenntnis dcr
Lebensvorgänge im ersten Lebensjahr mit dem Aufschwung der
neuercn Wisscnschaft, mit der Erweiterung und Klärung un-
screr Kermtnisse von den Vorgängen nn weiterentwickelten
Organismus nicht Stand gehalten hat. — Auch hier ist also
bisher der Säugling das Stiefkind.

Was endlich den medizinischen Untcrricht der werdenden
Aerzte, eine Sache höchsten Jnteresses für Sie alle, betrifft,
so kann er ja durch diese Umstände nur rmgünstig beeinflutzt
sein. Die meisten Kliniken halten Säuglinge ängstlich fern,
nnd auch wo sie das nicht thun, kann die Pflege und Behandlung
des Sänglings rn ihnen bisher nicht auf dcr Höhe wünschens-
werter Vollkommenheit vorgesührt werden, die exakte wissen-
schaftliche Forschung ist noch in ihren Ansängen. — So kommt
es, datz es den weitaus meisten jungen Aerzten noch heute
so geht, wie es mir in meinen Studien an deutschen und aus-
ländischen Universitäten ergangen ist: Säuglinge habe ich nicht
zn sehen bekommen, über ihre Behandlung habe ich nur das
Notdürftigste erfahren.

Der Säugling ist also im vollsten Sinn des Wortes auch

ein Stiefkind des Unterrichts, zum oft zu hörenden Bedanerrr
der Aerzte, zum Schaden sür alle Krerse unseres Volkes.

Frrfolge aller dieser Umstände sind die landlänfigen Vor-
stellungen über die Ernährung und Pflege der Säuglinge nock
autzerordenrlich unklar, und das rritt sofort in die Erscheinung
in den lcider immer häufiger werdenden FLllen, ivo wegen
Mangels der natürlichen Nahrung die künstliche Ernährnng
Plah greifen mutz. Da finden Sie auf dem Lcmde altherge-
bruchtc, teilweise unglaubliche Ernährurigssittcn und eine
riesige Säuglingsmortalität; in den Städten oagegen wird mit
all ocn unzähligen allenthalbeii angepriesenen Nahrungsmit-
teln und Milcharten experimentiert. Eine heillose Verwir-
rung ist vorhanden, und selbft für Aerzte ist es schwer, gegen-
über den stcts mit größter Bestimmtheit anftrctendcn Anprei-
sungcn der Firmen den richtigen Standpunkt zu finden und
festzuhalten.

Hiernnter leiden allc, am mcisten aber die Armen, ivelchen
es an Mittcln und der nötigen Zeit für ihre Kinder fehlt, und
wclche nicht wie dre Gebildetcn die Möglichkeit haben, sich we-
nigstenS notdürstig zu unterrichten. — Wenn Sie wützten,
welcher Stoff den Armen, dic nicht regelmätzigc Abnehmer
sind, oft rmter dem Namen Milch verabreicht wird.

Die Folge von all dem, die hohe Säuglingsmortalität, wird
dcr Menschensreund und der Arzt beklagen, der Nationalöko-
nom in Deutschland aber wohl eher verschmerzen; die andere
Folge aber, die Heranpäppelung einer Menge Rhachitischer mit
krnmmcn Gliedern, Scrophulüser mit Aussicht auf Schwindsucht,
Bluiarmer nnd anderer Schwächlinge, die wird nicht nur der
Mcnschenfrermd, sondern auch der Staatsmann als einen zu
bckämpfendcn Uebelstand ansehcn.

Daß hier etwas geschelxen müsse, hat sich mir schon lange
aufgedrängt. Fch habe diese dreifache Lücke seit geraumer Zeit
(diejenige im Unterricht schon als Stndentl) empfunden, ins-
bcsondere seit rnir dieses Haus anvcrtraut ist, und am meisten,
seitdcm unsere Ambulanz dnrch die Arbeit tüchtiger Assistenten
rasch gcwachsen ist. .Diese giebt in der That ein getrenes Bild
der schauderhaften Mitzbräuche in der künstlichen Ernährung
und der Behandlung der Säuglinge. Sehen wir doch da nicht
selten an einem Tage ein Dutzend nnd mehr dreser unglück-
lichen Mütter, die gerne alles thun möchten, aber ftets nur
Fehlgrisfc machen; die drirch die heutzutage verbreitete Ueber-
füttcrung mit übermätzigen Mengen Kuhmilch und Brei sogar
zuweilcn ihr weniges Geld verschleudern; andere wieder, die
arbcitcn möchten, um Geld zu vcrdienerr, durch das kranke
Kind davon abgehalten werden, und der Armenpflege ver-
fallen; Müttcr rmd Ziehmüttcr, die flehentlich bittcn, rhnen
ein krankes Kind abzunehmen, rmd die wir abweisen müssen.

Es mutz crber auch etwas geschehen, um die vernünftigen
Grnndsätze der Säuglmgshaltung nicht nur in derr ärmeren,
sondcrn auch in den besseren Ständen mehr zu verbreiten, um
die wcrdenden Aerzte endlich einmal eingehend in diese Dinge
einzuführen; un last not least, nm zur Lösung noch mcmcher
Problcme dieses Lebcnsalters beizutragen.

All das lietze sich erreichen durch eine Säuglings-
st a t i o n mit b e s o n d e r e m D i e n st, mit sorgsamer
Pflcge und Ernährung; und zur letzteren gehören bei schwer-
kranken Kindern auch A m m e n, ohne diese geht es nicht.

Solche Gedanken und Pläne, schon seit Jahren gehegt,
sind nun, mir selbst unerwartet schnell, zur Verwirklichung ge-
kommcn. Zunächft konnte in dem im Vorjahre eröffneren
Ambulanzhause ohne erhebliche Vermehrung der Kosten ein
Raum sür eine Säuglingsanstalt unschwer ausgespart werden.
Sodann gelang es den begeisterten Bemühungen einer Dame,
wclche sich bereits vielfache Verdienste um die Luisenheilanstalt
erworben hat, Jnteresse für die Sache bei einigen wohl-
thätig gesinnten Menschen zu weckcn; sie hat birrnen kurzem
über 8000 Mk. zusammengebracht, eine Summe, die wenig-
stens genügte, um die erste Einrichtung einer kleinen Station
zu bestreiten. Von dtzsiem Gelde hat Frau C. Salomon in
Hamburg 500 Mk., die Rhein. Creditbank Heidel-
berg und die Oberrhein. Bank je 200 Mk. gestiftet;
4000 Mk. hat ein rrngenannter Wohlthäter auf 10 Jahre zins-
frei geliehen. Endlich sind sieben Bettchen ü 100 Mk. ge-
stiftet: 1 Bett Hofrat L o s s e n, 1 Bett Frau Geh. Rat Georg
M e y e r, 1 Bett Herr Prof. I o r d a n, serner 200 Mk. Herr
Fabrikant Fuchs, 200 Mk. Herr Dr. Blum.

Jhre Königlichen Hoheit der Grohherzogin habe ich
Lber die nüherrückende Verwirklichung meiner Pläne Berrcht
erstattet; Höchstdieselbe hat zur Feier des Jubiläums S. K. H.
dcs Grvtzherzogs eine namhafte Summe gespendet und vor
kurzem die Räume der zukünftigen Anstalt eingehend besichtigt.
— Die Stadt Herdelberg hat auf mein Ansuchen zu
den Betriebskosten einen jährlichen Bertrag von 800 Mk. be-
Ivilligt.

Nun konnte rch nicht mehr zurückblerberr. Das gespendete
Geld mutzte ja doch im Sinne der Geber verwendet und we-
nigstens ein Versuch, die Lebensfähigkeit der Sache zu prüfen,
gcmacht werden. Auch drängte die Stadt auf Eröfsnnng der
Station, deren Wichtigkeit die städtischen Behörden erkannt
hatten.

Vorbildlich war vor allem ein Säuglingsheim in Dresden
unter Leitung von Pros. Schlotzmann. Frau Geh. Medi-
zinalrat Helwig, welche sich erboten hat, die Einrichtung und
Leitung unserer Station ohne jede Entschädigung zu überneh-
men, hat das Opfer gebracht, nach Dresden zu fahren unö die
Sache an Ort und Stelle zu studieren. Das Dresdener Säug-
lingsheim, welchcs binnen kurzer Zeit einen Riesenerfolg ge-
habt hat, und durch freiwillige Beiträge autzerordentlich stark
untcrstützt wird, nimmt nnr kranke Säuglinge auf. Es über-
. nimmt aus der dortigen Frauenklinik Mütter mit ihren neu-
geborenen Kindern unentgeltlich als Ammen; diese nähren
neben ihren Kindern einen oder zwei der elendesten Äiuglinge,
welche ja gewöhnlich anfangs kein grotzes Nahrungsbedürfnis
haben; das Fehlende wird durch sogenannte Zufütterung von
Kuhmilch ergänzt. Ammen, welche sich durch einige Zeit be-
währt haben, werden an Prrvate weggegeben; hierdurch hat
sich die Anstalt rasch bei den Wohlhabenden viele Verdienste
erworben und beliebt gemacht. Sie wissen, wie schwer gute
Ammen zu beschaffen sind. Die Anstalt stellt serner tadellose
Kindernahrung, besonders Kuhmilch in Soxhletflaschen her und
giebt sie nach außen ab. Endlich bildet sie junge Damen in
der Kinderpflege aus.

Dieses Jnstitut ist uns in der Hauptsache vorbildlich ge-
wcsen; insbesondere ist auch meine Ueberzeugung, datz es ohne
Ammcn nnmöglich ist, an kranken Sänglingen schöne ResuKatc
zu erzielen; rind ebenso halte ich es für eine Hauptanfgabe
eincr solchen Arrstalt in weiteren Kreisen vorbildlich und er-
ziehlich auf die Haltung nnd Ernährung der Säuglinge und
anf ihre Behandlung in Krankheiten einzuwirken und rreue
Erfahrungen zu sammeln. Gewitz wird die Pflege und Er-
nährung der uns anvertrauten Kinder auch bei unserer ge^
wohnten Sparsarnkeit relativ teuer werden, aber sie wird
sich rentieren dadurch, dah sie ungezählten
anderen Kindern zu gute kommt. Hierin sehe uh
die Hauptbedeutung erner solchen Anstalt.

Herr Privatdozent Soetbeer, welcher mich bei dei
Einrichtung auf das erfolgreichste nnterstützt hat, wird dre
spezielle ärztliche Leitung übernehmen und Fran Geh. Rar
H e l w i g, durch eine Schwester, eine Lehrschwester nnd hos-
fentlich auch durch lernende Damen unterstützt, dre Pfleg
leiten, für ihre Aufopferung bei der Einrichtung brn rch rynen
jetzt schon zri grotzem Dank verpflichtet.

Es handclt sich hier um ein Unternehmen. welches g-rvagr
 
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