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Heidelberger Zeitung (44) — 1902 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203-228 (01. September 1902 - 30. September 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.23861#0602
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bett ihrer Mutter eilte, um dort zu beteu. Es war dies
ihre Pflicht als Tochter, und sie that wohl daran, diese
Pslicht zu ersüllen, Es war aber dem Köuig uumöglich,
der ehemaligen Priuzessin vou Belgien die Titel und
Wiirden wieder zu verleihen, deren sie sich selbst begeben
hatte." Die zweite Note lautet: „Viöle Personen wun-
dern sich, daß bei der Zeremonie aus Anlaß der Bei-
setzung Jhrer Majestät der Königin so
wenig Pomp entfaltet wurde. Demgegenüber ist
zu konstatieren, daß zwischen dern König und der Kö-
nigin eine gegenseitige Uebereinkunft bestand, das Be-
gräbnis des zuerst mit dem Tode abgegangenen Teiles
mit möglichster Prunklosigkeit und ohne Einladung srem-
der Fürstlichkeiten zu veranstalten."

Die erste Note dürfte weuiger günstig wirken als
die zweite, der das allgemeine Verständnis gesichert ist.
Man weist in Belgien nicht init Unrecht ldarauf hin,
wie ganz anders der greise Kaiser Franz Joseph der
Gräfin Louyay gegenüber sich verhält und wie er stets
bestrebt ist, der Witwe seines einzigen Sohnes mit freund-
licher Rücksichtnahme zu bsgegnen. Die Bevölkerung ver-
steht es uicht, daß der König selbst am Sarge der Gattin
nur deu angeblichen Geboten der Etikette, nicht aber der
Stimme des Herzens folgte.

England.

London, 26. Sept. Der Vizekönig von Jndien
übermittelte ein Telegramm, in welchem es heißt, in
sämtlichen Provinzen mit Ausnahme derjenigen an der
Nordwestgrenze berichtet man von mäßigen bis schweren
Regenfällen, günstige Berichte über die Ernte sind aus
allen Provinzen eingegangen.

Londo n, 25. Sept. Reuters Bureau erfährt, es
seien bereits Verhandlungen mit Siam bezüglich der
Zölle im Gange. Siam hatte ein Abkommen zugestan-
den, wonach die siamesischen Güter uach Kelantan zoll-
srei zugelassen werden zunr Nachteil der britisch-mälayi-
schen Staaten. Der Gouverneur von Singapore be-
suchte den Sultan von Kelantan, wobei diese Angelegen-
heit zur Sprache kam. Es ist nichts vorgefallen, was den
unsinnigen im Anlauf befindlichen Gerüchten Nahrung
bieten könnte.

Spanien.

Madrid, 19. Sept. Der „Jmparcial" sagt zu
der B ü n d n i s f r a g e: „Man muß entweder selbst
stark dder ein Freuud des Starken sein." Sei Fraukreich
thatsächlich dieser Starke? Eine überstürzte Beantwor-
tung dieser Frage müsse unter allen llmständen vermieden
werden, weun man auch zugeben müsse, daß die öffent-
liche Meinung sich zu Gunsten eines Bündnisses mit
Frankreich ausspreche, freilich nicht mit der Begeisterung,
wie man im Ausland glaube. Die europäische Presss
gehe bei ihren Erwägungen von der marokkanischen Frage
äus, die mit der Mittelmeerfrage im engsten Zusammen-
hang stehe. Es handle sich für Spanien dabei also da-
rum, zu überlegen, ob das jetzige Gleichgewicht nicht
besser sei als die sranzösische Vorherrschaft. Denn daß
diese das Ende vom Liede sein würde, sei ja ohne weiterss
klar. llnd da sage er, der „Jmparcial", folgendes:
Wenn in England der Plan bestehe, aus irgendwelchen
Gründen die Vereinsamung Spaniens dazu zu benntzen,
um neue Gebiete auf Kosten Spaniens zu gewinnen, so
sei das Bündnis mit Frankreich und Rußland eine For-
derung der Klugheit und Vernunft. Ohne diese Vvraus-
setzung könnte es aber gesährlich sein, und in dieism
Fall sei ein Fortbestehen des gegenwärügen Gleichge-
wichts, so schwierig seins Aufrechterhaltung auch sein
möge, vorzuziehen. — Jn hiesigen Osfizierskreisen ist
die Ansicht verbreitet, daß zur Zeit Versuche gemacht
würden, auch Jtalien sür eine Derständignng mit Frank-
reich, Rußland und Spanien in der marokkanischen Frage
zu gewiunen, um vereint gegebenensalls besser England
die Spitze bieten zu können. — Die Presse widmet dem
von hier scheidenden französischen Botschafter Patenotre
freundliche Nachrufe. Bekanntlich ist zu seinem Nachiol-
ger Jules Cambow ernannt, der als früherer General-
gouverneur von Algier aufs genaueste mit den iranzö-
sischen Plänen in Bezug auf Marokko vertraut ist, nnd
gleichzeitig durch seine Vermittlerrolle im spanisch-ame-
rikanischen .Kriege hier auf ein dankbares Entgegenkom-
men rechnen zu können glaubt. Er ist offenbar dazu aus-
ersehen, Spanien für ein engeres Zusammengeben mit
Frankreich zu gewinnen. Jn dieser Hinficht sind die
Bemerkungen interessant, mit denen seinerzeit der
„Temps" feine Ernennung begleitete: „Cambon ist nach
Ansicht aller ein feiner, geschmeidiger, und um Hilfs-
mittel nicht verlegener llnterhändler. Das sind Eigen-

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daß es dann besser sei, besagten Gegenstand nicht weiter zu

Als ste in dic schon etwas gebrechliche Famillenkalesche
ftieg — den grotzen Korb und Ven kleinen Hairdsack hatte
August auf den Bock gestellt — da drängten sich alle Hofleute
zum Abschiednehmen um den Wageu. Sie drückte die roten,
schwietigen Arbeitsfäufte; und die leuchtendeu Augen, der
wavme Tou der Stimmen, mit deuen sie ihr „Adjüsk ook,
gnäd'ges Frölcul" zuriefen, verrieten Lisbeth, datz sie. herz-
lichs, Neue Zuneigung hinter sich zurücklietz.

„Es ist gut, Leute . . . das guäd'g-e Frölen kommt ja in
eiu paar Wochen zurück . . . Geht nur au euve Arbeit!" schuitt
der Oeümomierat, der eben aus dem Hause trat, weitere
Herzensergietzungeu ab. Er war kein Freund vou Gemüts-
bewegungeu, besonders wenn dabei die Arbeit versäumt
wurde.

Nach einer etwas sttlckrigen Fahrt — die Federu des
Wagcns Ivaven wie das ganze Gestell am Gnde einer laugen,
treueu Dieustzeit — kamen sie in Klützow an uud fuhren ohne
Aufenihalt uach dem Bahnhof weiter. Rolosf holte selbst das
Billet, expedierte mit Augusts Hilfe das Gepäck und dann lief
uuch schou der Zug ein.

Wsbeth machte ein etwas veMüfftes Gesicht, als der
Water mit ihr auf die dritte Klasse zusteuerte.

„Fa, hast dtt denu nicht zweiter? —"

„Das wäre doch Luxus, Kind . . . für Ne paar Stundenl
Dritter fährt es stch Merhaupt tstel cmgenehmer" ....
(Das im „Winter", das er hatte hinzufügen wollen, blieb
ihm doch in der Kehle stecken.)

Da das Dameukoupee überfüllt war, der Zugfuhrer und der
Schaffner ungeduldig auf ihr Einsteigen warteten, so wurde
sie schnell in eiu ziemlich volles Abteil hineingeschoben, aus
dem ihr eine wahre Wolke von Pfeifen- und Zigarrendampf
entgegengiwll.

„?lber, Papa, ist das denn auch der Schnellzug?" frug
Lisbeth entfetzt.

schafteii, die selbst bei eiirem Diplomaten ihren Preis
haben nnd die in Viadrid Verivendung finden weröen.
§Nan weiß, daß Herr Cambon während der fechs Fahre,
die er in Algier zugebracht hat, sich mit allen Schwierig-
keiten der marokkanischen Frage vertvant gemacht hat.
Die kluge Art, womit er sie behandölte, hat noch nichts
von ihrem Wert verloren."

Amcrika.

W ashington, 26. Sept. Wie ein Telegramm
aus P a n a m a berichtet, sandte GeneralSalazar
dem Kommandanten des amerikanischen Kreuzers „Cin-
cinnati" eine Mitteilung, in der es heißt: Die Regierung
besitze die Machtmittel, die erforderlich seien, das Leben
und Eigenturn der Fremden zn schützen und ihre Rechte
zu verbürgen. Sie halte die Landung von amerikanifchen
Truppen für ungerechtfertigt nnd sehe darin em Versuch,
sich die Herrschaft über Columbien anzueignen. Sie er-
hebe daher Einspruch dagegen und mache Mac Lean für
alle Folgen, welche die Landung von Marinesoldaten uach
sich ziehen würde, verautwortlich.

Newyork, 26. Sept. Der Schatzsekretär Shaw
hat gestern Abeud eine Bekanntmachung erlassen, m der
er sagt, daß der einzige zur Depomernng bei den Banken
geeignete Fonds derjenige aus den Emnahmen verschie-
dener Staatseinkünfte sei, solange diese noch nicht in
das Schatzatnt äbgeführt feien. Diese Gelder belausen
sich auf 500 000 Dollars täglich und sollen bei der Ver-
steifnng des Geldmarktes sortlausend wieder in Umlanf
gebracht werden. Das wird auch weiter geschehen, so-
lange es notwendig sei, und das Schatzamt wird soweit es
ihm möglich sei, den Banken überall zur Seite stehen.
Neue Experimente werden nicht gemacht werden nnd auch
keine neue Politik wird eingeschlagen werden, ohne vor-
herige reifliche lleberlegung.

Ainülnds Kntrechtung.

Der Peiersburgier Korrespoiident der „Times" schreibt, die
russische Regierung habe beschlossen, sämtlichen finischen Privi-
legien ein sür allemal eiu Ende zu macheu. Es sei eine Anzahl
einschneidendster Berordnungen nach Helsingsfors telegraphiert
worden, wo sie in deu nächsten Tagen zur Beröffentlichung
gelangen werden. Es sei keine Uebertreib-ung, zn behaupten,
datz dnrch diese Veror-dnnngen sämtliche bisher bestehenden
Sicherheiten für öffentliches und individnelles Recht vernichtet
würden. Das ganze Gerichtssystem solle unter die Verwäl-
tnng gestellt und die Regievung ausschlietzlich denr General-
gouvernenr übertragen werden, während dieser selbst und alle
seine Beamteu, bis herunter zum einfachen Schntzmann, jeder
Berantwortlichkeit entzogen würden. Es sind vier Verord-
nungen. Die erste ordnet an, datz der finische Senat in Zuknnft
dem Generalgouverneur nnterstellt sein soll. Der Senatsrat,
der!die vom Senat zu verhandelnden Matznahmen voübereitet,
hat in Zukunft seine Weisnngen vom Generalgouverneur M
erhalten. Bei jedec wichtigen Sitzung wird der Generalgonver-
neur oder deffen Adjutmit zugegen sein. Ohne die Einwilligung
des Gonverneurs und ohne seine Anlvesenheit darf kein Be-
schlutz gefatzt werden. Er hat das Recht, alle Beschlüffe des
Senats für nngiltig zu erklären. Die zlveite Verfügnng er-
Mächttgt den Generalgouverneur, ohne die angenblicklich not-
tvendige gerichtliche Untersnchung jeden Regievungsbeamtcn
zn entlaffen, der nicht vom Zaren direkt angestellt wurde. Die
dritte Verfügung richtet sich gegen die Unabhängigkeit der Ge-
richtshöfe. Das richterliche Departement des Senats, das nur
noch ein Werkzeug des Generalgouverneurs sein Wird, erhült
die Machibefugnis, nach Gntdünken Richter zu entlassen. Diese
drei Verfügnngen sollen im Oktober 1903 in Kraft treten,
gleichzeitig mit dem Edikt, wodurch das Russische die offizielle
Sprache des Senats wird. Nach Ansicht des „Trmes"-Korre-
spondenten wird die vierte Verovdnung noch gröhere Erbiüe-
rung hervorrufen, als die vorerwähnten. Die Rnssifiziernng
Finlands ivar bisher noch dädnrch erschwert. datz sämtliche Be-
-amte gerichtlich zur Bercmtwortnng gezogen werden konnten.
So wurden noch vor einiger Zeit Schntzleute wegen einer Hand-
lungsweise verurteilt, die Asr Generalgouvernenr belobt hatte.
Die vierte Verfügung ordnet nunmehr an, dah kein Beamter
bor Gericht gezogen werdcn kcmn, ohne die Einwillignng seiner
Borgesetzten. Diese Berordnung soll rückwirkende Kraft er-
hälten, nm die Polizei der Verantwortlichkeit für bereits ge-
schehene Am'tsvertzehen zu entheben. Der „Times"-Korrespon-
dent schlietzt mit den Worten: „Wenn der Zar nicht im lctzten
Augenblick diesen nenen Stäatsstreich verhindert, so wird Fin-
land von der Liste der europäischen Nationen gestrichen sein
imd zn einer Provinz seines halbasiatischen Reiches herab-
sinken."

Kleine Zeitung.

— Versetznng. Der bekannte Bismarckschriststeller,
Gym'nasialoberlehrer Professor Dr. Horst-Kohl in

„Der Schnellzug —- neinl Das bleibt sich ja auch ganz
gleich, ob du zwei Stunden früher oder später ankommst —
na — adieu — grütz' mir Onkel und Dante schön, und bleib'
gesund und schreibe mall Und länger als vier Wochen darfst
dn mir nicht wegbleiben l"

Mnde, hnngrig, fröstelnd langte Lisbcth in Berlin mi.
Beim ersten Mick aus das Lichtmeer war sie aufgesprnngen,
hatte ihr Gepäck znsammengelegt und harrte gespannt nnd
etwas bcmge der Anknnst.

Sie suchte sich das Bild der Verwandten in ihr Gedächtnis
zurückznrufen und grübelte darüber nach, welch Wesen, welche
Att sis Ivohl hätten. Aber da war alles verschwommen.

Nnr dah die Tante damals eine sehr hübsche, lebhafte Dame
gewesen sei, war ihr in Erinnerung geblieben, Sie war i'hr
dcrmals wie ans einer andeven Welt vorgekommen, so sonnrg
und heiter, wie eine Lichtgestalt.

Aber das war ja nnn schcm so biele Jähre her, und die
Dante mochte seftdem eine behäbige, älteve nnd ernste Fvau
geworden sein. Jhre Briefe waven freilich immer recht mnn-
ter, so daß Lisbeth sich jedesmal im Sttllen fragie, ob es denn
wirklich so glückliche und zufriedene Menschen gcibe.

Fhre eigenen Briefe waven freilich mrders ausgefallen,
denn so die rechie Hefterkeit war ihr von den Schnljahren an>,
seit dem Tode der Mutter abhanden gekommen. Mcmchmal,
ja sogar recht oft erschien ihr 'das Leben in ihrem frendlosen
Heim, das sich von der Jugend nnd Fröhlichkeit äbschlotz, trübe
nnd wertlos.

Als der Zug hielt, wartete sie, bis die Reisegenoflen aus-
gestiegen waren, aber kaum hatte ste den Fuh auf das Tritt-
brett gesetzt, so hörte sie schon eine lmfte Stimme, die nach
Berliner Art in schrillen Tönen rief:

„Lieschen, Lieschen . . nach älso, da bist du jal Na, weiht
dn, Karl, d'a hat er daS arme Wurm dritter Klasse fahven
lassen? Wir haften dich nberhaupt mit dem Schnellzuge er-

Chemnitz, ist Yom 1. April 1903 ab an das neubegrüir-
dele königliche Karolagymnasium in Lerpzig berufen
worden.

— Markgräfler Hochdentsch. (Korr.) Zur badi -

schen Klosterfrage äußerte sich in der kleineu
Landgemeiude Efriugen (Amt Lörrach) am 14. d. M.
eine Versamrntring von einem halben hundert Bauern in
folgender Resolution:

„Der politische Name Baden ist in seinein hentigeu
Umfang noch nicht 100 Jahre alt. Trotzdem hat er sich
Achtung erworben durch Erfüllung der wenigen, aber
klaren Ansgäben seines südwestlich vorgeschobenen Po-
stens. Die Haltung war zu jeder Zeit schwieriger als
eben heute; der Wunsch nach Klöstern ist heute nur das
Gedankenspiel Einzelner in engsten politischen Gesell-
schaftskreisen. Ilutzer solchen hat nach nnserer nicht nur
lokaleri Erfahrung kein katholischer Ncann landaus und
llandab ern persönliches Bedürfnis nach Ansiedelüng anch
nur eines Klostermitgliedes in der Nähe seines Wohn-
sitzes. Die katholische Weltgeistlichkert selbst steht Klö-
stern in allen Ländern mindestens gleichgiltig gegenüber.
Die Seelsorge bedarf iu keiner Konfession korporativ
auszuübender Handgrisse. Gegen Sozialismus
insbesondere haben Klöster nie geholfen. Sie selber ver-
sagen sich den Sinn für F a m i I i e, Eigentnm und
VaterIan d."

„Gegen Angriffe der Gegenresormation im Kleinen
ist Abwehr einzig die Maner des Prinzips; sie hat sich im
Kainpf bewährt. Jm Frieden der hentigen Festesstim-
mung in diese Mauer mit eigener Hand Bresche zu rei-
ßen, würde an den Tag tegen einen Trugschluß von troi-
scher Bedauerlichkeit. Eine Gegenleistung wird mrsereZ
Wissens nicht einmal znm Schein geboten; lediglich der
gute Glaube mag dem einzusüyrenden Weihegeschenk eine
frie'dliche Bedeutrmg beimessen."

„Die Zulassung von garnisonmäßigen, parteikirch-
lichen Fachbetrieben in Baden wäre ein Bruch mit einer
der wenigen Ueberlieserrmgen, unter denen Baden des
geistigen E i n f l u s s e s i m n e n e n R e i ch nnd damit
des Fortbestandes für eine fernere Zukunst sähig und
wcrt geworden ist."

„Zahlreich in Efringen versammelte Männer der in
vielhundertjährigeni Genuß badischen Fürstenwaltens er-
blühten niarkgräslichen staMmlande bitten daher, auch
die gegenwärtig bestellte Regierrmg Seiner 51öniglichen
Hoheit unseres über alles hochverehrten Großherzogs
wolle von der Verbotsvollmacht des Paragraph 11 des
Gesetzes vom 11. Oktober 1860 den hergebrachten Ge-
brauch machen."

Jm Lande Hebels versteht man also auch hochdentsch
sick verständlich zu machen.

— Bcrlin, 24. Sept. Die G e l d v e r h ä l t n i s s e
der R e i ch s h a u p t st a d t, die noch vor einem Jähre
einen Neberschuß von einigen Dcillionen Mark aufzuwei-
sen hatten, haben sich im letzten J-ahre derart verschlech-
tert, daß sich ein Fehlbetrag von 86 000 Mk. ergeben
hat, was den Stadtvätern doch zu denken geben sollte.
Bei dem Niedergang aller Geschäfte wird kaum davon
die Rede sein konnen, die Steuerschraube noch mehr an-
zuziehen, zumal die Steuerkraft der breiten Massen durch
den geringen Verdienst an sich erheblich nachgelassen hat.
Bei dieser Gelegenheit muß der aufsallenden Erscheinung
Erwähnrmg gethan werden, daß bei den einzelnen Kapi-
teln des Haushaltes der Poranschlag mn rund 2^ Mir-
lionen überschritten wurde, die jetzt nachbewilligt wec-
den müssen. Solche Ueberschreitrrngen, wenigstens in
einer derartigen Höhe, sollten nnter allen Umständen
vermieden werden, und anch bei Ausgaben zu wohlthä-
>tigen und humanitären Zwecken sollte man neben der
Bedürfnissrage auch die Finanzfrage mehr als bisher im
Ange behalten. Das Bewilligen von Geldausgaben für
Wohlfahrtszwecke findet seine Grenzen in den vorhan-
denen Mitteln, und die Stadtverwaitung kann sich nach
dieser Richtung schon einige Zügel anlegen, da die Steuer-
zahler ein derartiges Geldbewilligen auf die Daner nicht
ertragen können. Es wird höchste Zeit, zu einer weiscn
Sparsamkeit zurückzukehren, selbst wenn darunter das
Schönheits- und Kunstbedürfnis etwas leiden sollte. Dies
mag der 'befriedigen, der es kann; die Stadt Berlin
kann es zur Zeit nicht. Wo der Sparsamkeitshebel anzu-
fetzen ist, werden Magistrat und Stadverordneie zu er-
mitteln haben; daß er aber angesetzt werden muß, da-
rüber ist sich die Mehrheit der Steuerzahler längst einig.

wartst, und tväre dein Telegramm nicht gejommen . . . Nein,
Karl, sieh bloh, tnie hnbsch däs Mädel getvorden i Die ganze
Mutter! Viel hnbscher als auf den 'hählichen, kleinstädtischen
Bildern I"

Die Dante sagte noch eiiciges, tvas Lisbeth in der Anf-
regung gar nicht verstand, kühte sis herzlich ab und nberslutete
sie mit einem Strom von Liebenstvürdigkeften, so dah der
Onkel Professor gar nicht zn Worte kommen konrcte.

Der Onkel begnngte sich damit, thr die Hand krästig zu
schütteln, ihren Handkoffer zn nehmen und -das Gepäck mft
Hilse eities Trägers zu besorgen.

Endlich sahen sie in der Droschke und fuhren los. Rings-
Nmher tobte die riesige Stadt. Lisbeth tvar ansangs gang
bestürzt nnd betäubt von dem Höllenlärin, von den nie ge-
hörten Geräuschen, dem Gerassel der Droschken und Lastwagen,
dem Geklingel, Schreien, Rusen, dem Menschengewimmel und
der taghellen Belenchiung — von dem ganzen weltstädtischen
Geftiebe, das dein Berliner so selbstverständlich und kaum
mehr beachtensweft erscheint, den Neuling crber im Ansang
überwältigt, bis cmch er sich daran gewöhnt hctt.

Onkel nnd Tante schienen ihren Gemntszustand zu bemer-
ken und überschrien -dcn LLrm mit ihren lanter Berliner Sttm-
men. Und berde sprüchen sie so fröhlich und grohstädtisch
lebhast, sie sahen so lebensfreudig aus, dah es Lisbeth znletzt
ansteckte und wie ein Fieber, ein Rausch überkam. Sie lachte
selbst und erzählte nnn so lebhast, wie sie es knrz vorher
gar nicht für möglich gehalten.

Dabei schante sie immer wieder zum Fenster hinaus cmf
die Stratzs, bewundefte die hohen Häuser, die vielen, taghellen
Lichter, die eiligen, rastlosen Menschen, als Kind war sie einmal
in Berlin gewesen, aber die Eftrmernng darcm war nur schat-
tenhast. Es war alles untergegcmgen in ihren HLuslichen
Pflichten nnd dem ganzen Bcmernmilieu.

(Foftsetzung folgt.)
 
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