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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 177 - 202 (1. August 1903 - 31. August 1903)
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habe und Schlesien aus den eingehenden Gaben unter-
stützen werde.

— Bei der Erörterung der „gesamten Lage unserer
gegenwärtjgen nationalen Angelegenheiten" zwischen dem
Großherzog und dem Staatssekretär v. Richthofen sind,
wie die „Volksstimme" aus zuvsrlässiger Quelle erfahren
haben will, auch die k i r ch e n P o I i t i s ch e n S t r e i t-
fragen zur Sprache gekommen, um, wenn möglich, ein
prinzipiell einheitliches Vorgehen der Reichs- und der
badischen Landesregierung in Sachen des I e s u i t e n g e-
setzes und der MännerkIöste r herbeizuführen. Zu
welchsm Ergebnis diese Aussprache führte, konnte das
Blatt nicht in Ersahrung bringen.

-— Der „Staatsanzeiger" veröffentlicht die Bekannt-
machung des Minifteriums des Großherzoglichen Hauses
und der auswärtigen Angelegen'heiten betreffsnd die Er-
bauung einer Nebeneisenbahn von Biberach nach
O b e r h a r m e r s b a ch.

— JnKon st anz benutzten am Sonntag die llltra-
montanen die Fahnenweihe des katholischen Männer-
vereins zu eiuer W a h l s i e g e s f e i e r. Sie beguügten
sich dabei jedoch nicht mit Bankett und Reden in geschlosfe-
nen Sälen, trugen ihre Trinmphstimmung vielmehr auf
'die Straße hinaus. Jm Konstanzer Zentrumsblatt war
«m Samstag hierauf bezüglich zu lesen:

„Der Festzug gibt allen Gelegen^eit, sich um das neue
Banner zu scharen und unter dem Bortritt der Musikkapelle
<Stadtmusik) die heimischen Stratzen unserer allezeit
freundlichen Stadt zu durchwandern und die E r-
gebenheitsgrühe ihrerBewohner entgegen-
zunehme n."

Tie „Konst. Ztg." erinnert beiläufig daran, daß das
Zentrum in der Stadt Konstanz am 16. Juni nicht viel
mehr als ein Viertel der adgegebenen Stimmen er-
halten hat. Wenn also diefes ein Viertel der Bevölkerung
sich das Recht hevausnimmt, auf offsner Straße
dem schwarzen Vanner chre 'Ergebenheitsgrüße
zu übermitteln, so muß es den übri'gen drei Vierteln auch
gestattet sein, in ihrem Sinne zu der öffentIichen
Parteiveranftaltung Stellung zu nehmen. Nun hätten
wir aber einmal das Geschrei der klerikalen Presse höreu
mögen, wenn — etwa durch eine liberale oder sozialistische
Ge g e n d e m o n st r a t i o n — der Versuch unternom-
men worden wäre, die beabsichtigte Wirkung der. anmaßen-
den Zentrumsveranstaltung zu paralysieren! 'Wenn es bei
einer solchen Gelegenheit, dersn Ausnützung im parteipo-
litischen Jnteresse jetzt, volle neun Wochen nach der Wahl,
denn doch gar zu sehr an den Haaren herbeigezogen er-
scheint, nicht zu peinlichen Zwischenfällen kommt, so hat das
Zentrum jedenfalls nicht das Verdienst darau.

— Die „Münch. Neuest. Nachr." berichten über ein
Nachspiel zur Reichstagswahl. Jn Bettmaringen
hatten am Stichwahltage die drei Töchter eines greisen
Bauern ihren Vater dadurch verhindert, einen liberalen
Stimmzettel abzugsben, daß sie ihm die Beine zusammen-
'banden. Durch eine Zeitungsnotiz aufmerksam gemacht,
hat sich die Staatsanwaltschaft dieses Falles angenommen
nnd die Töchter in Anklage versetzt.

Karlsrnhe, 18. Aug. Nach der „Straßb. Post"
will der Zentrumsführer Geistl. Rat Wacker keine Kan-
didatur, sei es für Ettlingen oder für den jüngst freige-
wordensn Wahlbezirk Triberg, mehv annehmen. Der
Grund zu diesem Entschluß sei auf keinerlei Politische
Ursachen zurückzuführen, sondern ausschließlich in dem
'leidenden Gesundheitszustand djeß Parlamentarievs zu
sucheu, der den ganzen Winter hindurch die heftigsten
Gichtanfälle zu bestehen hatte. Es bleibt abzuwarten, ob
sich die Nachricht bestätigt. Bekanntlichl leidet Herr Wacker
schon seit Jahren an Gicht und dns schmerzvolle Leiden
hat ihn schon öfters lüngere Zeit von den Sitzungen des
Landtages ferngehalten.

Laycrn.

M ünchen, 18. August. Die Prinzessi n R u p-
precht hatte auf ihrer jüngst beendeten Reise eine An-
zahl leichterer Erkrankungen, die in Tokio bei schwererem
Auftreten als Appendizitisanfälle (Blinddarmendzün-
dung) diagnossizisrt wurden, weshalb schon dort eine
Operation beabsichtigt war. Auf der Rückreise in Newyork
wurde die Behandlung der Prinzessin von Dr. Kiliani
übernommen, der die hohe Patientin hierher begleitete
und herite nach der gestern in Possenhofen vorausgegange-
nen Konsultation mit Professor Dr. v. Bauer und Hofrat
Dr. Walther, den Appendix (Wurmfortsatz) o P e-
rativ e n t f e r n t e. Die Operation wurde im Roten
Kreuz vorgenommen und verlief glatt und ohne Kompli-
kation. Die Assistenz hatte Privatdozent und Klinikvor-
stand Dr. I. A. Ammann, dessen Assistent, Dr. Lunkenbein,
die Narkose übernommen.

-Mich hält es nicht im niedrigen Gemache,

Das Herze will vor Ungestüm mir springen. —

Hinaus! Jhr Stürme sollt ein Lied mir singen!

Und lauschend folge ich dem wilden B a ch e. —

Zwei Sterne lächeln mir so hold hernicder,

So wird cs Friedcn mir im Herzen wieder. —
Schwärmerisch deklamierte so der begeisterte Jüngling. O
alte Burschenhcrrlichkcit! —

Wenn die Regeln dcr wahren Lebenskunst geheimnisvoll
sind, wenigen bekannt und nur von einzelnen befolgt — eins
der grötzten Gcheimnisse ist dieses: Wir sollen in unseren Er-
lebnissen aufgehen, aber nicht untergehen. Wir sollen hinab-
tauchen in den Genutz, den das Leben uns bietet, aber immer
mutz etwas da scin, das uns wieder hochzieht. Wir sollen von
den Eindrückcn überwältigt wcrdcn, aber wir sollen sie nach-
her wiedcr überwältigcn. Wir sollen gefesselt wcrden, aber
uns nachher wieder befreien. „Wir befreien uns von unseren
Leidenschaften, sobald wir sie denken; sie hören auf, unser Zu-
stand zu sein, sobald sie unser Gegenstand werden, wir hören
auf, sie zu 'empfinden, sobald wir anfangen, sie zu betrachten.
Tarin liegt die ganze Bedeutung der Selbsterkenntnis, die
Krisis, die sie in unserem Leben bewirkt. Sie verwandelt un-
sern Z u st a n d in unscrn G e g e n st a n d, sie stellt die
Macht, unter der wir gelebt haben, als Objekt uns gegenüber."
— Tcr uns dicsc Lebensweisheit verkündigt hat, er steht noch

Prcußcn.

Kassel, 18. August. Von zuverlässiger Seite er-
fährt die „Frankf. Ztg.", daß der frühere Berliner Poli-
zeipräsident v. W i n d h e i m, der jetzige Regierungs-
präsident in Frankfurt a. Odsr, zum OberPräs i-
denten der Provinz Hessen-Nassau ernannt worden ist.
Herr von Windheim kommt jung in diese Stellung, denn
sr zählt erst 46 Jahre. Er ist ein Bonner Studiengenosse
des Kaisers.

Aus der Karisruher ^eitung

—- Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben
dem Forschungsreisenden Ernst von Hesse-Wartegg in
Luzern das Kommandeurkreuz zweiter Klasse des Ordens vom
Zähringer Löwen, dem Borstand des Grotzh, Hofzahlamts Geh.
Finanzrat Wilhelm Drechsler das Kommandeurkreuz
zweiter Klasse mit Eichenlaub des Ordens vom Zähringer Lö-
wen, und dem Hoffinanzrat a. D. Adolf Adam in Karlsrühe
das Ritterkreuz des Ordens Berthold des Ersten verliehen.

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben
den Vorstand des Großh. Hofzahlamts, Geh. Finanzrat Wil-
helm Drechsler, auf sein Ansuchen wegen vorgerückten
Alters unter bcsonderer Ancrkennung seiner langjährigcn,
treuen und erspriehlichen Dienste auf den 1. Oktober d, I. in
den Ruhestand versetzt, den Finanzrat Julius Erxleben
bci der Großherzoglichen - Zolldirektion mit Wirkunz vom
1, Oktober d. I. an zum Mitglied der Generalintendanz der
Großh, Zivilliste und zum Vorstand des Grotzh. Hofzahlamts
ernannt, dem Grenzanfseher Karl Grotzkinsky in Basel
die silberne Verdienstmedaille, den Bahnwärtern Friedrich
Räuber auf Wartstation 15 der Wiesentalbahn und Bern-
hard Graf auf Wartstation 218 der Hauptbahn die stlberne
Verdienstmedaille verliehen und den Dr. Karl Schnarren-
berger in Heidelberg zum Landesgeologen ernannt.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
den Bezirkstierarzt Erwin Wehrle in Mosbach auf sein
Ansuchen aus dem badischen Staatsdienst entlassen.

— Amtsaktuar Karl Krettler in Mosbach wurde zum
Registrator beim Bezirksamt Adelsheim ernannt.

— Der provisorische Bezirkstierarzt Adolf Weiler in
Mosbach wurde etatmätzig angestellt.

— Hauptamtsassistent Otto Güß beim Hauptsteueramt
Konstanz wurde zum Finanzamt Thicngcn, sowie die Steuer-
kontrolleure Peter Mayer beim Finanzamt Tauberbischofs-
heim zu jenem in Wertheim, Emil Stetter beim Finanz-
amt Schwetzingen zu jenem in Tauberbischofsheim, Karl
Curtaz beim Finanzamt Donaueschingen zsi jeüem in
Schwetzingen, Adolf Dusberger beim Finanzamt Mosbach
zu jenem in Donaueschingen, Karl Hack beim Finanzamt
Thiengen zu jenem in Mosbach, sämtlich in zleicher Eigenschaft,
versetzt,

Ansland.

Frankreich.

Paris, 18. August, Lasalle, eiu Führsr der
frauzösischsn Katholiken, wurde-vom PaP^t in längerer
Audieuz emp'fangsn. Jn der Audisnz äußerte sich der
Papst über das Konkordat mit Frankreich. Dieses
Werk sei wohl nicht ganz fehlerfrei, aber es gebe denn
doch nichts Besseres, um die gemeinsamen Jnteressen der
Kirche und Frankrsichs zu wahren.

Jtalien.

R o m, 15. Angnst, Der amtlichen Mntragung des
Todes Leo XIII. auf dem römischen Standesamt ist
ein eigentüniliches Mißgeschick widerfahren, Sie geriet
dnrch ein Versehen des städtischen Kanzlisten in das be-
sondere Register, das für Polizeilich gsmeldete Todssfälle
durch Unglück, Selbstmord usw. geführt wird, Begreif-
licherweise schlugen die klerikalsn Stadtväter Lärm, als
sie erfnhren, daß Leo in der s ch w a r z e n L i st e stand,
und verlangten Abhilfe. Das war aber leichter gesagt als
getan, denn eine amtliche Eintragung kann nur durch ein
besonders umstän'dtiches Verfahren abgeändert werdsn,
Nun hat endlich das Gericht die erfordsrliche Entscheidung
getroffen, das Blatt mit Lso XIII. Todesprotokoll wird
herausgenommen und für sich allein in Samt gebundesi
aufbswahrt werden,

Scrbicn.

I) Bclgrad, 18, August. Der König stellle heuts dsm
Offizierkorps den Kronprinzen vor und sagte dabei, er fei
überzeugt, datz alle um ihn in diesem feierlichen Augen-
blick nur von dem Gefühle wahrer Vatsrlandsliebe dnrch-
drungen seien. Er sei glücklich, den Thronfolger in den
Kreis so ausgezeichneter Söhne Serbisns einführen zu
können und hoffe, daß das Offizierkorps seinen Sohn
mit derselben Lie'be empfangen werde, mit der er ihm
den'selben übergebe, Der Kriegsmmister erwiderte im
Namen 'des Heeres, alle seine Kameraden seien erfrent,
ihren künftigm König in ihren Reihen schen zu können,
und hoffen, daß er sie auf den Weg des Ruhmes führen
werde. Nach der Vorstellung fand im Hofgarten ein
Frühstück und dann Cercle statt, bei dem sich der König
nnd sein Sohn mit den Offizieren nnterhielten.

heute auf dem Katheder, seinen Worten lauschen noch heute
— und mehr dcnn jc — lebcns- und wisscnsdurstigc Jüng-
linge. O, Heidelberg, bu bist schön! O, Burschenleben, du
warst köstlich und herrlich! Und doch mutz ich gestehen: die
schönsten Stunden, die ich in dem schönen Heidelberg erlebt
habe, sind die gewesen, da ich zu den Füßen des Mannes sitzen
durfte, der, selber ein Jüngling im Silberhaar, in uns erst
die -wahre, rechte Jugend wach rief, dessen unvergleichliche Be-
redtsamkeit uns gefangen nahm, der uns, ein König im Reiche
des Geistes, Schätze bot, die unvergänglich sind. Wenn Heidel-
berg, der blotze Laut, in mir alles lebendig macht, was jung,
frisch, schön und herrlich ist, wenn ich für alles das Dank
schulde, unbezahlbaren, unaussprechlichen Dank, — der weit-
aus grötzte Teil gebührt unseren geliebten Meister Kuno
F i sche r.

Heidelberg. — Welche Fülle der Gesichte!

Und was wir so mit tiefstem Gemüte genossen, mit völlstem
Bewutztsein durchlebt haben, davon müssen wir uns, obschon
schweren Herzens, doch klaren Auges, auch wieder losreitzen
können. So will es die Fortentwicklung der Jndividualität,
so will es das Leben, das hinter den alten Koulissen immer
wieder neue Bühnen aufbaut. Alles zu seiner Zeit! Zwar
Heimweh fatzt uns manchmal wieder nach dem Alten, das wohl
überwunden, abcr als solchcs ein wichtiger Teil unseres Le-
bens, ein Stück unseres Selbft ist. Wir zaubern uns für

Amerika.

Newyor k, 18. Auguft. Die AbIehnnng des
Kanal-Vertrages ist hauptsächlich bem Verlangen
der Union, Kolumbia solle gewisse Souveränitäts-
rechte über den Kanalstreifen aufgeben, zuzuschreiben.

Aus Stadt und Land.

Hcidelberg, 19. August.

Mannheim, 19. Aug, (Z u m Streik bei Lanz.) Eine
heute Nachmittag im Saalbau abgehaltene stark besuchte Ver-
sammlung der Streikenden beschloß auf Antrag Dreesbachs
e i n st i m m i g, die badische Fabrikinspektion zu
Karlsruhe anzurufen, damit diese Unterhandlungen zwischen
der Firma und den Streikenden einleite.

Mannheim, 19. Aug. (S o z i a l d e m o k r a t i s ch e r
TerrorismusbeimStreik beiLanz.) Dem hie-
sigen „Organ für die Jnteressen des Volkes" paßt der bisherige
Berlauf des „Generalstreiks" bei Lanz durchaus nicht in den
Kram; die mäßige Beteiligung der Arbeiter an dem Ausstand
bringt darum die „Volksstimme" auf dic absonderlichsten Jdeen.
So bezeichnet das sozialdemokratische Blatt die noch Arbeiten-
den als „Meister, Lehrlinge und sonstiges, im strengen Sinne
nicht zu den Arbeitern gehöriges Personal". Also unter diese
Karegorie werden sich nach dem Ukas der „Volksstimme" die bet
Lanz noch tätigen Arbeiter fortan zn rechnen haben. Wie es
aber in Wirklichkeit um das „nicht zu den eigentlichen Arbei-
tern gehörige Personal" steht, wird ersichtlich aus dem Passus,
den sich das sozialistische Organ im Anschlutz an obige Aus-
lassung leistet. Es heitzt da:

„Wie wir hören, wird das Streikkomitee demnächst öie
Namen derjenigen v e r ö f f e n t l i ch e n , welche
Weiter arbeiten; auf diese Weise erhält man einen
ganz genauen Ueberblick über den Stand des Streiks und
autzcrdem erfährt man, wer von den Arbeitern so wenig^
Solidarität zeigt, datz er jetzt noch dem Streik fern bleibt."

Das ist der krasseste Terrorismus, wie man ihn sich schlim-
mer nicht ausmalcn kann. Durch Veröffentlichung der Namen
derjenigen, welche noch in der Lanzschen Fabrik tätig sind, wilt
man auf dicse cinen unerhörtcn Druck ausübcn und sie zur
Arbeitsnicderlegung förmlich zwingen. Die Anmatzung auf
die Spitze treiben heitzt aber der weitere Absatz der „Volks-
stimme", in dem Folgendes zu lesen steht:

„Wie uns weiter mitgeteilt wird, befinden sich unter den
Streikbrcchern auch Leute, die der Hunger wahrlich nicht
zu ihrer schönen Handlungsweise treibt. So hat heute Ler
Sch r e i n e r Heinrich Wüpfler die Arbeit wieder
aufgenommen, obwohl derselbe in der N e ck a r v o r st a d t,
Waldhofstraße, einen Spezereiladen hat und sehr
gut auskommen konnte, wcnn er auch einige Wochen im
Strcik stand. Seine Arbciterkundschaft wird ihm diese
Handlungsweise schlecht lohncn."

Hier wird also die gesamte Arbeiterschaft aufgefordert, einen
Arbeitskollegen, der von seinen ersparten Groschen ein kleines
Geschäft erworben hat, zu boykottieren und auszuhungern, nur
weil dieser es für besser und vcrnünftiger gehalten hat, die
Arbeit wieder aufzunehmen. Wo bleibt denn in solchen Fällen
die von der „roten Jnternationale" in Pacht genommene Frei-
hcit, Gleichheit und Brüderlichkeit" ? Ein schlimmeres Faust-
recht als die angezogenen Fälle sozialdemokratischen Terroris-
mus' ist auch in einem Staate nicht möglich, wo Knute und
Peitsche noch rcgiercn. Da kann man in der Tat nichts an-
deres sagen als: Gott bewahre die Arbeiter vor ihren Freun-
den!

X Von der Kergstraße, 16. August. (Die Sängerreise
des L e h r p r g e s a n gv e x e i n s M a n 'n h e i m - L u d-
wigshafen), die 10 Tage währte, und deren Mitglicder
die stattliche Zahl von 150 Teilnehmern nnd zwar 130 aktive
imd 20 passive aufwies, war im wahren Sinne des Wortes
dcr reinste Triumphzug. Ueberall wohin wir kamen, die leb-
hafteste Begeisterung und der Lberaus herzliche Empfang, so
in Konstcmz, Bregenz, Feldkirch, Jnnsbruck, Salzburg und end-
lich München. Ein Ort suchte den andern an Begeisterung und
Herzlichkeit zu überbieten. Die Sangesbrüder in Feldkirch
wollten uns absolut bestimmen, etliche Tage bei ihnen zu ver-
weilen und in Salzburg wurde in der Festungsrestauration beim
gemütl. Frühschoppen sogar das vertrauliche „Du" von Salz-
burger Sängern vorgeschlagen und angenommen. Ueberall eine
unbeschreibliche Begetsterung und herzliche Aufnahme. Jn öben
genannteii! Orten wnrden je Aüends Konzerte gegeben, die
autzerordentlich zahlreich besucht waren u. deren Reinerträgnis
zn Wohltätigkeitszwecken berwendet wnrden. Das in Salzburg
am letzten Wend abgehaltene Konzert im Löwenbräugarten
dürfte von mmdestens 6000 Personen besucht gewesen sein. Die-
Abstecher, die von Salzburg aus gemeinsam unternommen
tvurden, und die in Abwechslung unvergleichlich Schönes' boten,
so an den Königssee, ins Salzkammergut, nach Berchtesgaden,
an den Wolfgangsee, mit der Zahnradbahn auf die unvergleichlich
schöne Schafbergspitze, nach Herrenchimsee mit dem Feenschlosse
Ludwigs II., dem Starnbergersee dürfte jedem Teilnehmer einc
immerwährende Erinnerung sein und Lleiben. Mit einem
Worte: Wir haben grohartige, schöne Tage verlebt und Herr-
liches in der Gottesnatur geschaut.

Vom Odenwald, 19. Aug. (E r n t e a u s s i ch t e n.)
Wir haben nun seit Samstag ein wahres Bärenwetter, das für
die Bauersleute von verhängnisvollen Folgcn werden mutz,
wcnn nicht ganz rasch ein entschiedener Wechsel eintritt. Jn
den höheren Lagen hatte man gcrade erst begonnen, Korn zn
schneiden und einzüheimsen. Vieles liegt nun geschnitten in
diesem ständigcn Unwetter; auch das, was noch nicht geschnit-
ten ist, geht zu Grunde. Spelz, Hafer und Gerste sind in den
höheren Lagen noch grün. Was kann nun daraus wcrden,
da alles am Boden liegt? Und nun erst die Kartoffeln! Die-
ses Brot der Armen! Allcnthalbcn bcginncn solche furchtbar
zu faulen, so datz man leider mit zu grotzer Berechtigung mit
bcmger Sorge der Zukunft entgegensieht.

Lörrach, 18. Augsift. (D e r Mörder Fink verhaf-
tet.) Der seit drei Wochen verfolgte Mörder Fink wnrde nach
heftigem Widerstan'd in Neudorf im Oberelsatz beim Arbeit-

kurze Zeit die Herrlichkeit wieder vor, wir singen und jubi-
lieren, wir sind lustig und ausgelassen — und doch fühlen wir
tief innerlich: es ist nicht mehr so, das Alte ist unwiederbring-
lich dahin. — Durch allen Jubiläumsjubel klingt leise die
Stimme der Vergänglichkeit; und mitten unter Becherklang,
der das fröhliche Wiedersehen am alten reichbeschnitzten Linden-
tische begleitet, schreibe ich in dasselbe Buch, das Zeuge so
mancher fröhlicher Tischrunde, so ungebändigt ausgelassener
Laune ist, dic Worte:

Wandrer sind wir aus der Erde.

Und ob rauh der Wcg, ob heiter —-
Weiter müssen wir, stets weiter,

Tatz der Lauf vollcndct wcrde.

Winkt uns so ein frohes Glück;

Wollen wir dort stille stchen —

Ach, wir müssen weitergchcn,

Blickcn wehmutsvoll zurück.

Heimweh treibt uns wicdcr her. —

Und wenn wir nach langcn Jahren
Tann desselben Wegcs fahren,

Jst es nicht derselbe mehr. —

H a v c l o k.
 
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