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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0573
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Diesstag, 22. LtjiLenckr 1V3.

stes BlMtt-

45. Z

.4.: 22!-




Erscheint täglich, Sonntags ausgcnommen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's HeuS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt 4V Pfg. Durch die Post

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Rne Ilnterredung mit dem Grafen Bülow.

Wien, 21. Sept. Das „Neue Wiener Tagebl." be-
lichtet über eine Nnterredung mit dem Reichs-
E a n z I e r G r a f en B ü l o w. Jn Bezug auf die H a n-
^elsverträge sagte der Reichskanzler, „er hätte von
^em Wunsche geleitet, die Schwierigkeiten, die Oesterreich-
ilngarn aus der innerpolitischen Lage erwachsen, nicht zu
berschärfen und die Andauer guter handelspolitischer Be-
Äehungen nicht zu stören, bisher davon abgesehen, zu Ver-
handlungen zu drängen oder den Vertrag zu kündigen.
Natürlich könne der Augenblick kominen, wo man nicht
iänger warten könne. Ueber die O r i en tp o Ii t i k sagte
^raf Bülow, die deutsche Orientpolitik verfolge keins
Tonderziele, sie wandle keine Wege, die von denen der
^esamtheit der iibrigen Großmächte abweichen. Deutsch-
^and denk'e nicht daran, die Türkei zum Wrderstand gegen
E>ie Politik der Mächte aufzureizen und sei mit seinen Rat-
lchlägen überhaupt sparsam. Wie anderwärts, so wünsche
Ls auch im Orient Frieden und eine friedliche Ent-
ivicklung der Dinge. Also Deutschlands Politik sei vor
allem eine friedliche und entsprechend der geographischen
^age Deutschlands zur Türkei naturgemäß auch eine
Zurückhaltende. „Jm Orient stehen wir in zweiter und
dritter Linie; da sind wir die Triarier. Alle Mahnahmen
Und Schritte zur Verbesserung der Zustände auf dein Balj-
lan, über welche die näher beteiligtsn Mächte Oesterreich-
Ilngarn und Rußland miteinander einig geworden sind,
haben von deutscher Seite immer volle und bereitwillige
Unterstützung gefunden und werden sie auch fsrner finden.
Die Rolle eines Protagonisten spielen wir in Balkandingen
nicht. Diese Ehre überlassen wir den dort direkt inter-
essierten Kabinetten, zu deren Einsicht und Nmsicht wir
volles Vertrauen haben." Jn Betreff dsr Reformen
lagte Graf Bülow: „Bei einem so schwierigen Problem
wuß man sich vor zu radikalen Kuren und plötzlichen Ein-
griffsn hüten." Auf die Frage, ob es zum Kriege
Awischen Bulgarien und der Türkei kommen werde, er-
widerte er: „Auf Prophezeiungen lasse ich mich ungern
ein. Die Zeitsn, in welchen Propheten auch eine Politische
Rolle spielten, sind vorbei. Heutzutage fällt man mit dem
Wahrsagen so leicht herein; ich hoffe aber, daß die ener-
gischen Vorstellungen der Mächte und die Ueberzeugung,
daß bei einem Konflikt für die Beteiligten nicht viel Gutes
herauskommen kann, eine Erplosion verhindern werden.
Jn jedem Fall würden aber die Bemühungen dahin gehen,
den Konflikt zu lokalisieren, aber wie gesagt, und ich wie-
derhole es, alle Maßnahmen und Schritte zur Besserung
der Zustände auf dem Balkan, über welche die näher be-
teiligten Mächte Oesterreich-Ungarn und Rußland mit ein-
ander einig geworden sind, haben von deutscher Seite
immer volle und bereitwillige Unterstützung gefunden und
werden sie auch ferner finden."

— Die französtschen Professoren Dubois und Meslier.
die eine Reise nach Deutschland zum Studium der T u -
berkulose-Sanatorien gemacht haben, erklärten
einem Mitarbeiter der „Eclair", daß die deutschen Ein-
richtungen zur Bekämpfung der Tuberkulüse, auch die-
jenigen der Schlachthäuser, dsn entsprechenden französi-
schen entschieden überlegen sind.

Badcn.

Baden, 19. Sept. Der Abgeordnete Eckert hat
sein Landtagsmandat für den Bezirk, Baden-Bühl nieder-
gelegt, weil er zum Domänendirektor des Fürsten von
Löwenstein ernannt worden ist.

Schwetzingen, 21. Sept. Jm „Ritter" hierfelbst
fand gesterir Nachmittag eine Vertrauensmännerversamm-
lung der Z e n t r u ms p a r t e i des Landtagswahlbezirks
statt. Dieselbs war von 124 Vertrauensleuten besucht
und beschloß die Ünterstützung öer demokratischen
Kandidatur E d e r.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Ober-Postpraktikant Erwin Keim in Konstanz wurde
in einer Bureaubeamtenstelle erster Klasse bei der Kaiserlichen
Ober-Postdirektion in Konstanz angestellt.

— Bahnverwalter Friedrich Merk in Schaffhausen
wurde nach Offenburg, Betriebsassistent Heinrich Feld in
Lauda nach Biberach-Zell, Betriebsassistent Friedrich Hof in
Kehl nach Rastatt, Betriebsassistent Hermann Schmitt in
Friedrichsfeld nach Heidelberg und Betriebsassistent Julius
Stork in Durlach nach Offenburg versetzt.

Karlsruhe, 21. Sept. Die Großherzogin
begab sich heute Vormittag mit der Eisenbahn von Kon-
stanz über Singen und Jmmendingen bis zur Station
Thiergarten bei Sigmaringen und von da mit Wagen nach
Stetten am kalten Markt zur Besichtigung einer Aus-
stellung von Judustrieschulen des Bezirks. Jhre König-
liche Hoheit beabsichtigt am späteren Nachmittag mit Wa-
gen von Stetten nach Meßkirch zu fahren, dort einen
mehrstündigen Aufenthalt zu nehmen und abends nach
Schloß Mainau zurückzukehren, wo die Ankunft etwa um
Mitternacht erfolgen soll.

AuslanL.

Oestcrreich-Uugarn.

Lemberg (Galizien), 19. Sept. Dem „Slowpolski"
zufolge wurde gestern entdeckt, daß die Mobilma-
chungspläne aus dem Kavallerie-Truppenkommando
entweudet worden sind. Der Dieb war vom Boden-
raum aus durch die Zimmerdecke hindurch in die Divisions-
kanzlei eingedrungen. Der Diebstahl ist wührend der
Kavalleriemanöver verübt worden.

Frankrcich.

Paris, 18. Sept. Dem „Petit Journal" zufolge
! wurde Jakob Lebaudy, der sogenannte „Kaiser
f derSahar a", von seinem Regiment zu einer 13tägigen
' L a n d w e h r ü b u n g eiuberufen.

England.

Londou, 19. Sept. Jn einem Schreiben vom 18.
September an deu Vorsitzenden der Tarikreform-Vereini-
gung sagt Chambertain: Wir habeu genügendes
Material an Tatsachen und Ziffern, wir müssen jetzt die
Folgerungen 'daraus aufstellen und das Volk dazu bringen,
sie anzunehmen. Nämlich: 1. EngereWerbindung
mit den Kolonien durch Vorzugstarife und das Be-
streben, das Reich, was die N a h r un g s mi tt e lv e r-
sorgung anbelangt, auf eigene Füße zu stellen. 2. A n-
wendung des Tarifes als Waffe, um von ande-
ren Nationen größere Gegenseitigkeit zu erlangen und um,
wo solches Abkommen nicht erreicht wird, durch Vergel-
t u n g s m a ß n a h m e n zu verhindern, daß dsu infolge
Wettbewerbs durch Schutzzölle geschützteu Staaten der
Markt in Englcmd uud dem britischen Reiche verloren
gehe. — „Spectator" meint, Balfour werde mit feinem
neuen Schutzzollprogramm belastet und nicht die Mehrheit
im Lande erlangen köuneu. Der Wahlausgang dürfte zum
Versuch eines KabinettsRosebery führen, das stch
aber nicht lange halten werde.

L o n d o n, 19. Sept. Die lebhafte Erörterung der
durch Chamberlains Rücktritt umgeschaffenen
Lage dauert in allen Kreisen fort, und ganze Wolksn
von Gerüchten steigeu auf, doch sind Tatsachen von Be-
deutung iiicht zu verzeichnen. Das vierte znrücktretende
Kabinettsmitglied, Lord Balfour of Burleigh,
Minister für Schottland, wurde hier formell nicht als ab-
gegaugen erwähnt, weil er im Augeublick am Hoflager
in Balmoral als diensttuender Minister weilt und erst
durch Lord Landsdowne abgelöst werden muß, ehe sein
Austritt erfolgen kanu. — Der Premierminister Balfour
ist zum Könige nach Balmorall zum Vortrag abgereist.
Vermutlich handekt es sich um den Ersatz des ausgetretenen
Ministers.

Serbicn.

BeIgra d, 20. Sept. Wie verlautet, wird das
Kabinett gleich nachBeendigung der Skuptschinawahlen
ssine Demissiou geben, um der Majorität Zeit zur
Zusammensetzung des nerien Kabinetts und zur Ausarbei-

tung eines Programms für die Skuptschina zu gsben.

. .. > ---

Zur Fraqe der Verbreiterunlk der neuen
Brücke

sind in letzter Woche im „Heidelberger Tageblatt" zwei Artikel
crschienen, welche gegen eine Regelung d-r Sache auf der ir.
dem stadträtlichen Druckbericht vom 13. August ds. Js. bezeich-
neten Grundlage Bedenken erheben.

Der Verfasser jcner Artikcl sieht sich veranlaßt, zunächst
festzustellen, daß die Genehmigung zur Erbauung einer elek-
trischen Bahn nach Neuenheim und Handschuhsheim von der
Ausführung de's Verbreiterungs-Projekts unabhängig sei.
Diese Fcststellung trifft insofern zu, als deni dringenden
Wunsche der Stadtverwaltung, wonach die Einlegung eines
Gleises für die elektrische Bahn in die Fahrbahn der neuen
Brücke schon in ihrer dermaligen Breite gestattet werden soll,
seitens der beteiligten Staatsbehörden aller Voraussicht nach
entsprochen werden wird. Es waliet aber weder im Stadt-
« rat, noch bei den betreffenden Staatsbehörden eine Mei-

Meiue Zeitmrs.

— Kaffch 21. Sept. Die Versammlung deut -
scher Naturforscher und Aerzte, die außeror-
dentlich zahlreich besucht ist, wurde heute Vormittag feier-
lich in Gegenwart der staatlichen und gemeindlichen Ver-
treter eröffnet. Die Eröffnungsrede hielt namens des
geschäftsführenden Ausschusses Professor HornstÄn. An-
schließend wurde ein Huldigungstelegramm an den Kaiser
abgesandt. Sodann begrüßte Regierungsprästdent Trott
zu Solz namens der Staatsregiernng die Versammlnng.
Cine Anzahl anderer Begrüßungsansprachen folgte.

— Gel,. Rat von Behring wird auf der Versammlung der
Naturforscher und Aerzte in Kassel am 25. Sept. ds. Js.
wichtige neue Mitteilungen über die Tuberkulosebe-
kämpfungbei Menschen machen. Die gesamte Mensch-
heit erwartet diese Resultate von Behrings mit Spannung.
Am gleichen Tage wird der Vortrag auch im Buchhandel zum
Preise von 1 Mark (bei Elwert, Marburg) erscheinen.

— Bcrlin, 17. Sept. Die Studiengesellschaft
sür elektrische Schnellfahrtein hat gestern
ihre Fahrten wieder aufgenommsn. Ober-Jngenieur Dr.-
Jng. Reichel suhr mit dem Schnellmotorwagen der Firma
Siemens u. Halske die neugebaute Strecke der Milrtär-
Lahn mehrmals auf nnd ab und erzielte, der „Freis. Ztg."
zufolge, Geschwindigkeiten bis zu 172 Kilo-
meter. Demnächst wird nun auch der Motorwagen der
Allgsmeinen Elektrizitätsgesellschaft wieder die Strecke be-
fahren. Es läßt sich erwarten, daß die Studiengesellschaft
das vorgesetzte Ziel, die Fährgeschwindiglkeit auf 200
Kilometer zu bringen, erreichen wird.

— Paris, 21. Sept. Wis ans Aix les Bains be-
richtet wird, ist dort in der verflossenen Nacht ein grausn-
voller M o r d verübt worden. Ilnbekannte Täter drangen
in die Wohnung einer bekannten Halbweltdame ein, er-
mordeten ste und ihre Kammerzofe. Eine Gesellschafts-
dame wurde schwer Verwundet. Es wurden Wertpapiere
uüd Juwelen in Höhe von 200 000 Francs gercmbt.

— Paris, 20. Sept. Die Blatter verösfentlichen die
beruhigende Mitteilung, daß die Verwaltung des Louvre-
Museums unbestreitbare schriftlichs Beweise für die E ch t-
heit sämtlicher Stücke des Silberschatzes voN Roszoreale
besitzt.

— Die dcutsche Journalisten-Hochschule, die am 15.

Oktober ihr 9. Semesters beginnt, hat drei Freii-
stellen eingerichtet. Bewerbungen sind bis zum 30.
September an den Leiter Dr. Richard Wrede,
Werlin 'VV. 67 zu richten. Die Journaliften-Hochschule
untersteht einem Kuratorium, bestehend aus Vertretern
journalistischer Berufsvereine, und ist das einzige derartige
Jnstitut in Deutschland.

— Dreizchn Jahrc in einer Glctschcrspalte. Vor 13

Jahren machte dsr Windischmatreisr Bergführer Unter-
steiner eine Tour im südlichen Großvenedigergebiet und
verschwand in einer Gletscherspalte. Die LeiM zu bergen
war unmöglich. Schon hatte man längst die Hoffnu-ng
aufgegeben, vom Untersteiner je eine Spur zu entdecken,
da überschritt der Pinzgauer Führeraspirant Gasser am
3. d. M. den Dorfer-Ferner und bemerkte unweit der
Zunge desselben etwas Dunkles: es war die vom Gletscher

ausgeworfene Leiche Untersteiners. Diese selbst, sowie
die Ausrüstung zeigten sich ganz unversehrt.

— Ein Kulturbild aus dem Ostcn hat der Wresche >
ner Fluchtbegünstlgungsprozeß, der kürzlich in Gnesen
'begonnen wurde, enthüllt. Es wird berichtet: Der Ange-
klagte 'Janicki kratzt sich fortwährend, und die neben ihm
sitzenden Angeklagten von Koscielski und Propst Labedzki
rücken ein Stück von ihm ab. Die Sache erregt großes
Aufsehen, und auch dem Präsidenten fällt es auf. Da in
der Runde nunmehr alle anfangen, sich Zu kratzen, wird
die Situation komisch. Endlich sagt der Janicki: „Jch kann
es nicht mehr aushalten, die Läuse beißen mich so furcht-
bar." Aus die Frage 'des Präsidenten, was es mit dem
Ungeziefer für eine Bewandnis habe, erwiderte Janicki,
daß es in der Gefängniszelle, in der er die Nacht hatte
zubringen müssen, von Läusen wimmele. Er streicht die
Aermel hoch und zeigt dis zerbissenen Arme, greift an den
Kopf und bringt die Läuse herunter, greift dann hinter
Len Kragen an den Hals und zieht auch von dort ein paar
Läuse hervor. Niemand will neben Janicki auf der An-
klagebank sitzen, und der Präsident weist dem Angeklagten
nunmehr einen Platz an, und Janicki setzt stch jetzt in die
Nähe des Tisches für die Berichterstatter, nnd zwar in die
Nähe der Vertreter der polnischen Presse, unter denen
sich öerschiedene Warschauer befinden. Wahrlich, ein er-
bauliches Bild, das dadurch nicht schöner wird, daß die
staatliche Gefängnisverwaltung die Schuld daran trägt.
 
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