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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Juli bis Dezember)

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Nr. 203 - 228 (1. September 1903 - 30. September 1903)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11499#0581
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Miltwch, 23. Tkstml!« 18V. Et stes Blatt

jS. WMz. —

Erschcint täglich, SonntagS ausgenommen. Preis mit Familienblättern monatlich 50 Pfg. in's HonS gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch die Post

bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschUn;lich Zustellgebühr.

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an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate aui den Plakariafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Soldaten-Mißhandlutigen.

Die erregtm Erörterungen über Soldatenmißhand-
^ngen verschwinden kaum noch von der Tagesordnung.
xzeder Vaterlandsfreund empfindet das als ärgste Schä-
digung des Rufes unseres deutschen Heeres. Die Sozial-
fEMokratie gewinnt durch diese betrübenden Erscheinungen
^wnier neues Wasser aus ihre Wahlmühle. Nichts würde
'^rkehrter sein, als das Recht der Prcsse verkennen oder
öar einschränken zu wollen, hervortretende Mißstände ge-
^ade in unserem Heerwesen eingehend und streng kritisch
^ behandeln. Parteiunterschiede sollen dabei nicht in Be-
.sächt kommen. Keine Partei darf fich von einer anderen
^uberbieten lassen in ihrem Eifer, gegen die Soldaten--
Illlßhandlungen in der denkbar schärfsten Form aufzu-
^eten. Speziell von der n a t i o n a I l i b e r a le n Par-
-ki erwarten wir, daß sie nicht säumt, nach dem Zusammen-
Eritt des Reichstags die Fälle von Ueberschreitungen der
^ienstgewalt zur Sprache zu bringen, die neuerdings ge-
^ade in den Kveisen derjeniTen Vaterlandsfreunde die
uefste Empörung hervorgerufen haben, welche für dis
Heeres- u. Flottenverwaltung alles bewilligten, was letztere
Uir Jnteresse der Unoersehrterhaltung unserer Rüstung zu
^-ande und zu Wässer als Notwendigkeit sorderte, voraus-
Uetzt, daß solche Bewilligungen sich mit der gebotenen
^ücksichtnahme auf die Opferfähigkeit der Nation in Ein-
"ang halten,

Tie deutsche Armee ist im Lause der Jahre gemäß un-
lerer Bevölkernngszunahme immer größer geworden: es
bfäre wider die Nat-ur, zu erwarten oder zu verlangen,
ds könnten in dem großen deutschen Heereskörper Ueber-
ichreitungen der Dwnstgewalt zum völligen Verschwinden
ö^bracht werden. A-n Versuchcn, die Disziplin im deutschen
^eere zu locksrn, fehlt es nicht. Je notwendiger es aber
^teibt, ihnen unausgesetzt zu begegnen und ihnen, wenn
drforderlich, mit der rücksichtslosesten Schärfe entgegen-
öutreten, um so mehr ist es auch geboten, Mißhandlungen
b°n Soldaten zu ahnden mit Strafen, deren Schwere und
^uter Umständen besondere Art eine derartig abschreckende
^irkung äußsrn, daß, wo der Ansatz zu Neigungen be-
lleht, wie sie in den neuerdings zu Tage getretenen Fällen
^Ur Bsstätigung gekommen sind, sich solche Ansätze rasch zu-
^ückbilden.

Menschliche Behandlung und Nufrechterhaltung der
Diszipiin bilden keine gegensätzlichen Forderungen; das
^ine muß das Andere ergänzen.

'Gegensätze und Widersprüche liegen darin, daß auf der
Anen Seite die Sorge der Verwaltung und der mit ihr
üortrauensvoll zusammenwirkenden Parteien sich erschöpfen
ioll in der Abwehr von Bestrebungen, welche die Disziplin
llntergraben und die Zuverlässigkeit des Heeres inindern,
^ud auf der anderen Seite von Vorgesetzten in dem
Hoereskörper durch mißbräuchliche Anwendung der Dienst-
öewalt das besorgt wird, was man ein Recht hat zu nen-
Usn: Sozialdemokraten-Züchtung.

Meine Zeiturrg.

— Hochschulnachrichten. Die Gründung einer „Freien
Acreinignng botanischer Systematiker und
ü s I a n z e n g e o g r a p h e n" wurde in B e r l i n von einem
?us ggnz Deutschland Leschicktcn Kongresse von Fachgelehrten
Uc>chlosfen. Geheimrat Engler-Bcrlin wurde zum ersten Vor-
btzenden, Geheimrat Pfitzer - Heidelberg zum Stellvertre-
sor gewählt. — Der Honorardozent der Staatsrechnungs-
Eosisenschaft an der Prager Universität, Statthalterei-Ober-
^cchnungsrat Karl Blomann, ist in Prag gestorben.

. Bcrlin, 21. Sept. Nach einer Essensr Meldung
die einer holländischcn Gesellschaft gehörige große Oel-
^obrik iu Ruhrort vollständig niedergebrannt.
^er Schadsn wird auf cine Million Mark geschätzt.

L Berlin, 21. Sept. Wie dem „Berliner Tageblatt"
ous Weimar gemeldet wird, wurde der Justizrat Vogt
^ud Rechtsanwalt Andrä vom dortigen Landgsricht wegen
"6 w s ick a m P f e s zu drei Monaten Festung verurteilt.

8 Berlin, 21. Sept. Der Barbier Hugo Walter ist am
^aiustag ünter dem dringenden Verdacht, seine Ehefrau er -
w o r d c t zu haben, aus Ersuchen der Berliner Kriminalpolizei
N Cndringen in Holland verhaftet wordcn. Die Leiche
Frau wurde am 8. d. M. in der Nähe von Döberitz an
^Nem Baume aufgehängt gefunden.

— Roucn, 22. Sept. Der 12. i nt e r n a t i o n a l s
r i e d e n s k o n g r e ß, welcher heute früh im Rathaus
dröffnet wurde, vereinigt alle bekannten Führer der Frie-
^nsbewegung, interessiert aber das Publikum nnr wenig.
^ie Versammlung ist von 300 Personen besucht.

. O Wien, 21. Sept. Der aus Berkm nach Unterschlagung
chu mehreren tausend Mark flüchtig gewordenc Buchhalter
'^ümmler ist hier verhaftet worden.

DeuisckeA Rcich. ^

— Wie nachträglich bekannt wird, hat der Kaiser z
in Wien auch den Schriftsteller Houston Steward
Chamberlain empfangen, dessen Werk über die
„Grundlagen des 19. Jahrhunderts" vom Kaiser hoch
geschätzt wird.

— Der Chef des Reichsmarineamts v. Tirpitz erhielt
vom Erzherzog Franz Fcrdinand von Oestev-
reich aus Orth folgendes Telegramm: Von Sr. Majestät
dem Kaissr Wilhelm gnädigst ll ln Suite der kais-erlich
deutschen Marine gestellt, entbiste ich von Freude erfüllt
Ew. Exzellenz und allen Angehörigen der sa hervor-
ragenden kaiserlichen Marine meinen wärmsten kamerad-
schaftlichen Gruß.

— Der Aerztestreik in Rheydt ist durch Ver- i
gleich beigelegt.

— Eine Gerichtsverhandtung in Breslau erbrachte
wieder einmal den Beweis, mit welchen Mitteln des T e r-
rorismus die Arbeiter ihre Kam-eraden zum Beitritt
zu den sozialdemokratischen Organisatio-
nen zu zwingen suchen. Ein Maurergeselle hatte einen
ändern wiederholt aufgefordert, dem sozialdemokratischen
Verband deutscher Maurer beizutreten, was dieser mit
der Entschuldigung ablehnte, daß er zu viel Schulden häbe,
um den Wochenbeitrag von 40 bis 50 Pfennig zu bezcchlen.
s Daraus wurde er auf das roheste beschimpft und mit Prü-
Z geln bedroht. Obgleich sr daraufhin seinen demnächstigen
Beitritt verspra-ch, legten doch schon am andern Tage alle
Maursr an dem betreffenden Bau die Arbeit nieder unter
der Erklärung, daß sie mit einem dem Verbande nicht
angehörigen Kameräden nicht weiterarbeitsn wollten.
Aus diese Weise kam die Ang'ekegenheit zur Kenntnis der
-Gerichte und es wurde die Anklage wegev versuchter Nöti-
j gung in Vsrbindung mit.Vergshen gegen Z 163 der Ge-
! werbeordnung erhoben und der schuldig erkannte dNaurer
i zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die wenigsten der-
^ artigen Fälle kommen zur Kenntnis der Behörden und' zur
z gerichtlichen Bestrafung, so daß dste sozialdemokratischen
Z Arbeiter im allgemeinen glauben, daß sie stch solche Nöti-
z gungen straflos herausnehmen können. Wenn ab und zu
^ so scharfe Bestrafungen vorkommen wie in Breslau, so ^
dürfte das immerhin zur Warmmg dienen.

— Worläufiges zum Parteitag nennt der „Vor- s
wärts" eine etwas 'melancholische Betrachtung, die er stch s
aus Dresden durch den Draht hat übermitteln lassen, und' !
^ der wir folgendes entnehmen: „Dieser Parteitag mindert !
E gewiß nicht das mindeste an allem Großen, was in der !
z Arbeiterbewegung und in der Sozialdemokratie lebt. Auch i
j ist wiederum mit zwingender Deutlichkeit festgestellt wor- s
- deu, baß die Sozialdemokratie nichts anderes sein will, s
S wie eine proletariscks-revolutionäre und antikapitalistische i
Klassenpartei und daß das' Empfinden der Einigkeit und !
! Zusammengehörigkeit aus allen Reibungen und Zwistig- ^
s keiten immer wieder siegreich emporwächst. Do-ch es ist Z
: nicht zu verkennsn, daß diese Retbungen und Zwistigkeiten ^
' in diesem Parteitage besonders häufig und' besonders -

— Rvm, '21. Sept. Die in Salzano bei Venedig ver-
heiratete Schwester Antonia dss Papstes, eine ver-
ehelichte Debei, hat einen Schlaganfall erlitten. An ihrem
Aufkommen wird gezweifelt.

— Olmütz, 20. Sept. Die österreichisch-en Regimenter
Nr. 93 und 18 manöverierten in der Gegend zwischen
Qlmiitz und Nettitschein-Weißkirchen: Sie kamen abends
in eine Ortschaft unweit Bodenstadt ins Quartier, konnten
abpr nicht ganz in dem Ort untergebracht werden. Die
obdachlosen Mannschaften suchten daher in den Bauerm
häusern der Umgegend' eine Schlafstätte. Eine Anzahl
Soldaten kam auch zu einem Bauernhof, wo ihnen jedoch
die Auf-nahme entschieden verwehrt wurde, so daß die
müden Leute schließlich Einlaß erzwangen. Ein Teil sucht
die Scheune, der Rest den Bodenbaum auf. Tief in der
Nacht wachte einer der Soldaten auf; er glaubte Wim-
mern und leises Jammern zu hören. Da es nicht auf-
hörte, weckte er seine Kameraden, und man beschloß, nach-
zusehen, was es gebe. Nach eifrigem Forschen gelang es.
endlich, die Stelle ausfindig zu machen, von wo die Jam-
merlaute kamen. Unter einer Traufe, aus der auch das
Vieh getränkt wurde, fandsn ste einen ausgemauertsn,
in die Erde gehenden sehr engen Raum, in dem ein mensch-
liches Wessn herzergreifende Klagelaute ausstieß. Die
kleine Oeffnung, die zu dem Raume führte, wurde schnell
erweitert, und als nun Soldaten hiueinleuchteten, sahen sis
ein nur mit wenigm Lumpen bekleidetes menschliches
Wesen, das so abgsmagert war, daß es einem Geripps glich.
Die Gerettete war die 21jährige Tochter der Bauersteute, '

schneidend aufgetretsn sind, Der Parteitag war von er-
regter und unerquicktichen Zwischenfällen mehr belastet,
als irgend ein früherer, umsomehr bedrückend, als die
deutsche Arbeiterschaft dieses Parteitages als dem des
Dreimillionen->Sieges entgegensah.

— Der „Vorwärts" bringt die Abbildung des Ent-
wurfs eines burgartigen, von Wasser umgebenen Kai-
serschlosses, der aus dem Monat Dezember 1902
stammen soil.

Badcrr.

— Die 'K o I b'schs Rede auf dem sozialdemokratischen
Parteitag ist uoch einmal ausführlich im „Volksfrennd"
abgedruckt und zwar mit dem Satz, daß Kolb für die Re-
solution Bebel-Kautsky-Singer stimmen werde. Die Ge-
schichte erregt hier begreiflicherweise keine geringe Heiter-
keit, da der Volksfreundredäkteur Kolb von der national-
liberalen Fraktion nur nochs als von der „Fraktion
Drehscheibe" zu sprechen pflegte und nun selbst nur
durch einen kühnen Seitensprung aus die Drchscheibe seine
Rettung vollziehen konnte. Ein eigenartiges Verhängnis!
Aber kein unverdientes.

Freiburg, 22. Sept. Am nächsten Mittwoch hält
der hiesige Liberale Verein seine Generalversamm-
lung ab. Auf der Tagesordnung steht u. a. die Befpre-
chung der Landtagswahl. Der Versammlung wird es
auch vorbehalten sein, einen Landtagskandidaten zu no-
minieren.

Luxcmburg.

Luxemburg, 20. Sept. Der Orden der Elisa-
bethinerinnen war bsi der Regierung um die Er-
mächtigung zur Aufncchme einer Anleihe von 200 000 Mk.
eingekommen, womit der Preis neuausgeführter oder neu-
erworbener Klosterbauten gedeckt werden sollte. Die hiesige
'StadtverordnetenvsrsammIung, die ihr Guta-chten über das
Gesuch abzugeben hatte, hat sich niit 8 gegen 6 Stimmen
dagege n ausgesprochen. Die Ablehnung wurde Lamit
begründet, daß diese angchlichen Krankenschwestern unter
dem Vorwande, Krankenhäuser und Kliniken zu errichten,
wahre Hotels gründen und dem eingesessenen Gastwirt-
gewerbe hen empfindkichsten Wettbewerb bereiten, Ein
Stadtverordneter wies auf die Klostergefahr hin, von der
Luxemburg angesichts der in Frankreich erfolgten Aus-
weisung der Mönche und Nonnen bedroht sei, und die es
nunmehr abzuwehren gelte.

Aus der Karlsruher Zeitung.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
dcm Baurat und Eisenbahndirektor Fischcr in -Oels das
Ritterkreuz l. Klasse des Ordens vom Zähringcr Löwen ver-
liehen, den Finanzpraktikanten Karl Schäfer von Ueberlin-
gen unter Verleihung des Titels Finanzassessor zum zweiten
Beamtcn der Bezirkssinanzverwaltung mit Hauptamtskorj-
trolleursrang ernannt.

— Gemätz Entschlietzung Grotzh. Ministeriums der Fi-
ncmzen bleibt Finanzassessor Karl Schäfer dem Haupt-
steueramt Singen jetzt in der Eigenschaft als Hauptamtskon-
trolleur zugeteilt.

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben
in gleicher Eigenschaft versetzt: 1. dcn Professor Auzust W a l tz

Hie vor Lrei Jahren spurlos verschwunden war; diese ganze
Zeit hat das Mädchen in.dem schrecklichen Gefängnis zu-
gebracht. Die Gerettete wurde na-ch Olmütz gebracht, wo
man ste wiederherzustellen hofft. Gegen Lie Rabeneltern
ist die gerichtliche Untersuchung eingeleitet worden.

- Clcpc, 22. Sept. Jn der letzten Nacht wurde auf
dem Bahnübergange der Cleve-Calcarer Landstraße das
Gefährt des hiesigcn Weinhändlers O ü h a u s von dem
um 12 Uhr 11 Min. hier eintreffenden Personenzuge
überfahren. Frau Obha u s nnd zwei Töchter
wurdsn sofort getötet, OLHaus wurde tötlich
verIetzt nnd' st arb bald darauf im städtischen Kranken-
hause. Die Untersuchung ist eingeleitet. Das Nnglück soll
dadurch entstanden sein, daß der Bahnwärter vergessen
hatte, die Bahnbarriäre rechtzeitig zu schließen; er wurdy
verhaftet.

— Weltausstcllttng in St. Louis, Als anmutiger Vor-
bote der Weltausstellung in St. Loüis 1904 ist soeben ein
zierliches Album erschienen, welches in Wort und Bild
die D e u t s ch - T i r o I e r Alpen schildert, die zn den
ersten Sehenswürdigkeiten jener Ausstellung gehören wep-
den. Bereits auf der vorjährigen Düsseldorfer Ausstellung
fand das Unternehmen freudige Zustimmung; nach den
Plänen seinss Erbauers, Hermann Knauer, wird es am
Mississippi in fünffacher Vergrößerung erstehen und zähl-
reiche Erweiterungen aufweisen. Die 'von der Berliner
Baufirma Boswau n. Knauer, Ges. m. b. H., übernom-
menen Arbeiten sind bereits in vollem Gange.
 
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