Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55371#0056
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sei e 2

Heidelberger Zeitung

Donnerstag, den 11. Jül» 1918

Fernsprecher Nr. 82

Nr. 159
—-,. ---6

nnbr als je gegeben und «obsten gewesen wäre,
M»er auf unsere besondere politische Zukum'tsauf-
Luü bezogen. war sie erst recht versohlt. Aus ihr
sprach n i ch t der Wille — den die Regierung
unbedingt Hachen muß - mit England einmal
politisch abzurechnen und gegen diese Macht
alle nötigen und möglichen Folgerungen aus der
militärischen Lage zu ziehen. Noch viel weniger
aber sprach er aus dem unglückseligen Wort, das die
Möglichkeit einer endgültigen Mstsfenentscheidung
zum mindesten mißverständlich in Zweifel zog. Die-
ses Wort war sicher nicht geeignet, der Leitung des
.Auswärtigen Amtes-das Vertrauen zu erhalten,
dessen sie für ihre diplomatischen Zuikunftsausga-
ben unbedingt bedarf.
An seine Stelle tritt Herr v. Hintze, der bischerige
deutsche Gesandte in Christiania. Herr v. Hintze
bat sich als Diplomat auf seinem Posten bewährt,
als Staatsmann und Politiker ist er ein unbeschrie-
benes Blatt. Er wird erst zu erweisen haben, wie
er politisch zu beurteilen ist. Bis dahin halten
wir es für geboten, mit unserem Urteil zurückzu-
halten. Seine Bewährung auf wichtigem diplo-
matischen Autzenposten läßt uns aber hoffen und er-
warten. daß er nicht än allem der Nachfolger des
Herrn v. Kühlmann sein wird."
HerLling kommt nach Berlin
Berlin, 10. Juli. Der Reichskanzler witd heute
vormittag in Berlin eintresfen, da er den Wunsch
hat, mit dem Hauptausschub des Reichstages
über die v o l i t i s ch e L a g e zu beraten. Der
HaupHausschuh des Reichstags hat gestern beschlos-
sen, es seinem Vorsitzenden, dem Abg. Ebert, zu
überlasten, im Einvernehmen mit der Regierung
den Tag zu, bestimmen, an dem die Kriegskredite
im Hauptausschutz, an den sie vom Reichstag über-
wiesen morden sind, verhandelt werden sollen.
* * * »
Aufgeregt, wie immer, fabelten Berliner Blätter
bereits wieder von einer Krise: heute schon hat sich,
nach der doch ziemlich selbstverständlichen AiMndl-
sung des Erscheinens Hertlings der Sturm gelegt,
und fast wundert man sich schon, daß man über-
haupt eine Zeit lang so schwarz gesehen hat sin
Berlin natürlich, die Provinzpresse hat die Frage
viel ruhiger und fachlicher beurteilt). Um die
augenblickliche innerpolitischs Lage richtig würdi-
gen zu können, must man die Gesamtsituation am
Ende der vorigen und am Anfang dieser Woche be-
trachten.
Dis Rede Scheidemanns hatte weitere
Kreise gezogen, als vorher angenommen wurde,
Herr v. Payer hatte sogar für den Fall dös Ueber-
sangs der Sozialdemokratie in die Regiemngsgeg-
nerschalft seinen Rücktritt angekündigt. Zur Ver-
mittlung wurden die Gegensätze wieder überbrückt,
-die Sozialdemokratie fand sich bereit. Lei der Mehr-
heit zu bleiben, und Payer hat daraufhin seine
Rücktrittsabsichten wieder aufgegeben. Jetzt stellt
-sich nun die Sozialdsmorkatie auf den Standpunkt,
Last eine neue Lage geschaffen worden sei. verlangt
daher, dcch die Vorlage der neuen Kriegskred-ite an
den Hauptausschuß verwiesen werde, und setzte auch
ihren Willen durch, weil die anderen Parteien ver-
meiden wollen, daß die Sozialdemokratie in der
Vollsitzung die Kriegskredite ablehnt. Im Haupt-
ausschuß wird die Sozialdemokratie von der Regie-'
rung zweifellos darüber Aufschluß erhalten, ob sich
die Politik der Regierung hinsichtlich der Kriegs-
ziele geändert hat. Bon der Antwort wird die Be-
willigung der Kriegskredite abhängen. Wie be-
reits verlautet, wird dis Mehrheit der Sozial-
demokratie die Knegskreditvorlags nicht
ablehnen.
Der Vizekanzler v. Payer, dessen Stellung zwei-
fellos durch den Wechsel im Staatssekretariat stark
berührt wird, wird feine Entschlüsse persönlicher
Art von dem Ergebnis der Unterredung abhängig
machen, die ex mit dem neuen Staatssekretär pfle-
gen will. Auch den Führern der Reichstagsfraktion
soll Gelegenheit gegeben werden, sich in einer ein-
gehenden Aussprache ein genaues Urteil über die
Richtlinien zu verschaffen, die Herr v. Hintze in der
auswärtigen Politik zu verfolgen gedenkt.
Also wird man annehmen können, daß heute
üM-nittag bereits, wenn Kanzler und Staatdsekre-

tär gesprochen haben werden, die Erregung vereobbt
und der Zwischenfall, der durch den.Rücktritt Kühl-
manns entstanden war, als erledigt'angesehen wer-
den kann. Die weitere. Folge wird dann sein, daß
der Reichstag doch noch in dieser Woche mit sei-
nen Beratungen fertig werden wird

Geduld!
GenerMeldmarschall v. Hindenburg hat der Täg-
lichen Rundschau zufolge an den General der Ar-
tillerie S. D. v. Boehn eine Karte folgenden In-
halts gesandt:
„Steht gut: nur müssen uns die geehrten Heim-
strategen gütigst Atempausen gestatten; ohne die
geht es heutzutage wirklich nicht, wo die Schlachten
-8 Tage lang dauern, wo man das ganze Heer nicht
mehr auf einem einzigen Schlachtfelde vereinigen
kann und wo beide Hauptgvoßmächte der Welt eine
Artillerie zu schaffen vermögen, die gleichzeitig
mit voller Kraft auf der großen weiten Front auf-
treten könnte. Also Geduld!"
Möse die sehr berechtigte Mahnung Hindenburgs
überall befolgt werden!
Ein Manifest des Sultans
Der Sultan hat folgendes Manifest an das
Heer und die Mkrine erlassen:
Infolge dos Ablebens des großen Beherrschers
aller Gläubigen, unseres Obersten Kriegsherrn,
Meines Bruders, des Sultans Mehmrd Reschadchan.
der Fünfte, den wir alle beweinen, übernehme Ich
den Oberbefehl über Euch und spreche euch helden-
mütigen Söhnen dieses starken Landes Meine Kai-
serliche Zufriedenheit aus. Ihr habt seit Jahren
inmitten tausenderlei Schwierigkeiten der Geschichte
des türkischen Islams neue Ruhmesblätter
für Meine Dynastie hinzugesügt. Auf die Barm-
herzigkeit Gottes vertrauend, gedenke Ich mit Ver-
ehrung der Helden, die ihr Blut auf dem Felde der
Ehre vergossen haben.
Dieser blutige Krieg, den wir erfolgreich Schul-
ter an Schulter mit unsere» heldenhaften Verbün-
deten fortgesetzt haben, um das Vaterland zu ret-
ten, ist noch nicht zu Ende, aber zweifelt nicht da-
ran, daß der Allmächtige in unserer gerechten Sache
wie bisher stets mit uns sein wird. Setzt den
Kämpf gegen die Feinde mit der gleichen Tapfer-
keit fort. Meine Fahnen, die Ihr überall ruhm-
reich vorangetragen habt, mögen Euch den Weg zum
Siege weisen. Der Beistand Gottes und die Hilfe
der Propheten schütze Meine heldenhaften Soldaten.
Finland das zweite Bulgarien
Ueüer die Leistungen der finischen Truppen an-
läßlich der Kämpfe gegen die „Roten" schreibt dis
Stockholmer Zeitung „Aftonbladet" u. a.:
„Die Macht der Roten war sowohl was Zahl
als Ausrüstung betrifft, viel größer als man an-
genommen Hatto. Die Weißen hatten fast keine
Ausrüstung und kämpften lange mit den Waffen!,
die sie selbst von den Russen erbeutet hatten. Der
größte Teil der blutigen Kriegsarbeit wurde von
den eigenen Truppen des Landes geleistet, die/un-
zählige Gefechte und Kämpfe bestanden haben und
unvergleichlich größere Verluste hatten als die
Deutschen. Bei Tammerfors verloren manche fini-
schen Truppenabteilungen beinahe die Hälfte, ei-
nige sogar drei Fünftel ihres Bestandes, In Be-
zug auf die Verhältniszahl an Gefallenen und
Verwundeten waren die Kämpfe bei Tammerfors
blutiger als jene bei Verdun. Bei Tammerfors
wurde tatsächlich der Ausgang des Feldzuges ent-
schieden. Die Kriegsbeute, die den finilschen
Staat zugefallen ist, ist ungeheuer. Sie wird
nach Milliarden gezählt. Unter den kleinen Län-
dern steht Finland. was die Erbschaft anlangt, die
es nach den entwichenen Russen übernahm, gegen-
wärtig in der erste» Reihe und übertrifft die mei-
sten von ihnen um ein Vielfaches, besonders was
die Menge der Geschütze und die Munition be-
trifft; dazu kommen dis Festungen, die nach der

Aussage von Fachleuten zu den allsrstärksten der
Welt gehören, da sie tief in den finischsn Gesamt-
boden hineingebaut sind. Am Schlüsse der Aus-
führungen heißt es wörtlich: „Nach einiger Zeit
wird die junge finifche Armee, die ja schon zum
größten Teil aus Veteranen besteht, die in wirkli-
chen Kämpfen erprobt sind, sich -mit den
Heeren anderer kleiner Länder messen können. Die
Finen sind ein kriegerisches Volk und aus Fin-
strnd kann noch ein anderes Bulgarien
werden".
Die Unterwühlung Spaniens
durch die Ententespionage hat die spanische Regie-
rung zur Abwehr gezwungen. Sie hat ein beson-
deres S p i on a g e g e s e tz eingebracht, das u. a.
folgende Bestimmungen enthält:
Wer auf spanischem Gebiet einer ausländischen
Macht Nachrichten bezüglich der Neutralität Spa-
niens oder solche eine andere ausländische Macht
betreffend mitteilt begw. die Mitteilung erleichtert,
wird mit Gefängnis und Buße von SM" bis 20 000
Pesetas bestraft. Es ist 'der spanischen Regierung
gestattet, dis Veröffentlichung, Verbreitung und
Uebsvmittelung -der Nachrichten, die gegen die Neu-
tralität Spaniens oder gegen seine Sicherheit ver-
stoßen. zu unterdrücken. Zuwiderhandlungen wer-
den mit Gefängnis und Butze von 500 bis 10 000
Pesetas geahndet. Wer anläßlich ausländischer
Ereignisse in Spanien Nachrichten verbreitet, dis
Beunruhigung oder Erregung Hervorrufen können,
unterliegt gleichfalls obiger Strafe. AKr durch
mündliche, geschriebene oder gedruckte Publikatio-
nen irgend welcher Art, durch photographische oder
sonstige Lildmäßige Wiedergabe ausländische
Staatsoberhäupter, Regierungen, Völker. Armeen
oder diplouratische Vertreter beleidigt und der Lä-
cherlichkeit und Verachtung preiszugeben versucht,
wird mit Gefängnis oder Geldbuße von 500 bis
20 000 Pesetas bestraft. — Dato erklärte in der
Kammer, man solle sich wegen des Gesetzes nicht
aufregen. Es richte sich nicht gegen die vernünftige
Presse, sondern nur gegen diejenigen, die sich zur
Beschimpfung hinreißen lassen und dadurch eine
neutvalitätswidrige Kampagne betreiben. Tas
Gesetz bezwecke, jede fremde Beeinflussung in der
inneren Politik Spaniens zu beseitigen.
Die französischen Spitzeleien in der
Schweiz
Schweizerische Blätter melden: Nack verschiede-
nen beschämenden Vorkommnissen hat dig Genfer
Regierung sich doch entschlossen, den französischen
Polizeikommissaren dis Vornahme von Unter-
suchungen auf dem Gebiete des Kantons Genf
zu verbieten. Inzwischen hat der Bundesrat
an die Kantonregierungen ein Schreiben erlassen,
worin er auf das Unwürdige und Unzulässige sol-
cher fremder Polizeifpitzsleien hinweist und ent-
sprechende Gegsnmaßnahnren anordnet.
Ein japanisches Geschwader nach
Wladiwostok
Genf» 10. Juli. Die Pariser Ausgabe des
Newyork Herald meldet aus Tokio: Ein japa-
nisches Geschwader von drei Schlachtschiffen
und fünf Kreuzern ist nach Wladiwostok ausge-
laufen.'
Amsterdam. 10. Juli. Nach einem hiesigem
Blatte meldet die Times aus Tokio: Der Korre-
spondent der japanischen Zeitung „Nifh" in
Wladiwostok berichtet, daß (bei den Kämpfen
in Wladiwostok Heftiges Artillerie-
feuer gewechselt wurde. Maschinengewehre wa-
ren ausgestellt, und es kam zu erbitterten Gefech-
ten. Der Dampfer „Simbirsk" der russischen
freiwilligen Flotte, der zahlreiche Treffer erhielt,
entkam aus dem Hafen.
Kleins Kriegsnachrichtm
* Generalfeldmarschall v. Mackensen ist von der
Budapester Universität zum Ehr end'oktor
der Staatswissenschaft ernannt worden.

Deutsches Reich
Der Veichstag
setzte gestern die zweite Lesung der St euer»
vorlagen fort. Eine größere Debatte erhob
sich nur bei der Aenderung des Reicksitempel-Ge-
setzes und zwar beim Kampromitzantrag über den
Aktien-UmsaMsmpel, der bekanntlich in den letz-
ten Tagen an verschiedenen Börsen zu Protests
Versammlungen und teilweisen Schließungen ge-
führt hat. Der Ausschuß hat zwei vom Tausend
beschlossen. Während des Krieges soll ein weite-
rer Zuschlag von drei v. T. eintreten. Nachdem
verschiedene Redner ihre Bedenken geäußert hat -
ten, sagte Abg. Dr. Rießer (Natl.): Ich möchte ge-i
gen die übermäßige Anspannung der Börsensteuer
meine warnende Stimme erheben. Eine Straf- k
steuer darf nicht eingeführt werden, das wäref
gefährlich für die Zukunft, nicht nur für die Börst j
sondern für das ganze deutsche Wirtschaftsleben.
Die Abstimmung über den Kompramißantvag
wunde zunächst ausgesetzt. Bei der Tantieme- und
Dividenden-Steuer würden wieder verschiedene
Anträge gestellt, die aber auf 'die Bitte des Staats-
sekretärs von Roedern abgelehnt wurden, es
blieb bei den» Beschluß des Ausschusses. Abg. Da-
vid (Soz,) beantragte einen besonderen Artikel
wonach Einkommen aus Fideikommissen mit 10 v-
H. belegt werden sollen. In namentlicher Abstftm
mung wurde dieser Antrag mit 154 gegen 130
Stimmen abgelehnt. Bemerkenswert ist noch, daß
auf Anregung des Abg. Gugelmeier - Lörrach
-Natl.) den bargeldlosen Verkehr zu fördern vow
Unterstaatssekretär Schiffer möglichst Berücksichti-
gung zugesagt wurde. Ein Antrag Warmuth <D>
F.) die öffentlichen Sparkassen, Genossenschafts-
und Verbandskasten freizulastsn. wurde im Ham-
melsprung angenommen, ebenso der Artikel 26, in
dessen Abstimmung die Entscheidung über den
Aktienumsatzstempel eingezogen worden war. Der
Rest der Vorlage wurde wie das Wechsel-
stempelgesetz, ohne Ausspräche angenommen.
Das Gesetz über die Kriegssteuer der Ge-
sellschaften für das vierte KriegsiaHr sand
nach Ablehnung eines sozialdemokratischen An-
trages, der eine Erhöhung der Staffelung bei
Kriegsabgaben aus Vermögen vovsah, nach den
Ausschußbsfchlüsten Annahme. Die Weiterberatnng
der Steuervorlasen erfolgt heute

* Ersatzwahl für Dr. Kämpf. Im 1. Berliner
Wahlkreis findet die Ersatzwahl Wr den Ver-
storbenen Rsichstagsvräsidenten Dr. Kämpf aM
15. Oktober statt.

Badische Politik
* Dein Landtage soll noch ein Biersteuergesetz?
und eine Ergänzung des Einkommen-
steuergesetzes vorgelegt werden. Dazu, so»
die Budgeikonimission der Zweiten Kammer vow
16. August ab ihre Beratungen besinnen, so Latz
um den 22. August dis Zweite Kammer sich mit
diesen beiden Gesetzen befassen kann. Am 28. Au-
gust soll die Verfassungsfeier stattfinden.

Aus Baden
* Vadens Lehrerschaft im Weltkriege. Die ZaÄs
der Lehrer, die im Weltkriege gefallen sind, Hai»
sich auf 816 erhöht. 452 badische Lehrer habe»»
das Eiserne Kreuz 2. Klasse erhalten.
Mannheim, 10. Juli. Dr. G. F. Hart laut
von der Städtischen Kunsthalle hat von schwedi-i
schsn Museumsdirektoren und Kunstfreunden dM
Auftrag erhalten, eine kleine Ausstellung
neuer deutscher Malerei 'und Graphik für Schwe-
den vorzubereiten. Die Ausstellung wird aiui
Grund einer beschränkten Auswahl von Gemälde»'
und graphischen Arbeiten -einen Querschnitt dWÄ
das Schaffen der jüngeren deutschen Künstlergene?'
ration zu geben haben.
Karlsruhe, 10. Juli. Zur Bersassungsfeiet
wird Studienrat Dr. Robert Gold schm it-
Karlsruhe eine Geschichte der badischen Verfassung
schreiben, die in» Umfange von etwa 200 Seitetz
im Verlass der Braunschen Hofbuchdruckerei er-
scheinen wird. Zju der. Berfastungsfeier vor 5g
Jahren hatte ArchivdirMor Friedrich von Wem
eine badische Verfassungsgeschichts geschrieben.

Das Meer ist der Raum der Hoffnung .
Z Und der Zufälle launisch Reich. U
Schiller w
Gespenster des Glücks
Roman von Alfred Maderno.
(6. Fortsetzung.)
„Nun, gnädiges Fäulein, halten auch Sie uns
Seeleute für grausam? Ihre Frau Mutter —"
„Meine Mutter wird schon recht haben," es
kam jetzt hastig von Noras Lippen, Warum es
ihre Worte so eilig hatten, hoffte nur sie allein zu
wissen, und uni es ja nicht zu verraten, sprach sie
flink weiter und hatte gar nicht Zeit, sich darüber
zu wundern, daß ihr die Gedanken.nicht versagten
Was ihr durch den Kops ging, was dort drin-
nen herumgeisterte, fragte nicht nach recht oder un-
recht haben und wollte nichts von Grausamkeit
.und (Äolsmus wissen; das drehte sich nur um das
neue unbekannte Gefühl in ihrer BUust, das sie
wie eine Flamme spürte, die von den Blicken des.
Mannes, der ihr zur Seite schritt, entzündet woc-"
den »var.
Ihn jetzt nur nicht' in die Seele hineinsehen
lassen! Mm diese Flamme nur nicht zeigen, son-
dern sprechen, gleichviel was, nur reden und 'das
hurtige Pochen des eigenen Herzens überhören!
„Meine Mutter wird schon recht haben. Ge-
wiß sind sie alle grausam; Sie wenigstens sind es
bestimmt, Herr Leutnant".
Lenzbeg hielt überrascht seinen Schritt für die
Dauer einer Sekunde zurück.
1 „Ich wenigstens, bin es .bestimmt? Ja, was
habe ich denn verbrochen, gnädiges Fräulein? Was
hätte nur auch Ihnen zu Ohren kommen können?
Ihr Herr Vater — aber ich sprach dem Herrn Ge-
heimrat so wenig von mir. daß ich'keine Gelegen-
heit gehabt hätte, Ihrem Herrn Vater einen eige-
men grausamen Streich zu erzählen, selbst wenn
ich mein Gewissen mit einem solchen belastet
> fühlte".
„Daran vermag ich doppelt so deutlich zu er-
kennen, daß ich recht habe". Aber Nora wagte

noch immer nicht, Lenzbsrs ins Gesicht zu blicken.
„Aber, gnädiges Fräulein! Und Sie machen ein
so ernstes, ein so strenges Gesicht! Wie lange ist es
denn her, daß Sie uns das ontückende Bild vom
blühenden Apfelbaum entwarfen, in 'dessen Zwei-
gen -
Heißes Rot flammte über das Antlitz des jun-
gen Mädchens. Nova kehrte ihr Gesicht der Erde
zu, albern schalt sie sich und verstand sich Wbst
nicht mehr. Dem Weinen nahe stieß sie ihre harten
Worte in-Lenzbergs Rede hinein.
„Das war nur so ein einfältiger -Gedanke von
mir".
„Aber ein so schönes Bild, gnädiges Fräulein!'
Nora beschleunigte ihre Schritte, doch wußte sie
nickst warum. Die Fäuste hätte sie ballen mögen
und'aufstöhnen, aber weshalb nur. weshalb? Was
ging denn mit ihr vor? .
„Blicken Sie um sich," hörte sie LenAerss
Stimme. Sie kla»;g beinahe traurig, aber Nora
mochte am liebsten überhaupt nichts mehr hören.
„Blicken §ie um sich, gnädiges Fräulein» wie
wunderschön die Apfelbäume alle blühen! Diese
Pracht, die haben wir auf dem Meere nicht".
Sie standen vor der Veranda des Hotels. Leute
gingen an ihnen vorüber, -blieben in ihrer Nähe
stehen. Nora konnte was sie am liebsten getan
hätte, Lenzberg nicht verabschieden und ins Haus
eilen. Warum auch? Und was hätten die Eltern
davon denken sollen? Und er selbst?
Der Leutnant aber fragte nochmals leise und
bittend: „Gnädiges Fräulein, warum nennen Sie
Mich grausam?"
„Ein andermal Herr Leutnant, Doch Mas hat
es mich überhaupt zu kümmern? Ich habe ja nur
gescherzt".
Nur gescherzt? Und was cs sie zu kümmern
brauchte? Seltsam standen diese beiden Sätze neben
einander und vertrugen sich nicht.
Nora las diesen Zweifel aus Lerzbergg Mie-
nen heraus, die sie mit flüchtigem Blick ängstlich
streifte.
Gott sej Dank, nun waren die Eltern zur
Stelle. z
Der Leutnant verabschiedete sich. Nachdenklich
begab er sich nach Hause.

Sechstes Kapitel.
Nora fand, an diesem Abend ihre Ruhe lange
nicht. Sie blieb die Abendtnahlzeit Wer einsilbig
und gab aus die Frage ihrer Mutier nach der Ur-
sache dieser seltenen Erscheinung vor, allerlei Er-
innerungen an sich vorüberzichM zu lasten, zu de-
nen sie Herrn Lenzbergs Erzählung angeregt hätte.
„Was können denn das sür Erinnerungen sein?"
fragte der Geheimrat sozusagen an seiner Tochter
vorbei, denn er schien sich Noras Antwort zu über-
legen. „Herrn-Lenzbergs Erzählung und deine be-
scheidenen Erlebnisse — es müßte denn sein, daß
dir der Herr Leutnant noch von anderen Dingen
gesprochen hat. während ihr vsrangmget."
Nora empfand die Fragen ihres Vaters wie
eine Art Verhör. So wenig sie auch sonst bei ih-
rer Wahrheitsliebe versucht hätte, ihren Eltern
gegenüber Ausflüchte zu ersimien. diesmal konnte
sie es nicht über sich bringen, den wahren Grund
ihrer Einsilbigkeit einzugestehen., Ausweichend er-
widerte sie: „Der Herr Leutnant sprach doch vom
Meer, von seinem Verhältnis zu ihm- Da fielen
mir die Zeiten wieder ein, die wir regelmäßig am
MittelMeer verbrachten. Eigentlich bin ich doch
dort ausgewachsen. So oft wir hinunterkamen,' war
ich doch nm ein Jahr älter geworden".
Der Geheimrat nickte seiner Frau lächelnd zu.
„Wo sich so ein Jungmädchengeist überall hin-
verliert! Zu beneiden seid ihr wahrhaftig um
eure skrupellose Kombinationsangabe." wandte sich
Rademann an Nora.- Und zu seiner Frau: „Sag
einmal, Hermine, bist du in deiner Jugend auch
so gewesen?"
Nora war innerlich froh, daß sich das Gespräch
von ihr abzuwenden schien, und achtete in dein
Bemühen ihre Gedanken alle wieder -auf sich allein
zu vereinigen, nicht darauf, was ihre Mutter dem
Vater antwortete.
Sie hörte wphl. wie Frau Rademann, ein zeit-
loses Lächeln auf den Lippen, sagte: „Ich werde
kaum anders gewesen sein, als junge Mädchen zi-
sein pflegen".
Und sie Urte die Mutter noch weitsrsprechen
und den Vater etwas dazwischen fasen, des Vaters
Worte aber wollten an ihren Ohren nicht vorüber-
gleiien-
lFortfetzung folgt).

Theater und Musik
Heidelberger StadttheaLer
„Der Fächer»" von Oskar Wilde.
Es hat Zeiten gegeben, in denen die Wilde-
sche Komödie als ein Musterbeispiel von Hand
lungslebvnbigkeit und geistvollem Dialog Mschie»-
Heute schon erscheint uns das Werk als recht brÜ
chig, in der Handlung zum Teil ins Kiuohafü
hinüberspislend und in der Wechselriede mehr eich
Anhäufung trivialer Blender der Offenbarungen
eines großen Geistes zu sein. Die sonderbare Lc>'
denfchaft Wildes, kühne Paradoxe und im AugeN'l
blick verblüffende Behauptungen auszustellc»
wirkt aus dis Dauer doch ermüdend, zumal d^
künstliche Phrasennebel vor dem Winds der K»»ß
Lik gar bald verweht. Einigermaßen genießb»^'
wirkt dieses geistige FansbaUpiel nur durch-ei»^
flotte und belebte Ausführung, und da muß leid'»
festgestellt werden, daß die gestrige Aufführm^
durch die Mannheimer nicht den Erwartungen em
sprach, die man nach den Mitteilungen über d»
Austauschgastspiele in Karlrul-e, Frankfurt um
München gerade mit diesem Stück hätte heg^
dürfen. Möglich, daß der nahende Spielzeitschlm
seine Schatten voraus warf. Möglich auch, daß d>
zum Teil fürchterliche Umwelt, im der sich lim
in den elegantesten englischen Gesellschaftskreise»
bewegende Komödie hier abspielte, zunächst
die Stmmnumg der Darsteller wirkte. Hierzu st'
men verschiedene Strichs, dis vom Kenner de!
Stückes nicht gerade erfreulich empfunden werde'
konnten und zuletzt eine schleppende Spielweise, d»
einmal sogar zu einer bösen „Schwimmvrobe" as^'
artete. Ueberhaupt setzte sich die gestrige AufE
rung mehr aus Einzeldarstellungen denn aius r
nem Eesamtspiel zusammen. Ich erspare es wä
im einzelnen Lusetnandsrzusetzen. was hätte
ders und bester gemacht werden können, aber
bleibt doch bedauerlich, feststellen zu müssen,
aus der Menge -der Darsteller nur zwei, Fr'»
Albertj und Lore Busch sich ganz auf de»
richtigen Ton einzustellen vermochten. ClM'
von Mühlen als Ladv Windermere
täuschte, wozu auch die fast völlige UnverständlES
keit ihrer Sprache beitrug. Von den Episode»»
 
Annotationen