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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,266
Lask, Berta
(Heid. Hs. 3820,266): Biographische Skizzen über Emil Lask — o.O., 1923 Januar

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https://doi.org/10.11588/diglit.26716#0002
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finstere Fetische. Auch der ehrgeizige Kampf um Platz und Note wurde mit-
gekämpft. Früher hatte ich den Bruder neben mir gesehen ernst und streng
und doch hell und gütig, ein^-gerade waehsende Pflanze, die keine andere
Oestalt hahen konnte und von der Ruhe und Kraft kamen. Jett schien mir
sein Wesen oft entstellt und verzerrt, wie von hosen, unruhigen Geistern
hesessen, die mit fremder Stimme die haBslichen Worte seiner neuen Um-
gebung aus ihm brüllten. Die heiligen Kinderjahre schienen gestorhen und
verschüttet.

Eine ungeheu^re Ehrfurcht vor der geistigen Sachwelt, die ihm in der
Schule entgegentrat, erfüllte ihn. U»d mit einer düsteren Entschlossen-
heit hiss er sich in alles, was mit dieser Welt zusammenhing, fest, als
gälte es, sich ganz tief hineinzustürzen, um durchzustossen in eine ande-
re bessere Welt, die hinter dieser harten, engen, hässlichen verhorgen
liegen musste. Vorerst aher war diese nahe Welt das Absolute. Und mit der
eingeborenen Wucht und Besessenheit seiner Natur warf er sich auf das
Gegeben». Wesentliches vom inhalt des Gegehenen war ihm notwendige geisti
ge Nahrung. Doch ehen die Geistesarheit der Menschheit vorgesetzt zu he-
kommen in einer sinnlosen Zerstückelung, als atomistisches Ragout, in
einem erstarrten Betrieh dnd in einer menschenunwürdigen Verkehrsform,in
einer engen ahseitigen Schule zu sitzen, die nicht
cfreienT alle Stände umfassenden sehopferischen Volksgemeinschaft erwach-

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sen war, und all den Sinn und Widersinn mit ehrfürchtigem durstigen We-
sen aufzunehmen, das musste hei der schweren, ernsten Natur Zerhrochen-
heit und Verdüsterung hewirken. Besessenheit ist eingehorenes Schieksal;
Zerhrochenheit und Verdüsterung sind es nicht.

Ich erinnere mich der morgendlichen Fahrten zur Schule im offenen
Wagen, rechts Wald, llnks die Wiesen des Oderbruchs. Der Frühldngs- oder
Sommermorgen konnte in Wald und Wiesen die berausehendsten Feste feiern,
mein Bruder kümmerte sich nicht darum. Er nahm mit ernstem, oft finsterem
Gesicht ein Buch und las oder lernte auf der ganzen Fahrt. Die Wdlt
draussen war nicht vorhanden.

Spater im letzten Jahrzehnt seines Lehens hat er die märkische Land-
schaft gesehen und leidenschaftlich geliebt.

An Sommerabenden und an Sonntagen spielte er wohl mit uns und ande-
ren Kindern im Freien, doch selten als Leiter und Anreger, mehr wie ein
Mitgezogener, den man aus seiner Welt für eine Weile herausholt. Das ei-
gentliche Lehen war ihm nicht wie mnderen Kindern das Spiel, sondern die
geistige Tagesarbeit. Bpäter als Jüngling und Mann verstand er es,inten-
siv mit Kindern zu spielen. Im letzten Schuljahr liess die krampfhafte
Anstrengung nach. Die Schulaufgahen waren mit so grosser Gewissenhaftig-
keit erfüllt w'orden, dass nun Zeit zu selbstgewählter Arheit hlieh. Er
fing an, philosophische Studien zu treiben, allein, ohne Führer und ohne
gleichstrehende Kameraden, denn unter den Kleinhürgersohnen auf dem Gym-
nasium teilte keiner seine Interessen. Innerhalb der Familie herrschte
die Verschlossenheit und Wortkargheit einsam lehender Landhewohner. Nur
in seltenen Stunden sprach men von dem, was Herz und Geist bewegte. Doeh
es gah auch frohliche Festtage mit Spielen und Wanderungen und am/geregte
Ahende gemeinsamer Lektüre.

Die dunkle dumpfe Schulzeit fand endlich ein Ende. Der Vater fand
sich damit ah, dass der Sohn nicht in die Fahrik eintrat. Aher mein Bru-
der musste versprechen, nehen den philosophischen Kollegs auch Juristi-
sche zu belegen. Noeh nicht neunzehnjährig, ging er nach Freihurg, hürte
dort philosophische, literöffi^historische und kurze Zeit auch Juristi-
sche Kollegs. Ein philosophisch interessierter Junger Mediziner zog ihn
für kurze Zeit in einen fröhlichen Jugendk^reis, doch zog er sich bald
wieder zu einsamer intensiver Arheit und dem stillen Umgang mit wenigen
Studiengenossen zurück.

Als er im zweiten Semester naeh Hause kam, glaubte ich, der düstre
Geist der Schuljahre sei für immer gehannt, das hellere klare Leben der
 
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