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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0249
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5

Der Handel mit Tronien und ihre Konjunktur
auf dem holländischen Kunstmarkt

5.1 Die Tronie als preisgünstiges
Verkaufsobjekt für den freien Markt
Umfang und Qualität der holländischen Troniepro-
duktion lassen kaum einen Zweifel daran, dass die
Bilder als selbständige Kunstwerke intendiert waren.
Zwar hat sich gezeigt, dass Tronien insbesondere im
Rembrandtkreis zu Studien- und Übungszwecken ge-
nutzt wurden.1 Dies gilt jedoch primär für die Ausbil-
dungszeit oder die frühen Schaffensjahre junger Maler
und betrifft somit nur einen kleinen Teil der erhaltenen
Tronien. Auch lässt sich die Verwendung der Gemäl-
de als Werkvorlagen für größere Bildzusammenhänge,
wie sie für die Mehrzahl flämischer Tronien nachge-
wiesen werden kann, in der holländischen Malerei nur
in wenigen Fällen belegen.2 Der überwiegende Teil der
Werke wurde offensichtlich mit dem Ziel des Verkaufs
produziert. Die Bedeutung von Tronien für den nie-
derländischen Kunsthandel und damit auch die Fra-
ge nach Käufern, Verkäufern und Preisen der Werke
verdient eine umfassendere Untersuchung, als dies im
Rahmen dieser Arbeit möglich ist. Dennoch sollen im
Folgenden die wesentlichen Aspekte des Problem-

komplexes in den Blick genommen und anhand von
Stichproben und ausgewählten Beispielen die ent-
scheidenen Tendenzen aufgezeigt werden.
Zu den Dokumenten, die Aufschluss hinsichtlich
Art und Umfang des Verkaufs von Tronien, ihres An-
teils am Besitz niederländischer Bürger, Kunstlieb-
haber und -Sammler sowie ihres materiellen Wertes
geben, gehören in erster Linie erhaltene Inventare,
aber auch Versteigerungs- und Lotterielisten. Bei der
Auswertung dieser Quellen ist zu beachten, dass es
sich bei einem als >tronie< bezeichneten Werk nicht
unbedingt um eine Tronie im Sinne der in dieser
Studie vorgenommenen Definition der Bildaufgabe
handeln muss. Unter Umständen konnte ebenso ein
als Kopfstück gegebenes Porträt gemeint sein. Wie
bereits dargelegt, ist jedoch davon auszugehen, dass
die große Mehrheit niederländischer Bildnisse im 17.
Jahrhundert als >conterfeytsel< beschrieben wurde,
während man für Köpfe, Brustbilder und Halbfi-
guren, die nicht als Porträts intendiert waren, die Ver-
wendung des neutralen Begriffes >tronie< vorzog.3
Somit lassen sich anhand des erhaltenen Quellen-
materials durchaus Aussagen zum zeitgenössischen

1 Vgl. oben, Kap. II.1.5, III.1.4.
2 Wie wir sahen, nutzte Pieter de Grebber Tronien gelegentlich
als Vorbild für die Gestaltung der Figuren anderer Komposi-
tionen, vgl. oben, Kap. III.1.7, S. 152-155. Salomon Köninck
stützte sich bei der Darstellung des Kopfes von Pilatus in
seiner signierten und 1641 datierten Historie Pilatus weigert
sich, die Inschrift des Kreuzes ändern zu lassen von 1641 (Pri-
vatbesitz, Leihgabe im Museum Boijmans Van Beuningen,
Rotterdam, Sumowski 1983-1994, Bd. 3, Kat. Nr. 1082; Kat.
Rotterdam 1988, Kat. Nr. 14, S. 52-55) auf ein 1638 von
ihm radiertes Brustbild eines Orientalen im Profil nach links
(Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings 1949ff., Bd. 9
(o.J.), Nr. 2, S. 272). Vgl. auch Sumowski 1983-1994, Bd. 3,
Kat. Nr. 1080. Jacob Backer verwandte möglicherweise eine
seiner beiden wohl in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre
geschaffenen, im Profil gezeigten Büsten eines alten Mannes
in Dresden (Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie
Alte Meister, Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat. Nr. 18) und

St. Petersburg (Eremitage, Sumowski 1983-1994, Bd. 1, Kat.
Nr. 19) als Vorbild für die Darstellung des Hippokrates in
seiner Historie Hippokrates besucht Demokrit in Abdera
(Milwaukee, Sammlung Alfred Bader, Sumowski 1983-1994,
Bd. 1, Kat. Nr. 3). Da die Bilder dasselbe Amsterdamer Mo-
dell zeigen, das auch Rembrandt und seine Schüler ab 1632
wiederholt heranzogen (vgl. oben, Kap. III.1.2, S. 120, Anm.
19), ist anzunehmen, dass Backer die Werke erst nach seiner
Ankunft in Amsterdam oder zumindest in Auseinanderset-
zung mit dem Werk Rembrandts schuf. Um sicherzugehen,
dass die gemalten Tronien der Historie tatsächlich voraus-
gingen, wäre allerdings eine exaktere Datierung der Werke
nötig. Für ein Beispiel für die Verwendung einer Tronie als
Werkvorlage in der Rembrandtschule vgl. oben, Kap. III. 1.4,
S. 148, Anm. 240.
3 Vgl. Hirschfelder 2001/02, 85f., sowie oben, Kap. I.4., S.
32f.
 
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