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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0250

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Verbreitung und Formen der Tronie

Handel mit Tronien treffen. Dabei sind Werke, die
trotz ihrer Bezeichnung als >tronie< eindeutig als
Bildnisse identifiziert werden können, aus den ent-
sprechenden Analysen auszuschließen. Dieser Fall
ist vor allem dann gegeben, wenn im Zusammenhang
mit der Nennung einer >tronie< der Name bzw. Ti-
tel des Dargestellten oder sein verwandtschaftliches
Verhältnis zum Besitzer des Bildes aufgeführt wer-
den,4 aber auch, wenn eine >trome< als Werk eines
Porträtspezialisten ausgewiesen ist.5
Inventare des 17. Jahrhunderts bestätigen, was schon
die große Zahl erhaltener Werke vermuten lässt, näm-
lich, dass Tronien insgesamt eine nicht zu vernachläs-
sigende Größe innerhalb des Kunstbesitzes der Nie-
derländer darstellten. In den 285 von John Michael
Montias ausgewerteten Amsterdamer Inventaren mit
mindestens einer Zuschreibung machen >tromen< in
der Zeit von 1620 bis 1649 3,3%, in der Zeit von 1650
bis 1679 2,4% aller Sujets aus.6 Im Verhältnis zum
Aufkommen der Gattungen Historie (mit 28,7%
und 14,4%) und Genre (mit 7,3% und 8,3%) scheint
dies zwar relativ wenig. Vergleicht man den Anteil
der Tronien jedoch mit demjenigen einzelner Bild-
aufgaben der verschiedenen Gattungen und nicht mit
Letzteren in ihrer Gesamtheit, so kommt eine Reihe
anderer Sujets bedeutend weniger häufig in Montias’
Stichprobe vor als Tronien. Historienbilder beispiels-
weise, die Szenen aus der Antike zeigen, stellen in der
ersten Periode 1,3%, in der zweiten Periode gerade
einmal 0,8% der Werke; Architekturstücke jeweils
nur 0,6% und 0,5%. Betrachtet man die Zahlenver-
hältnisse innerhalb aller von Montias aufgestellten
Bildgruppen, so ist festzustellen, dass in der Zeit von
1620 bis 1649 19 der 28 unterschiedlichen Kategorien
eine kleinere Anzahl von Gemälden aufweisen als die
Gruppe der Tronien; in der Zeit von 1650 bis 1679
4 Vgl. z.B. GPI 1994-2003, N-2112, Nr. 0032 (Inv. Cornelia
Venators, Amsterdam 13.6.1653): »Een tronie van den over-
leden haer bestevader 2:—:—«; GPI 1994-2003, N-70, Nr.
0085 (Inv. Johan van Sijpesteijn, Utrecht, 26.9.1693): »een
mannen troonje hartogh van Burgondien.«
5 GPI 1994-2003, N-2214, Nr. 0022 (Inv. Johannes de Renial-
me, Amsterdam 22.6.1657): »Een dito [manstroni], van An-
thoni Moor f. 6:-:-«; GPI 1994-2003, N-1465, Nr. 0053
(Inv. Maria van Rommerswael, Dordrecht 2.4.1674): »Een
tronie van Michiel Merevelt«.
6 Montias 1991, Tab. 2, S. 350f. Allerdings gibt Montias nicht
an, ob er als Porträts klassifizierbare, aber als >tronien< be-
zeichnete Werke aus seiner Zählung der Tronien ausgeklam-
mert hat.
7 Loughman 1992/93, S. 47. Für Leiden vgl. Fock 1990, S. 18.

sind es noch 18 Bildgruppen. John Loughman gibt in
seiner Untersuchung der Sammeltätigkeit in Dord-
recht an, dass immerhin 1,6% aller in den ausgewer-
teten 296 Inventaren genannter Sujets als >tronien<
beschrieben werden.7
Fragt man danach, auf welchem Wege die Käu-
fer in den Besitz von Tronien gelangten, so ist zu-
nächst zu konstatieren, dass keinerlei schriftliche
Belege dafür existieren, dass die Werke im Auftrag
hergestellt wurden. Demgegenüber lässt sich pro-
blemlos zeigen, dass Tronien auf dem freien Markt
verkauft wurden. Hierfür spricht schon die Tatsache,
dass die Werke im Besitz von Kunsthändlern nach-
weisbar sind. So enthält beispielsweise das an qua-
litätvollen und teuren Gemälden besonders reiche
Inventar des Amsterdamer Kunsthändlers Johannes
de Renialme 72 als >tronien< bezeichnete Bilder.8
Nicht eingerechnet sind dabei Werke, die eindeutig
als Zeichnungen klassifiziert sind, sowie Bilder von
italienischen Meistern und solchen, die vornehmlich
vor 1600 aktiv waren. Insgesamt umfasste das Inven-
tar ca. 626 Gemälde, Zeichnungen und Drucke.9 Die
Tronien machen damit immerhin einen Anteil von
etwa 11,5% aus. Zudem ist damit zu rechnen, dass
sich auch hinter einigen der im Inventar genannten
Einfigurenbilder Tronien verbergen, selbst wenn sie
nicht explizit als solche betitelt sind. Dies könnte
z. B. auf folgende Werke zutreffen:
»Een moor, van Backer 40:—:—«10
»Een moor van Rembrant van Rijn 12:—:—«
»Een out man, van Jan Lievenss 40:—:—«
»Een oude vrouw, van S. Coninck 48:—:—«
»Een lesende man 6:—:—«
Neben Renialme hatten auch andere Kunsthändler
Tronien im Angebot, wie der Inhalt ihrer Inventare
verrät. Zu nennen sind hier z. B. die ebenfalls in Ams-
8 GPI 1994-2003, N-2213, Nr. 0155, 0162, 0163, 0164, 0175,
0177, 0182, 0216, 0235, 0238, 0242, 0246, 0251, 0262, 0263,
0264, 0268, 0277, 0278, 0285, 0305, 0307, 0316, 0320, 0322,
0325, 0361, 0383, 0384, 0387, 0388, 0398, 0400, 0408, 0409,
0412, 0417, 0421, 0440, 0442, 0453, 0468, 0476, 0477, 0483,
0501; N-2214, Nr. 0028, 0046, 0073 (Inv. Johannes de Re-
nialme, Amsterdam 20./22.6.1657).
9 Die exakte Zahl der Bilder kann nicht genau ermittelt wer-
den, da in einigen Fällen nicht klar zu bestimmen ist, ob es
sich bei einem Werk um ein Gemälde oder em plastisches
Werk handelt.
10 GPI 1994-2003, N-2213, Nr. 0030 (Inv. Johannes de Renial-
me, Amsterdam 20.6.1657). Für die folgenden Einträge siehe
ebd., Nr. 0220, 0326, 0106, 0179.
 
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