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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0260
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Verbreitung und Formen der Tronie

Anzahl großer Gemälde mit mehreren Figuren und/
oder aufwendiger Hintergrundgestaltung, die einen
größeren Zeitaufwand erforderten, erheblich teurer
waren und sich unter Umständen schwerer verkau-
fen ließen. Nicht zuletzt aus diesem Grund eigneten
sich Tronien besonders gut als Verkaufsprodukte
junger Künstler, die sich gerade erst selbständig ge-
macht hatten und es sich nicht oder nicht in großem
Umfang leisten konnten, ohne Auftrag in wesentlich
teurere Bilder zu investieren. Zudem waren sie auf
den Absatz ihrer Werke auf dem freien Markt beson-
ders angewiesen, weil sich gerade ausgesprochen luk-
rative Aufträge naturgemäß erst mit dem steigenden
Bekanntheitsgrad eines Malers einstellten.70
Der Bildbefund bestätigt, dass Tronien im Werk
vieler Maler, die sich mit der Bildaufgabe beschäf-
tigten, gerade in der ersten Schaffensperiode in beson-
ders hoher Konzentration vorkommen. So stammt die
mit Abstand größte Zahl der erhaltenen Tronien von
Lievens aus den ersten sechs bis sieben Jahren seiner
Tätigkeit als selbständiger Meister.71 Ebenso lag im
Frühwerk Rembrandts einer der Schwerpunkte seiner
Arbeit auf der Produktion von Tronien. Während diese
etwa ein Drittel der erhaltenen Gemälde des Meisters
aus den Jahren zwischen 1625 bis einschließlich 1631
ausmachen, entspricht ihr Anteil an den aus den da-
rauf folgenden sieben Jahren überlieferten Werken
nur ca. einem Sechstel. Gleichzeitig ist im CEuvre
Rembrandts ab 1631/32 em hohes Aufkommen von
Auftragswerken - vornehmlich Porträts, aber auch
Historien - zu verzeichnen.72 Offensichtlich ging
Rembrandts Produktion von Tronien, die er für den
freien Markt schuf, aufgrund der Versorgung mit ei-
ner ausreichenden Menge an Aufträgen deutlich zu-
rück.
Ähnliches lässt sich auch für das Schaffen von
Frans Hals beobachten. In den zwanziger und drei-
ßiger Jahren widmete er einen wichtigen Teil seiner
künstlerischen Tätigkeit dem Malen von Tronien und
einfigurigen Genrebildern. Diese wurden, wie Lotte-

rielisten der dreißiger Jahre belegen, auf dem freien
Markt verkauft.7' Doch mit zunehmender Dichte
seiner Porträtaufträge, die sich an der Zahl der erhal-
tenen Werke ablesen lässt,74 verschwanden Tronien
und andere Genrebilder aus dem GEuvre des Meis-
ters: Ab Beginn der dreißiger Jahre schuf Hals keine
Tronien im strengen Sinne mehr, ab 1640 gab er die
Genremalerei vollständig auf, »omdat hij meer dan
genoeg portret-opdrachten kreeg en dus niet meer
voor de vrije markt hoefde te schilderen.«75
Des Weiteren lässt sich beobachten, dass sich
Govaert Flinck, Ferdinand Boi und Samuel van
Hoogstraten in den ersten Jahren ihrer künstlerischen
Tätigkeit und damit in der Phase ihrer Etablierung
als selbständige Meister eindeutig am intensivsten
mit Tronien auseinandersetzten. Bei Flinck umfasst
die Zeit, in der er die meisten Tronien malte, ca. neun
Jahre (1636-1645), bei Boi sind es acht (1642-1650)
und bei van Hoogstraten etwa fünf Jahre (ca. 1644—
1649).76 Jacob Backer beschäftigte sich in den ersten
sieben Jahren nach seiner Niederlassung in Amster-
dam (1633-1640) in besonders großem Umfang mit
der Bildaufgabe.
Vermutlich ist es auch kein Zufall, dass im Jahr
1631 auf der Auktion des Haarlemers Hendrick Wil-
lemsz. den Abt »4 tronijkens van molenaer«77 verstei-
gert wurden. Jan Miense Molenaer (ca. 1610-1668)
war zu diesem Zeitpunkt noch ein junger Maler, seine
ersten datierten Bilder stammen aus dem Jahr 1629. s
Offenbar gehörten Tronien zu den kostengünstig
hergestellten Werken, die Molenaer in jungen Jahren
für den freien Markt produzierte.79
Die genannten Maler nutzten Tronien dazu, sich
bei der Käuferschaft einen Namen zu machen und
ihre Stellung auf dem Kunstmarkt auszubauen. Zu
diesem Zweck waren Einfigurenbilder auch deshalb
besonders geeignet, weil man sie in größerer Zahl
herstellen konnte als figuren- und gegenstands-
reichere Histonen oder Genrebilder und damit die
schnelle Verbreitung der eigenen Bilder förderte.

70 Vgl. Boers 1999, S. 202.
71 Vgl. oben, Kap. II.1.1, S. 37-42.
72 Zu Rembrandts Tätigkeit für den Haager Hof sowie zu sei-
nen Porträtaufträgen in den dreißiger Jahren vgl. u. a. Tümpel
1986, S. 77-107, 120-139; Schwartz 1987, S. 67-71, 143-166;
Dudok van FIeel 1991/92, S. 54.
73 Vgl. oben, S. 231, Anm. 12.
74 Vgl. Slive 1970/74, 3 Bde.
75 Wijsenbeek-Olthuis / Noordegraaf 1993, S. 48. Vgl. auch
Biesboer 1993, S. 77.

76 Vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 196f.
77 Miedema 1980, Bd. 1, Dok. A45, S. 137 (Verst. Hendrick
Willemsz. den Abt, Haarlem 20.11.1631).
78 Weller 2002/03b, S. 9.
79 Vgl. auch Weller 2002/03a, S. 3f. Natürlich ist nicht aus-
geschlossen, dass es sich bei den in der Versteigerungsliste
genannten >tronijkens< um einfigurige Genrebilder in Halb-
figur handelte. Vgl. oben, Kap. III.3.1, S. 200, Anm. 52.
 
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