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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0261

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Der Handel mit Tronien

241

Schließlich sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Tro-
nien dafür prädestiniert waren, den individuellen Stil
eines Künstlers zu veranschaulichen, worauf in Ka-
pitel V.3.1 ausführlich eingegangen wird. Auch aus
diesem Grund konnten noch vergleichsweise unbe-
kannte Meister die Werke dazu nutzen, den Wieder-
erkennungseffekt ihrer Gemälde und damit den eige-
nen Bekanntheitsgrad und Marktwert zu steigern.
5.2 Zum Rückgang der Tronieproduktion
in der zweiten Jahrhunderthälfte
Die in Kapitel III.3.1 durchgeführte Untersuchung
zur Verbreitung von Tronien in den Nördlichen Nie-
derlanden des 17. Jahrhunderts ergab, dass nach 1660
deutlich weniger Maler Tronien produzierten als in
den vorangehenden Jahrzehnten. Fragt man nach
den Gründen für diesen Rückgang der Tronieproduk-
tion, so eröffnet die in Kapitel III.4.1 vorgenommene
Analyse der Fachgebiete von Troniemalern eine in-
teressante Perspektive: Sie ergab unter anderem, dass
besonders viele Historienmaler Tronien schufen, wo-
hingegen sich Genremaler - insbesondere Vertreter
des bürgerlichen Genres - in weit weniger großem
Umfang mit dem Sujet beschäftigten.
In seiner Auswertung von 258 Amsterdamer In-
ventaren mit mindestens einer Zuschreibung ver-
zeichnet Montias ab den zwanziger Jahren das kon-
tinuierliche Absinken der Anzahl von Historien.80
Beträgt der Prozentsatz dieser Bilder in den Jahren
1620-29 noch 44% des gesamten Gemäldeaufkom-
mens der Inventare, so sind es 1650-59 nur noch
15,2% und in der letzten von Montias berücksich-
tigten Periode von 1680-89 nur noch 10%. Im Ge-
gensatz dazu ist ein deutlicher Anstieg der Bilder,
die zu den Gattungen Landschaft und Genre gehö-
ren, festzustellen. In den von Montias ausgezählten
Inventaren machen Genrebilder 1620-29 3,9% der
aufgeführten Gemälde aus, 1650-59 sind es 7,4%
und 1680-89 12%, womit die Zahl der Genredar-
stellungen diejenige der Historien in der letzten Pe-
riode übersteigt. Anhand von Montias’ Material lässt
sich darüber hinaus auch ein Rückgang von Tronien
ablesen: Während der Anteil der in den Inventaren
als >tronien< verzeichneten, ansonsten nicht näher

spezifizierten Werke in den Jahren 1620-59 durch-
schnittlich bei 3,5% liegt, haben sie in den folgenden
drei Jahrzehnten nur noch einen Anteil von 1,6% am
gesamten Bildvolumen. Vor allem in den achtziger
Jahren ist die Zahl der Werke mit 1,1% stark rück-
läufig und kann als Zeichen für die abnehmende Tro-
nieproduktion in Amsterdam interpretiert werden.
Montias geht davon aus, dass die in den Inventaren
verzeichneten Gemälde in der Regel nach der ersten
Heirat des Besitzers und im Durchschnitt etwa 10 oder
11 Jahre vor ihrer Inventarisierung erworben wurden.81
Die Verzeichnisse der achtziger Jahre vermitteln also
ein Bild des Kaufverhaltens in den siebziger Jahren. Be-
reits zu dieser Zeit interessierten sich die Käufer offen-
sichtlich stärker für Genre- als für Historienbilder.
Diese Beobachtung wird nicht nur durch Montias’
frühere Untersuchung zu 1224 Delfter Inventaren,
die den gleichen Trend erkennen lässt,82 bestätigt,
sondern auch durch C. Willemijn Focks Analyse von
120 Leidener Inventaren und John Loughmans Aus-
wertung von 296 Inventaren der Stadt Dordrecht.83
Für Haarlem liegt leider keine entsprechende Un-
tersuchung vor, da Marion E.W. Goosens in ihrer
Studie zum Haarlemer Kunstmarkt nur Inventare
der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auswertet.
Der generelle Trend des allmählichen Absinkens von
Historien und des Ansteigens von Genrebildern in
den Bestandslisten wird allerdings auch in Haarlem
bereits in dieser Zeit sichtbar.84
Die wachsende Beliebtheit von Genredarstellungen
begünstigte ohne Zweifel eine vermehrte Spezialisierung
von Künstlern auf dieses Gebiet der Malerei. Gleichzei-
tig ist mit einer Abnahme von Meistern zu rechnen, die
als Historienmaler tätig waren. Da festgestellt werden
konnte, dass die Mehrheit der holländischen Troniema-
ler auch Historien schuf, ist davon auszugehen, dass mit
sinkender Zahl aktiver Historienmaler auch die Anzahl
jener Meister schrumpfte, die Tronien produzierten.
Hinzu kommt, dass viele der in der zweiten Jahrhun-
derthälfte tätigen Genremaler nicht zur Fortsetzung
der Tronieproduktion in den Nördlichen Niederlan-
den beitrugen. Dies gilt insbesondere für Künstler, die
sich wie z.B. Gerard Ter Borch (1617-1681), Gabriel
Metsu (1629-1669), Pieter de Hooch (1629-1684), Ja-
cob Ochtervelt (1634-1682), Eglon Hendrik van der
Neer (1634-1703) und Caspar Netscher (1635/36—

80 Montias 1991, S. 335f, Tab. 3, S. 352f.
81 Montias 1991, S. 335f.
82 Montias 1982, S. 238-246; Montias 1991, S. 346.

83 Fock 1990, S. 18-23, siehe bes. die Tabelle, S. 19; Loughman
1992/93, S. 47, 49, Tab. 2, S. 46.
84 Goosens 2001, S. 331, 343-358, bes. Tab. 105, S. 346f.
 
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