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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0259

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Der Handel mit Tronien

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eine Tronie von Philips Köninck im >voorhuis<, d. h.
in der Eingangshalle von Beckers Haus, hingen. Das
>voorhuis< gehörte zu den öffentlichen Räumen eines
holländischen Hauses, in denen Gäste empfangen
wurden.60 Seine Ausstattung musste somit repräsen-
tative Zwecke erfüllen. Loughman und Montias ha-
ben ermittelt, dass sich in den öffentlichen Räumen, zu
denen neben dem >voorhuis< auch der >(groote) zaal<
sowie die >grote kamer< oder Geste kamen zählten, in
der Regel eine größere Zahl an Bildern und darüber
hinaus auch wertvollere Werke befanden als in den
Privaträumen holländischer Häuser.61
Beckers >voorhuis< war mit 15 Bildern ausgestat-
tet - eine im Vergleich mit den insgesamt 225 im In-
ventar genannten Werken kleine Zahl. Die Tatsache,
dass ausgerechnet mehrere Tronien für die Dekora-
tion der Eingangshalle ausgewählt worden waren,
spricht gerade deshalb, weil dort nicht sehr viele Bil-
der hingen, für ihre besondere Wertschätzung. Die
Tronien wurden offensichtlich als geeignet betrach-
tet, um einen angemessenen Eindruck vom Status,
vielleicht auch vom Kunstgeschmack ihres Besitzers
zu vermitteln.
Auch andere Inventare belegen, dass man Tronien
im Wohnbereich an prominenter Stelle aufhängte:
Im Nachlassverzeichnis des wohlhabenden Leide-
ner Medizin-Professors Francois de le Boe Sylvius
z.B. wird angegeben, dass sich im »groot salet«, dem
vornehmsten Raum des Hauses, neben 31 anderen
Werken auch zwei Tronien von Frans van Mieris
befanden.62 »1 turx tronij van Rembrant« im Besitz
des Regenten Frederick Alewijn hing »in de groote
sael«63 des Hauses. Und »Op ct zaaltie« des Amster-
damer Bürgers Piettro Muyssart war »Een lachende
troonje«64 zu sehen. Zudem geht aus Einträgen wie

dem folgenden hervor, dass man Tronien gelegent-
lich zur Dekoration des privilegierten Platzes über
dem Kamin verwandte, der besonders geschätzten
Bildern vorbehalten war:65 »Een dito [trony] van een
moor voor de schoorsteen.«66
Wie hoch Tronien bei holländischen Kunstlieb-
habern im Kurs standen, zeigt auch die Tatsache,
dass selbst die Oranier entsprechende Werke für ihre
Sammlung erwarben: Wie schon erwähnt, berichtet
Constantijn Huygens, dass Prinz Frederik Hendrik
eine türkische Tronie von Lievens sein Eigen nann-
te.67 Außerdem werden in dem 1707 aufgestellten
und in den Jahren 1713 und 1719 überarbeiteten In-
ventar des Schlosses Honselaarsdijk folgende, in der
»audientiekamer« aufbewahrte Werke genannt: »Een
vrouwentrony van Rembrandt«, »Een mans trony
van dito« und »Een dito trony.«68
Die günstigen Preise, zu denen man Tronien auch be-
kannterer Maler kaufen konnte, trugen ohne Zweifel
zur Beliebtheit und Verbreitung der Werke in den
Nördlichen Niederlanden bei.69 Der Kostenfaktor
spielte zudem nicht nur für das Interesse des Publi-
kums an Tronien eine Rolle, sondern war auch für die
Maler der Werke relevant. Für diese stellten Tronien
insofern ein rentables Produkt dar, als die meist rela-
tiv kleinen, einfigurigen Bilder mit begrenztem Auf-
wand an Material und Arbeitszeit hergestellt werden
konnten. Für die Anfertigung von Werken für den
freien Markt bzw. auf Vorrat war dies insofern vor-
teilhaft, als kein hoher Kostenverlust entstand, wenn
die Bilder nicht direkt verkauft werden konnten. Das
Herstellen mehrerer in kurzer Zeit gemalter Bilder
ermöglichte eine sicherere Kalkulation der Ausgaben
und Einnahmen als die Produktion einer geringeren

60 Loughman / Montias 2000, S. 52. Die Autoren untersuchen
die Funktion der Räume in holländischen Privathäusern des
17. Jahrhunderts sowie ihre Ausstattung mit Kunstwerken.
Vgl. hierzu außerdem Westermann 2000; Sluijter 2001/02;
Kat. Newark / Denver 2001/02.
61 Loughman / Montias 2000, S. 51-70,104.
62 Lunsingh Scheurleer / Fock / Dissel 1986-1992, Bd. 3a
(1988), Rapenburg 31, Bijlage II, S. 335-342, hier S. 337 (Inv.
Frangois de le Boe Sylvius, Leiden 6.4.1673): »1 tronytgen
van Frans Mieris«, »1 dito [tronytgen] van deselfde«. Zur
Kunstsammlung von de le Boe Sylvius und ihrer Verteilung
in dessen Haus vgl. Sluijter 2001/02, S. 105-116.
63 GPI 1994-2003, N-2349, Nr. 0014 (Inv. Frederick Alewijn,
Amsterdam 18.12.1665). Vgl. Schwartz 1987, S. 199.
64 GPI 1994-2003, N-330, Nr. 0033 (Inv. Piettro Muyssart,
Amsterdam 28.7.1694).

65 Loughman / Montias 2000, S. 106-108, heben hervor, dass
sich in der Hängung über dem Kamin die besondere Würdi-
gung eines Bildes ausdrückte.
66 GPI 1994-2003, N-115, Nr. 0045 (Inv. Cornelia Quina, Ams-
terdam 14.2.1685). Das Bild befand sich »Op de geele kamer«.
Vgl. auch GPI 1994-2003, N-2922, Nr. 0006 (Inv. Saertgen
Roelofs, Haarlem 25.2.1652): »Een tronij voorde schoorsteen«;
GPI 1994-2003, N-5305, Nr. 0032 (Inv. Gerrit Kmckhuijsen,
Amsterdam 5.9.1668): »Een trony voorde schoorsteen f. 13:—:—«;
GPI 1994-2003, N-3946, Nr. 0006 (Inv. Aeltie Gerrits, Haarlem
9.8.1668): »Drie ronde tronitgens voorde schoorsteen«.
67 Vgl. oben, Kap. II.1.4, S. 51.
68 Drossaers / Lunsingh Scheurleer 1974-1976, Bd. 1, S. 531,
Nr. 208-210 (Inv. Huis Honselaarsdijk 1707-1713-1719).
69 Für weitere Faktoren, die die zeitgenössische Wertschätzung
von Tronien bestimmten, vgl. unten, Kap. V.
 
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