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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0218
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I

— 196 —

mit einfachen Fensterwänden statt findet. Eey einer gemischten Anordnung wird schwer
vermieden, dafs nicht darunter theils das Gleichtnaafs, theils der Akkord des Ganzen leiden
sollte» Zu einer fehlerhaften Anordnung rechnen wir indessen nicht, wenn bey einer frey-
stehenden Säulenstellung zur Verstärkung der Ecken etwa Stirnpfeiler gebraucht werden, wie
bey dem Tempel in Antis (Vitr. 3, is), oder das Aufstellen freyer Säulen mit Halbsäulen,
wie bey dem Pseudoperipteros (Vitr. 4, 7O, oder eine Bogenöffnnng in der Mitte zum Ein-
gange mit Fensteröffnungen rechts und links einer Fronte. Ueberhattpt sind die Fälle so
mannigfaltig, dafs sich hierüber mehr Fingerzeige, als allgemein geltende Regeln geben lassen;
und nicht selten kommt ein Gesetz in Gegenstreit mit einem andern» wo dann allerdings
das weniger Wichtige hohem Rücksichten aufgeopfert werden mufs.

<D e r Bau der Stockwerke übet einatider.

§. 3. Eey der Lehre der Stockwerke über einander ist das erste Gesetz, dafs das obere
immer über den festen Massen des untern stehe, und dafs das untere Stockwerk in seinen
Massen immer stärker sey, als das, welches darüber gesetzt wird.

Bauet man in freyeü Säulen, so machet gewöhnlich jede Säulenstellung auch ein Stock-
Werk für sich, und so bilden zwey Säulenstellungen auch zwey besondere Stockwerke (PI. XLII.
Fig. B.). Allein es giebt auch Fälle, wo zwey Säulenstellungen über einander nur Ein Stock-
werk, und wieder andere, wo nur Eine Säulenstellung deren zwey machet.

Der erstere Fall (Fig. A.) kommt zwar in den alten Denkmälern nur einmal vor, nämlich
im Innern des grofsen Tempels zu Paestum. Nach der Anordnung aller Tempel, die zur
Gattung Hypaethros gehören, war die Zelle durch zwey von den Mauern abstehende Säu-
lenreihen in drey Schiffe getheilt. Hätte man nun den Säulen vom Fufsboden bis zu dem
obern Rande der Zellenmauer Eine Länge gegeben; so würden sie wegen der zur Länge
erforderlichen Dicke den innern Raum zu sehr gefüllt, und ein zu ungeheueres Ansehen
gehabt haben. Man wählte also den Ausweg, die Säulen dünner zu halten, und anstatt einer
Reihe stellte man deren zwey über einander auf. Man brauchte zu ihrer Absonderung nicht
das ganze Gebälke, sondern blofs den Architrab. Späterhin scheinen aber die Säulenreihen
über einander auch in den Hypaethren zwey besondere Stockwerke gemacht zu haben, wie
in dem Tempel des Jupiter zu Olympia (Paus. 5, 10.). Ueberhaupt kennen wir keinen Fall,
wo wir zwey Säulenstellungen über einander zu Einem Stockwerk verbunden rechtfertigen
möchten.

Der zweyte Fall kommt in den alten Monumenten gar nicht vor; aber desto öfter in
der neuern Architektur, zwar nicht in freyen, sondern nur in Halbsäulen (Fig. G). Aus
Vitruv jedoch lernen wir eine ähnliche Anordnung kennen. In dem Innern der dreyschiffi-
gen Basilik zu Fanum, die er selbst baute (5, 1.) nimmt er Säulen an, welche bis unter die
Decke des mittlem Schiffes hinanreichen (Fig. H.). Die Seitenschiffe aber bilden zwey Stock-
werke, und zwar sieht es aus, als wenn das Balkenwerk derselben in die Säulenschäfte selbst
eingriffe, und darin seine Ruhepunkte und Lager hätte. In der Wirklichkeit würde eine
solche Constructionsart sehr fehlerhaft seyh; bey Vitruv ist sie es nur scheinbar, denn ein-
wärts sind an den Säulenschäften besondere Pfeiler angebaut, worauf das Balkenwerk der bei-
den Stockwerke ruht, so dafs die Säulenstämme, welche die Decke des mittlem Schiffes
stützen, dadurch keine Verletzung erleiden. Indessen können wir doch hierin den Vitruv
nicht ganz rechtfertigen, denn was in der Wirklichkeit fehlerhaft seyn würde, soll man auch
nicht scheinbar bauen.

Noch weniger können wir das Verfahren der Neuern rechtfertigen, welche am äufsern
der Gebäude Halbsäulen oder Pilaster anbringen, welche durch zwey Stockwerke hinan rei-
chen
 
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