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MELANGES HULIN DE LOO
Formen- und geistesgeschichtlich bezeichnet das Bild die
entscheidende Epoche auf dem Wege, der die niederlan-
dische Malerei von der Wiener « Beweinung » des Hngo
van der Goes zur Borghese-Grablegung des jungen Rubens
und weiterhin zum « Christ à la paille » der Antwerpener
Galerie führt. Indem sich die niederlandische Kunst, in der
Gestalt eines genialen Meisters, ganz von sich selber, von
den im Norden zahe bewahrten Bindungen tausendjahriger
Symbole loslost und mit Ungestüm dem neuen, freien und
weltzugewandten Menschentum der Hochrenaissance er-
gibt; indem sie sich aus dem zerbrechlichen Liniengeriist
der gotischen Komposition befreit, das auch noch des Mas-
sys Antwerpener Beweinung nicht hatte tiberwinden kon-
nen, und sich den raumlich Aveit ausschAvingenden Rhyth-
mus italienischer Flachendisposition, das plastische Hell-
dunkel der Renaissance aneignet — macht sie zugleich auch
schon die Krafte einer spezifisch nordischen, mehr aus dem
Licht als aus dem Raum geborenen, mehr seelenhaften als
korperhaften Bilclanschauung frei. Aus dem symbolisch-
zeitlosen Altarbild wird die vom Erlebnis des Augenblicks
erfiillte, religiose Historié, der Ausdruck einer Religiositat,
der en Subjekt nicht mehr Gott, sondera der Mensch ist.
Und in dieser unabselibaren Umwalzung bezeiclmet unser
Bild den einen, glücklichen Punkt, avo dem Nordlander zum
ersten Male das « Leben » in seiner strahlenden Fülle und
todiiberwindenden Kraft aufgegangen ist—ehe ihm alsbald
aufs neue die Bedingtheit, die stete FragAvürdigkeit dieses
Lebens, ailes kiinstlerische Schaffen iiberschattend, zum
Bewusstsein kommen sollte.
Wer hat das Bild gemalt? Der Name S Corel, unter dem
es noch zu Anfang 1928 für das Muséum eiworben wurde,
wird neuerdings bestritten und das Gemalde dem jungen
ïleemskerck zugeschrieben. Da aber fast jedes einzelne
von den Bildern, auf die man sich zur Begründung für oder
Avider stützen kann, selbst wieder umstritten Avird, so hait
es der Verfasser für Avenig erspriesslich, an dieser Stelle
MELANGES HULIN DE LOO
Formen- und geistesgeschichtlich bezeichnet das Bild die
entscheidende Epoche auf dem Wege, der die niederlan-
dische Malerei von der Wiener « Beweinung » des Hngo
van der Goes zur Borghese-Grablegung des jungen Rubens
und weiterhin zum « Christ à la paille » der Antwerpener
Galerie führt. Indem sich die niederlandische Kunst, in der
Gestalt eines genialen Meisters, ganz von sich selber, von
den im Norden zahe bewahrten Bindungen tausendjahriger
Symbole loslost und mit Ungestüm dem neuen, freien und
weltzugewandten Menschentum der Hochrenaissance er-
gibt; indem sie sich aus dem zerbrechlichen Liniengeriist
der gotischen Komposition befreit, das auch noch des Mas-
sys Antwerpener Beweinung nicht hatte tiberwinden kon-
nen, und sich den raumlich Aveit ausschAvingenden Rhyth-
mus italienischer Flachendisposition, das plastische Hell-
dunkel der Renaissance aneignet — macht sie zugleich auch
schon die Krafte einer spezifisch nordischen, mehr aus dem
Licht als aus dem Raum geborenen, mehr seelenhaften als
korperhaften Bilclanschauung frei. Aus dem symbolisch-
zeitlosen Altarbild wird die vom Erlebnis des Augenblicks
erfiillte, religiose Historié, der Ausdruck einer Religiositat,
der en Subjekt nicht mehr Gott, sondera der Mensch ist.
Und in dieser unabselibaren Umwalzung bezeiclmet unser
Bild den einen, glücklichen Punkt, avo dem Nordlander zum
ersten Male das « Leben » in seiner strahlenden Fülle und
todiiberwindenden Kraft aufgegangen ist—ehe ihm alsbald
aufs neue die Bedingtheit, die stete FragAvürdigkeit dieses
Lebens, ailes kiinstlerische Schaffen iiberschattend, zum
Bewusstsein kommen sollte.
Wer hat das Bild gemalt? Der Name S Corel, unter dem
es noch zu Anfang 1928 für das Muséum eiworben wurde,
wird neuerdings bestritten und das Gemalde dem jungen
ïleemskerck zugeschrieben. Da aber fast jedes einzelne
von den Bildern, auf die man sich zur Begründung für oder
Avider stützen kann, selbst wieder umstritten Avird, so hait
es der Verfasser für Avenig erspriesslich, an dieser Stelle