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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 1.1912

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Silberer, Herbert: Märchensymbolik
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https://doi.org/10.11588/diglit.42094#0185
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Über Märchensymbolik

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Die Mythenanalyse nach Freu dschen Prinzipien, wie sie bei*
spielsweise von Riklin* durchgeführt wird, richtet ein Hauptaugen-
merk auf die Auffindung sexueller Momente, welche in den tief-
innersten Schichten der Phantasiegewebe eine mächtige Rolle zu
spielen pflegen ,- sie hat in dieser Hinsicht auch schon viel interessantes
Material zu Tage gefördert. Es ist ganz erstaunlich, wie viel ver-
schleierte Erotik in den meisten Märchen und Sagen stecht. Eine
wichtige Beziehung der Mythen zur Psychologie des Einzelnen hat
ferner Otto Rank®* herausgefunden. Indem er, einer von Freud
aufgestellten psychologischen Deutung der Ödipus-Sage nachgehend,
ein reiches Material von Mythen durchanalysierte, gelang es ihm,
die frappante Ähnlichkeit des Durchschnittsmythos von der Geburt
des Helden mit dem sogenannten »Familienroman« des Neurotikers
nachzuweisen. Etwas allgemein verständlicher ausgedrüdct; er zeigte,
daß die Mehrzahl derjenigen Mythen, welche die Gedurtsgeschichte
und damit zusammenhängende Lebensschidcsale ihrer Helden <z. B.
Sargon, Moses, Ödipus, Perseus, Kyros, Lohengrin etc.) behandeln,
genau jene charakteristischen Züge aufweisen, wie die Phantasien,
welche die Psychoneurotiker an ihre Abstammung knüpfen — Phan-
tasien. zu denen mehr oder weniger jeder Mensch eine gewisse
Neigung hat, weil sich darin Kindheitskonflikte spiegeln, die kaum
je in einer psychischen Entwiddung fehlen.
Auf Riklin muß ich zum Verständnis späterer Beispiele etwas
näher eingehen. Er erblicht in den Märchen hauptsächlich Erfüllungs-
phantasien erotischer Wünsche,- das Märchen bedient sich aber dafür
einer symbolischen Ausdrucksweise. Hervorragende Bedeutung haben
eine Reihe von Tieren als Sexualsymbole. Greifen wir einmal aus
der berühmten Grimm sehen Sammlung das erste Märchen heraus.
Es trägt den Titel: »Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich.«*
Der Inhalt ist, kurz erzählt, folgender:
»Die Königstochter verliert ihren goldenen Ball, welcher ins
Wasser fällt. Der Frosch, der aus dem Wasser kommt, verspricht,
ihn wieder zu bringen. Als Belohnung will er aber weder die
Kleider, noch Perlen und Edelsteine, noch die Krone f sondern die
Königstochter muß versprechen, ihn lieb zu haben,- er will ihr
Geselle und Spielkamerad sein, an ihrem Tischlein neben ihr sitzen,
von ihrem goldenen Tellerlein essen, aus ihrem Becherlein trinken,
in ihrem Bettlein schlafen. Auf die Zusage hin holt er den Ball:
als aber die Königstochter ihr Versprechen nicht halten will, kommt
der Frosch am folgenden Tag ins Schloß gehüpft und verlangt von
der Tochter, die sich vor ihm fürchtet und Ekel empfindet, das
Versprochene. Der König dringt darauf, daß seine Tochter ihr
gegebenes Wort halte. Sie muß den Frosch neben sich an der
Dr. Franz Riklin, »Wunscherfüllung und Symbolik im Märchen«.
Leipzig und Wien 1908. (Franz Deuticke.)
** Otto Rank, »Der Mythus von der Geburt des Helden«. Leipzig und
Wien 1909. (Franz Deuticke.)
 
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