Das Zersingen der Volkslieder
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Preislied auf die Schlacht bei Waterloo entgegen. Es ist voll Be-
geisterung für den Krieg. Alle seine elf Strophen <nur zwei dieser elf
sind in der letzten Fassung enthalten!) sind eine Schilderung der
Schlacht von ihrem Anbruch bis zu ihrem Ende, der siegreichen
Verfolgung der Franzosen. Ja, diese Strophen schließen mit einem
Hymnus auf Blücher, dem Führer des Heeres. Das Lied kennt
keinen Haß gegen das Soldatentum, der Sänger ist kein Feind des
Militärs, keiner des Kampfes, des Krieges, der Schlacht, Er ist mit
ganzer Seele Soldat. Selbstverständlich hat in diesem Liede auch der
Bezug zur Heimat1 keinen Platz. Es braucht ja das Soldatische nicht
als Unlustquelle aus der Bewußtseinslage verdrängt zu werden durch
die Lustquelle des Heimatskomplexes. Die Gesamtheit aller Vor;*
Stellungen, welche sich an das Soldatische knüpfen, ist eine starke
Lustquelle. Der Sänger eröffnet sich dieselbe, indem er das Lied
singt und die glorreiche Schlacht wieder in der Illusion durchlebt.
Ebenso wenig wie die Vorstellungen der Heimat kommen in II B
die der in der Schlacht Gefallenen vor2. Die Begeisterung ist so groß,
daß sie diese Opfer nicht bemerkt. Die Lust, welche sich an die Von*
Stellung des Kampfes anschließt, unterdrückt vollständig die Unlust,
welche die Vorstellung der Gefallenen auslöst.
Der latente Inhalt des Weltkriegsliedes ist also im Verhältnis
zu II B stark verschoben. Die Auffassung des Soldatischen, die psy-
chische Wertung desselben hat sich geändert und diese Änderung
der Wertung hat die Änderung des Liedes hervorgebracht. Diese
Art des Zersingens, welche wir an dem Liede der Schlacht bei
Waterloo sehen, bezeichnet man daher auch am besten als Ver^
Schiebung.
Wir werden diesen Verschiebungsprozeß noch besser verstehen
lernen, wenn wir nach II B die folgenden Fassungen betrachten.
III kennt von allen elf Strophen von II B nur zwei, und zwar die
1. und 7., diejenigen, welche allein gelesen oder gesungen, am ehe-
sten ein düsteres Bild in der Seele erregen. Alle anderen Strophen
sind schon unterdrückt. Dafür ist die 3. Strophe <1119—12) neu ein*
gesprungen. Sie sucht sich noch zu einer heroischen Auffassung des
Soldatentums aufzuschwingen, endet aber schon stark in Resignation.
Die Analyse zeigt jetzt eine vollständige Übereinstimmung des
Waterlooliedes mit dem Sarajevoliede II. Ebenso wie dieses setzt
es mit einer Situation ein, welche vor dem Kampf liegt, entwickelt
dann die Kampfszene und wendet schließlich den Vorstellungs«
verlauf nach der Heimat. Es ist genau dieselbe psychische Bewegung
in beiden Liedern. Wenn wir sie nicht nach dem manifesten, sondern
nach dem latenten Inhalte einteilen, müssen wir beide in dieselbe
Klasse einreihen. Der Zweck der Verschiebung ist in dem Liede III
genau derselbe, wie der Zweck der Verdichtung von II und III zu I
1 Vgl. Zeile 13—I6 des Weltkriegsliedes.
a Vgl, ebenda, Zeile 9—12.
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Preislied auf die Schlacht bei Waterloo entgegen. Es ist voll Be-
geisterung für den Krieg. Alle seine elf Strophen <nur zwei dieser elf
sind in der letzten Fassung enthalten!) sind eine Schilderung der
Schlacht von ihrem Anbruch bis zu ihrem Ende, der siegreichen
Verfolgung der Franzosen. Ja, diese Strophen schließen mit einem
Hymnus auf Blücher, dem Führer des Heeres. Das Lied kennt
keinen Haß gegen das Soldatentum, der Sänger ist kein Feind des
Militärs, keiner des Kampfes, des Krieges, der Schlacht, Er ist mit
ganzer Seele Soldat. Selbstverständlich hat in diesem Liede auch der
Bezug zur Heimat1 keinen Platz. Es braucht ja das Soldatische nicht
als Unlustquelle aus der Bewußtseinslage verdrängt zu werden durch
die Lustquelle des Heimatskomplexes. Die Gesamtheit aller Vor;*
Stellungen, welche sich an das Soldatische knüpfen, ist eine starke
Lustquelle. Der Sänger eröffnet sich dieselbe, indem er das Lied
singt und die glorreiche Schlacht wieder in der Illusion durchlebt.
Ebenso wenig wie die Vorstellungen der Heimat kommen in II B
die der in der Schlacht Gefallenen vor2. Die Begeisterung ist so groß,
daß sie diese Opfer nicht bemerkt. Die Lust, welche sich an die Von*
Stellung des Kampfes anschließt, unterdrückt vollständig die Unlust,
welche die Vorstellung der Gefallenen auslöst.
Der latente Inhalt des Weltkriegsliedes ist also im Verhältnis
zu II B stark verschoben. Die Auffassung des Soldatischen, die psy-
chische Wertung desselben hat sich geändert und diese Änderung
der Wertung hat die Änderung des Liedes hervorgebracht. Diese
Art des Zersingens, welche wir an dem Liede der Schlacht bei
Waterloo sehen, bezeichnet man daher auch am besten als Ver^
Schiebung.
Wir werden diesen Verschiebungsprozeß noch besser verstehen
lernen, wenn wir nach II B die folgenden Fassungen betrachten.
III kennt von allen elf Strophen von II B nur zwei, und zwar die
1. und 7., diejenigen, welche allein gelesen oder gesungen, am ehe-
sten ein düsteres Bild in der Seele erregen. Alle anderen Strophen
sind schon unterdrückt. Dafür ist die 3. Strophe <1119—12) neu ein*
gesprungen. Sie sucht sich noch zu einer heroischen Auffassung des
Soldatentums aufzuschwingen, endet aber schon stark in Resignation.
Die Analyse zeigt jetzt eine vollständige Übereinstimmung des
Waterlooliedes mit dem Sarajevoliede II. Ebenso wie dieses setzt
es mit einer Situation ein, welche vor dem Kampf liegt, entwickelt
dann die Kampfszene und wendet schließlich den Vorstellungs«
verlauf nach der Heimat. Es ist genau dieselbe psychische Bewegung
in beiden Liedern. Wenn wir sie nicht nach dem manifesten, sondern
nach dem latenten Inhalte einteilen, müssen wir beide in dieselbe
Klasse einreihen. Der Zweck der Verschiebung ist in dem Liede III
genau derselbe, wie der Zweck der Verdichtung von II und III zu I
1 Vgl. Zeile 13—I6 des Weltkriegsliedes.
a Vgl, ebenda, Zeile 9—12.