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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 8.1922

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VIII. 1
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Kinkel, Johann: Zur Frage der psychologischen Grundlagen und des Ursprungs der Religion, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.28550#0037
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Zur Frage der psychologischen Grundlagen und des Ursprungs der Retigion 27

stellen, die das Kind sich in seinem Lehen bildete Die Märdien
von der guten Fee mit dem wunders&önen und freundlidien Ge-
sidit und dem langen Kleid geben die symbolisierte Gestalt der
liebevollen Mutter wieder. Alle Gestalten und Bilder des sAreck^
lidhen Riesen, der das Kind in Angst oder Ehrfurcht versetzt und
sich durA seine schreckliche Kraft bald in guter, bald in böser RiA<^
tung auszeichnet, geben die Gestalt und das Symbol des Vaters
wieder, der für die kindlidie Einbildung unbegreiflidi und erstaun^
lieh ist und zum Teil ihm fremd bleibt, im Gegensatz zur Mutter,
die dem Kinde nahesteht. Denselben Symbolismus treffen wir
in den einfadisten Spielen des Kindes an, die uns manchmal uiG
sinnig erscheinen — stets findet sidi dort irgend ein Symbol, das
bald die Beziehungen der Eltern zu den Kindern, bald irgendwelche
dem Kinde unbegreifliche Erscheinungen ausdrückt. Ebenso verhält
es sich mit den mannigfaltigsten Vorstellungen beim Kinde, sogar
in der Arithmetik: 1 — das ist eine Säule,- 2 — ein Mensch mit
einem dicken Kopfe,- 4 — eine Schachte!,- 6 — eine Frau, die mit
einem Kinde auf den Knieen sitzt,- 8 — ist eine dicke Frau mit
dem Mieder usw. Es ist bekannt, daß die Kinder manchmal ganze
Worte erfinden, die einige besondere kindliche Vorstellungen sym-
bolisieren, die für die Brwa&senenen ganz unbegreiflich sind. Von
diesem Symbolismus in der kindlichen Psydhik stammt auch der be^
sondere Drang des Kindes, seinen Nächsten oder Lehrern Spotte
namen zu verleihen, die nämlich Symbole gewisser zwingender VoG
Stellungen in Zusammenhang mit der betreffenden Person beim
Kinde sind.
Denselben Symbolismus finden wir nun auch in der ganzen
Psychologie und besonders in den religiösen Vorstellungen der
Naturvölker. Die primitiven Formen der Sprache und der WorG
bildung sind, wie uns die Philologie naAweist, gewisse symbolisierte
Vorstellungen von vers&iedenen Gegenständen. So ergibt z. B. das
russisA=bu!garisAe Wort x>Bik<s, x>Bykc, altdeutsch x-Bullec, lateL
nisch bovis, altgriechisch ^^5, im Zusammenhang der Silben den
i Von dieser besonderen symboliscGphantastischen Psyche des Kindes
stammt dessen besondere Neigung, Märchen zu lesen und sieb erzäbien zu lassen
(besonders Nachts}, indem das Kind in die versAiedenen Gestaiten, die dort
zum Vorschein kommen, symboiisch das eigene MAc hineiniegt. GewöhnliA
wählen die Kinder seihst und haben es gerne, sich wiederholt sofehe Märchen er-
zähien zu iassen, die gewisse persönliche eindrucksvolle Erlebnisse oder Ereignisse
aus ihrem eigenen Leben symbolisch darstellen können oder sie wenigstens an^
nähernd daran erinnern.
 
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