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H. Gomperz
Doch in der Mitte,^ da ruht die Göttin, die Lenk'rin des Weltalls:
Überall regt sie Geburt, so reich an Schmerz, an und Paarung.
5: Denn, was weiblich, gesellt sie dem Männlichen, daß es sich paare
Dnd, was männlich, dem Weiblichen zu — — — —
Es ist Aphrodite/" die Göttin der Paarung und damit die einzig
angemessene Beherrscherin der Welt, wie sie sich dem Wahne der
Sterblichen darstellt, ja wie sie durch diesen wirklich geworden
ist: einer Welt des Werdens, in der jedes Gewordene nur als
Grunderscheinungen soll ableiten lassen — Flammen in das Reich der Finsternis ein
und damit beginnt jene Mischung von Licht und Dunkel, der unsere Welt, die Welt
des Werdens und Vergehens, ihren Ursprung verdankt. Diese Mischung begann
natürlich an der Berührungsfläche von Licht und Nacht (nach Aetios, indem sich
hier „gemischte", von Licht und Nacht erfüllte „Kronen" bildeten). In dem Augen-
blick aber, da von der ersten Mischung die Rede ist, wird sehr passend jener Gottheit
Erwähnung getan, die allen Mischungen, aus denen Neues entstehen soll, vorsteht —
insbesondere also auch jener Mischung, die als Vorbild aller anderen Mischungen
dieser Art gelten kann: der geschlechtlichen Zeugung.
71) In der Mitte der genannten „Kronen", somit, wenn diese einander konzentrisch
umschlossen, auch im Mittelpunkte des Himmelsgewölbes und des Weltgebäudes
überhaupt. So hat es auch Simplicius, der die Verse noch in ihrem Zusammenhang
las, verstanden (rpr ytdvKDf Mpv.ttevpr). Der Gewährsmann des Aetios und
des Epikureers bei Cicero dagegen (Vorsokr. 18 A gy) muß einen Auszug vor
sich gehabt haben, in dem schon vor der Erwähnung der Göttin von „gemischten
Kronen" die Rede war. So bezog er denn das toiitaw auf diese und ver-
setzte die Göttin mitten unter die „gemischten Kronen", ja auf Grund eines kaum
glaublichen, dem klaren Sinn des Gedichts ins Gesicht schlagenden Mißverständnisses
setzte er sie der mittelsten dieser „gemischten Kronen" gleich (rejv de dn.tt.utycjv Dp'
jUedCHtaTTTy; ordern, cüigz't caehtm, appeiiat Jeum). Über diesen Unsinn konnte
sich dann Ciceros Epikureer freilich leicht entrüsten!
72) So wenigstens nennt sie Plutarch (Vorsokr. 18 B lg, denn daß die Göttin, die
den Eros „erdenkt", dieselbe ist, wie die XII, g genannte, sagt ebendort Simplicius
ausdrücklich) und auch wir werden der Göttin der geschlechtlichen Paarung schwer-
lich einen passenderen Namen beizulegen wissen (Doering, Griech. Philosophie I lgi),
es sei denn etwa den jener Göttin „Liebe" ((PtZotpcy), der Empedokles wohl in Nach-
ahmung des parmenideischen Verses XII, g eine ähnliche Mittelpunktsstellung ein-
räumt (Vorsokr. 21 B gg, 4). Der o. Anm. 71 sattsam gekennzeichnete Gewährs-
mann des Aetios setzt die das All aus seinem Mittelpunkt steuernde Göttin mit der
Schlüsselhalterin (denn Vorsokr. 18 A gy ist mit Fülleborn xZpfboüxog' zu lesen, da
das überlieferte sonst nie ohne irgendwelche Beziehung auf eine Land-
nahme gebraucht wird), der Göttin des Rechts und des Zwanges nur darum gleich,
weil er aus I, 14; VIII, 14; VIII, go und X, 6 meinte herauslesen zu dürfen, daß
Parmenides auch diesen Göttinnen die Weltherrschaft beigelegt habe. Vgl. auch o.
Anm. g, Schluß. Für die Gleichsetzung der göttlichen „Steuerfrau" (Vorsokr. 18 A gy)
mit Aphrodite beruft man sich übrigens besser nicht auf Vorsokr. 18 B 20, da diese Verse
nicht unter des Parmenides' Namen überliefert sind und nach der Einführungsformel
H. Gomperz
Doch in der Mitte,^ da ruht die Göttin, die Lenk'rin des Weltalls:
Überall regt sie Geburt, so reich an Schmerz, an und Paarung.
5: Denn, was weiblich, gesellt sie dem Männlichen, daß es sich paare
Dnd, was männlich, dem Weiblichen zu — — — —
Es ist Aphrodite/" die Göttin der Paarung und damit die einzig
angemessene Beherrscherin der Welt, wie sie sich dem Wahne der
Sterblichen darstellt, ja wie sie durch diesen wirklich geworden
ist: einer Welt des Werdens, in der jedes Gewordene nur als
Grunderscheinungen soll ableiten lassen — Flammen in das Reich der Finsternis ein
und damit beginnt jene Mischung von Licht und Dunkel, der unsere Welt, die Welt
des Werdens und Vergehens, ihren Ursprung verdankt. Diese Mischung begann
natürlich an der Berührungsfläche von Licht und Nacht (nach Aetios, indem sich
hier „gemischte", von Licht und Nacht erfüllte „Kronen" bildeten). In dem Augen-
blick aber, da von der ersten Mischung die Rede ist, wird sehr passend jener Gottheit
Erwähnung getan, die allen Mischungen, aus denen Neues entstehen soll, vorsteht —
insbesondere also auch jener Mischung, die als Vorbild aller anderen Mischungen
dieser Art gelten kann: der geschlechtlichen Zeugung.
71) In der Mitte der genannten „Kronen", somit, wenn diese einander konzentrisch
umschlossen, auch im Mittelpunkte des Himmelsgewölbes und des Weltgebäudes
überhaupt. So hat es auch Simplicius, der die Verse noch in ihrem Zusammenhang
las, verstanden (rpr ytdvKDf Mpv.ttevpr). Der Gewährsmann des Aetios und
des Epikureers bei Cicero dagegen (Vorsokr. 18 A gy) muß einen Auszug vor
sich gehabt haben, in dem schon vor der Erwähnung der Göttin von „gemischten
Kronen" die Rede war. So bezog er denn das toiitaw auf diese und ver-
setzte die Göttin mitten unter die „gemischten Kronen", ja auf Grund eines kaum
glaublichen, dem klaren Sinn des Gedichts ins Gesicht schlagenden Mißverständnisses
setzte er sie der mittelsten dieser „gemischten Kronen" gleich (rejv de dn.tt.utycjv Dp'
jUedCHtaTTTy; ordern, cüigz't caehtm, appeiiat Jeum). Über diesen Unsinn konnte
sich dann Ciceros Epikureer freilich leicht entrüsten!
72) So wenigstens nennt sie Plutarch (Vorsokr. 18 B lg, denn daß die Göttin, die
den Eros „erdenkt", dieselbe ist, wie die XII, g genannte, sagt ebendort Simplicius
ausdrücklich) und auch wir werden der Göttin der geschlechtlichen Paarung schwer-
lich einen passenderen Namen beizulegen wissen (Doering, Griech. Philosophie I lgi),
es sei denn etwa den jener Göttin „Liebe" ((PtZotpcy), der Empedokles wohl in Nach-
ahmung des parmenideischen Verses XII, g eine ähnliche Mittelpunktsstellung ein-
räumt (Vorsokr. 21 B gg, 4). Der o. Anm. 71 sattsam gekennzeichnete Gewährs-
mann des Aetios setzt die das All aus seinem Mittelpunkt steuernde Göttin mit der
Schlüsselhalterin (denn Vorsokr. 18 A gy ist mit Fülleborn xZpfboüxog' zu lesen, da
das überlieferte sonst nie ohne irgendwelche Beziehung auf eine Land-
nahme gebraucht wird), der Göttin des Rechts und des Zwanges nur darum gleich,
weil er aus I, 14; VIII, 14; VIII, go und X, 6 meinte herauslesen zu dürfen, daß
Parmenides auch diesen Göttinnen die Weltherrschaft beigelegt habe. Vgl. auch o.
Anm. g, Schluß. Für die Gleichsetzung der göttlichen „Steuerfrau" (Vorsokr. 18 A gy)
mit Aphrodite beruft man sich übrigens besser nicht auf Vorsokr. 18 B 20, da diese Verse
nicht unter des Parmenides' Namen überliefert sind und nach der Einführungsformel