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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 4
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Hermann, Alice: Die Grundlagen der zeichnerischen Begabung bei Marie Bashkirtseff: (nach dem "Journal de Marie Bashkirtseff")
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0447
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Die Grundlagen der zeichnerischen Begabung bei Marie Bashkirtseff 4gg

Nun, es widerspricht der hier vertretenen Theorie durchaus nicht, in
dem starken Narzißmus der Künstlerin die treibende Kraft (oder eine der
treibenden Kräfte) der künstlerischen Betätigung zu sehen ^ — ebenso
wenig ist aber mit ihm das eigentliche Problem gelöst. Dieses besteht ja
hier in der Frage der speziellen Begabung, also darin, warum es gerade
doch die Malerei war, die Marie Bashkirtseff die libidinöse Befriedigung
gab, warum unter den möglichen Ausdrucksformen, mit denen sie sich
in der Phantasie beschäftigte, gerade diese zur Wirksamkeit durchdrang.
Marie Bashkirtseffs zeichnerische Versuche gehen angeblich in das
dritte Lebensjahr zurück, wo sie mit der Kreide Profile auf Großvaters
Spieltisch entwarf (Kinderwunsch?), eine Tätigkeit, die sie auch weiter
fortsetzte. Mit zehn Jahren bekam sie, wie wir hören, die ersten Zeichen-
stunden, wobei sie sich dem Professor, der sie zum Nachzeichnen anhalten
wollte, widersetzte, um lieber Naturstudien zu machen. Systematischen
Unterricht im Zeichnen beginnt sie mit 17 Jahren, wirft sich sogleich
mit leidenschaftlichem Eifer auf diese Kunst, einem Eifer und einer Leiden-
schaftlichkeit, die bis zu ihrem, mit vierundzwanzig Jahren erfolgten Tode
nicht nachließen. Ihre Meister — Julian und Bobert Fleury — sind be-
sonders am Anfang von ihrer Begabung und den raschen Fortschritten, die sie
macht, frappiert. Später scheint sie zwar nicht alle hochgespannten Hoff-
nungen zu erfüllen und ihre schwer zu befriedigende Ambition hat manche
Enttäuschung zu erleiden; doch werden ihre Bilder im Salon ausgestellt, sie
bekommt Auszeichnungen und gute Kritiken, ihr Name wird bekannt und
ihre Kunst von führenden Malerpersönlichkeiten ihrer Zeit gewürdigt.^
Die beiden Faktoren, deren Wirksamkeit bei der Entstehung der zeichneri-
schen Begabung von I. Hermann aufgezeigt wurde: die Handerotik und
der von Kindheit an lebendige Gedanke an die eigene Schönheit
spielen in der seelischen Entwicklung Marie Bashkirtseffs eine ganz
ausnehmend große Bolle; was sich da noch besonders plastisch hervorhebt,
ist die innige Verknüpfung, die diese beiden Faktoren einerseits zueinander,

1) Die Rolle des Narzißmus für das Künstlertum ist von Freud, Rank wieder-
holt gewürdigt worden und bildet die Grundlage der allgemeinen Begabung. Ge-
staltung und Narzißmus hängen doch aufs engste zusammen! (Siehe I. Hermann,
Berliner Kongreßvortrag und „Organlibido und Begabung"). Freud äußert sich
über diesen Zusammenhang die Denkarbeit betreffend zuletzt im „Das Ich und das
Es" (S. 56 bis gy).
2) Auch daraus, daß Marie Bashkirtseffs Begabung sich nicht über eine
mittelmäßige Höhe emporschwang, läßt sich die größere Freiheit, mit der sie über
die von uns vermuteten Grundlagen derselben spricht, verstehen.
 
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