45^ Dr. Alice Hermann-Cziner
anderseits zu inhaltlichen Bezügen der ausgeübten Kunst aufweisen. Gleich
in der Einleitung gibt uns Marie Bashkirtseff die Beschreibung ihres kind-
lichen Äußern und der Einstellung ihrer Umgebung zu diesem: „Ich war
ziemlich unansehnlich, hager und nicht hübsch/ Das hinderte die Welt keines-
wegs daran, mich als ein Wesen zu betrachten, aus der einst mit unbedingter
Notwendigkeit das Allerschönste, Glänzendste, Wunderbarste werden sollte,
was es nur gibt ..." „Eines Abends sagte mir ein Herr lachend im
Theater: ,Zeigen Sie Ihre Hände Fräulein — Oh! die Art, wie sie be-
handschuht ist, läßt nicht daran zweifeln, daß sie einst furchtbar gefall-
süchtig sein wird.'"^ Mit zehn Jahren hören wir sie ihr Abendgebet ver-
richten : „Mein Gott, gebe, daß ich nicht die Blattern bekomme, daß ich
schön werde, daß ich eine schöne Stimme habe, daß ich glücklich in der
Ehe werde und daß Mama lange lebe!" (I, 11.) Die Reihenfolge der Wünsche
ist da jedenfalls charakteristisch. Gleich danach berichtet sie von den schon
erwähnten Zeichenstunden. Das Problem der eigenen Schönheit — sie scheint
es fast stets als ein Problem zu empfinden -— beschäftigt Marie Bashkirtseff
während ihres ganzen Lebens. Mit dreizehn Jahren schreibt sie: „Die ganze
Welt sagt mir, daß ich hübsch sei; meiner Treu, vor mir selbst glaube ich
nicht daran." (I, 37.)
Mit größerer Sicherheit scheint sie die Schönheit ihrer Hände^ zu
empfinden; eine wahre Verliebtheit klingt aus Äußerungen, wie der fol-
genden hervor (aus dem vierzehnten Jahre): „Ich liebe die Einsamkeit vor
einem Spiegel, wo ich meine Hände bewundern kann, so weiß, so fein,
kaum etwas rosa in ihrem Innern angehaucht." (I, 62.) In derselben Zeit
beschreibt sie, wie sie in der Kirche innig betete, „knieend, das Kinn auf
die sehr weißen und feinen Hände gestützt; aber mich besinnend, wo ich
bin, verbarg ich meine Hände". (I, g8.) (Sexuelles Schuldgefühl — bezogen
auf die Hände!)
In diesem Jahre scheint sich ihre Schönheit zu ihrer Befriedigung
entwickelt zu haben; sie ist im Tagebuch ein ständig wiederkehrendes
Thema und wird stets mit großer Begeisterung behandelt. In einem weißen
1) Also wieder ein Fall, wo die Forderung, ein schönes Kind gewesen zu sein,
nicht erfüllt wird, aber wieder ein Fall einer Malerin! (Siehe „Beiträge zur Psycho-
genese" und „Organlibido und Begabung".) — Vielleicht wäre die Tatsache, daß
diese fakultogene Schönheit in der Kindheitsperiode nicht organisch begründet war,
zur Erklärung der Mittelmäßigkeit ihrer Begabung heranzuziehen.
2) Journal de Marie Bashkirtseff. Paris. Bibliotheque Charpentier, 1912. Tome I, p. 9.
g) Lokalisierte Schönheit — wie bereits im Falle Dürers erwähnt („Organlibido
und Begabung").
anderseits zu inhaltlichen Bezügen der ausgeübten Kunst aufweisen. Gleich
in der Einleitung gibt uns Marie Bashkirtseff die Beschreibung ihres kind-
lichen Äußern und der Einstellung ihrer Umgebung zu diesem: „Ich war
ziemlich unansehnlich, hager und nicht hübsch/ Das hinderte die Welt keines-
wegs daran, mich als ein Wesen zu betrachten, aus der einst mit unbedingter
Notwendigkeit das Allerschönste, Glänzendste, Wunderbarste werden sollte,
was es nur gibt ..." „Eines Abends sagte mir ein Herr lachend im
Theater: ,Zeigen Sie Ihre Hände Fräulein — Oh! die Art, wie sie be-
handschuht ist, läßt nicht daran zweifeln, daß sie einst furchtbar gefall-
süchtig sein wird.'"^ Mit zehn Jahren hören wir sie ihr Abendgebet ver-
richten : „Mein Gott, gebe, daß ich nicht die Blattern bekomme, daß ich
schön werde, daß ich eine schöne Stimme habe, daß ich glücklich in der
Ehe werde und daß Mama lange lebe!" (I, 11.) Die Reihenfolge der Wünsche
ist da jedenfalls charakteristisch. Gleich danach berichtet sie von den schon
erwähnten Zeichenstunden. Das Problem der eigenen Schönheit — sie scheint
es fast stets als ein Problem zu empfinden -— beschäftigt Marie Bashkirtseff
während ihres ganzen Lebens. Mit dreizehn Jahren schreibt sie: „Die ganze
Welt sagt mir, daß ich hübsch sei; meiner Treu, vor mir selbst glaube ich
nicht daran." (I, 37.)
Mit größerer Sicherheit scheint sie die Schönheit ihrer Hände^ zu
empfinden; eine wahre Verliebtheit klingt aus Äußerungen, wie der fol-
genden hervor (aus dem vierzehnten Jahre): „Ich liebe die Einsamkeit vor
einem Spiegel, wo ich meine Hände bewundern kann, so weiß, so fein,
kaum etwas rosa in ihrem Innern angehaucht." (I, 62.) In derselben Zeit
beschreibt sie, wie sie in der Kirche innig betete, „knieend, das Kinn auf
die sehr weißen und feinen Hände gestützt; aber mich besinnend, wo ich
bin, verbarg ich meine Hände". (I, g8.) (Sexuelles Schuldgefühl — bezogen
auf die Hände!)
In diesem Jahre scheint sich ihre Schönheit zu ihrer Befriedigung
entwickelt zu haben; sie ist im Tagebuch ein ständig wiederkehrendes
Thema und wird stets mit großer Begeisterung behandelt. In einem weißen
1) Also wieder ein Fall, wo die Forderung, ein schönes Kind gewesen zu sein,
nicht erfüllt wird, aber wieder ein Fall einer Malerin! (Siehe „Beiträge zur Psycho-
genese" und „Organlibido und Begabung".) — Vielleicht wäre die Tatsache, daß
diese fakultogene Schönheit in der Kindheitsperiode nicht organisch begründet war,
zur Erklärung der Mittelmäßigkeit ihrer Begabung heranzuziehen.
2) Journal de Marie Bashkirtseff. Paris. Bibliotheque Charpentier, 1912. Tome I, p. 9.
g) Lokalisierte Schönheit — wie bereits im Falle Dürers erwähnt („Organlibido
und Begabung").