Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

DOI issue:
Heft 4
DOI article:
Sachs, Hanns: Carl Spitteler
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0455
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
CARL SPITTELER


Künstler stehen jenseits der Nekrologe; ihr Sterben und Auferstehen ist nicht
an die Auflösung ihres Körpers gebunden, sondern an den Rhythmus der Jahr-
hunderte, der sie auf- und niederschaukelt, bis sie endgültig untersinken oder
bei den Unsterblichen landen. Darum ist es wohl nicht angebracht, das Urteil
über die Größe Spittelers und die Prophezeiung seiner Unsterblichkeit, die
bei seinen Lebzeiten in diesen, nach einem seiner Meisterwerke benannten
Blättern öfters ausgesprochen wurden/ noch einmal zu wiederholen und zu
begründen. Auf den Glanz seiner schöpferischen Kraft ist jetzt durch seinen
Tod ebensowenig ein Schatten gefallen, wie während des Schaffens durch
die Bedrängnis innerer und äußerer Nöte, unter denen er entstand.
Statt über den der Macht des Todes nicht unterworfenen Künstler möchte
ich ein paar Worte über den Eindruck sagen, den ich von der mensch-
lichen Persönlichkeit des Abgeschiedenen empfangen habe — Eindrücke,
die selbst bei strengster und kritischester Wertung durchaus danach angetan
sind, die Umrisse der Dichtergestalt hervorzuheben, nicht, sie zu verzerren.
Der Greis mit den leuchtenden, tiefblauen Augen, dem ich vor etwa
fünfzehn Jahren zum erstenmal gegenüberstand, sah dem Zeus ähnlicher
als dem Apoll, den Spitteier sich selbst zum idealen Abbild gewählt hatte.
Freilich, der ruhige Glanz, der über seiner ganzen Existenz lag und bis
auf Arbeitszimmer und Garten ausstrahlte, die echte und fein abgestufte,
nie ins Biedermännische abbiegende Liebenswürdigkeit des Empfanges, der
1) Hanns Sachs: Carl Spitteier. Imago II S. 75 ff. — Hanns Sachs:
Homers jüngster Enkel. Imago III (1914), S. 80 ff.
 
Annotationen