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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 53.1942

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Michel, Wilhelm: Lob des Ofens
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https://doi.org/10.11588/diglit.10968#0115
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INNEN-DEKORATION

107

LOB DES OFENS

Sind Kälte und Finsternis die typisch menschen-
feindlichen Elemente, so bilden Licht und Wärme
die Grundfaktoren alles Behagens. Das Licht ent-
spricht dem Menschen als einem Augenwesen. Wo er
nicht sieht, lebt er auf die Dauer kein menschenwür-
diges Dasein. Er braucht, wie er mit dem Geist zum
folgenden Tage voraus, zum vergangenen sich zurück-
fühlt, auch räumlich einen erhellten Bezirk um sich
her, der ihm erlaubt, zu den Dingen schon dann eine
Urteilsbeziehung zu gewinnen, wenn sie ihm noch
nicht »auf den Leib gerückt sind«. Und die Wärme ge-
hört zu ihm, weil er ein Warmblüter ist. In ihr lebt er
auf, wird frei und entfaltet sich. Die Kälte preßt ihn
zusammen, drängt sein Leben nach innen, schneidet
seine Verbindungen nach außen ab. Sie verengt seinen
Lebensraum, hemmt und verkürzt seine Vertrauens-
beziehung zur Umwelt.

Licht und Wärme stimmen also insofern einzig-
artig begünstigend zum Menschenleben, als erst
durch sie dem Menschen der Raum zuteil wird, des-
sen er zu seinem auf Freiheit und Abstand, auf Herr-
schaft und Entfaltung angelegten Dasein bedarf.

Von da aus ist in den Ländern der nördlichen
Breite der Ofen zu seiner hohen Ehre gekommen. Er
steht in Sage und Überlieferung bedeutsam da. Die
Völker des Nordens haben früh bemerkt, daß der Ofen
nicht eine bloße Annehmlichkeit des häuslichen Woh-
nens ist, sondern etwas Ehrwürdiges, etwas, das mit
der menschlichen Lebensform in inniger Verbindung
steht. »Haus und Herd« sind ein festes Begriffspaar,
das in seiner Gesellung erst das eigentlich mensch-
liche Wohnen bedeutet. Der gute Hauskobold hatte
seinen Lieblingsplatz oft hinterm Ofen, da, wo die das
ganze Haus belebende Wärme ihren Ursprung hatte.
Zum Ofensitz wurde der fremde Gast geladen, und
manches alte Märchen kennt den Ofen auch als ein
sprechendes, zauberisches Gebilde. Am Ofen sitzen
auch seit je die Ältermütter, die gebückten Urgroß-
väter und Zaubermänner.

Und in alledem liegt noch etwas Besonderes. Der
Ofen bedeutet nicht Wärme schlechthin. Er bedeutet
die menschliche Fassung des Feuers, seine steinerne
oder eiserne Behausung, und damit ist er nicht nur
der lodernden, glutenden Naturmacht zugeordnet,
 
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