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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
« Herausgeber: Norbert Ehrlich.
11. Jahrgang. Wien, 1. November 1919. Nr. 21.

Perlen.

Man kann an der Erscheinung nicht vorüber gehen,
daß die gegenwärtige Epoche eine Nachfrage nach
Perlen auf weist, wie sie nur das kaiserliche Rom, das
Frankreich der Valois oder das Venedig der Renaissance
gekannt haben. Die Mode und der Geschmack für die
Perle als Schmuckstück sind allen Kulturvölkern
sdt den Zeiten der Ägypter und Perser, ja der Chinesen
gemeinsam; die Perle als Vermögensanlage, als „Geld“,
zu betrachten, soweit ging man nur. in Perioden außer-
ordentlicher Reichtumsansammlung und Verschwen-
dung, wenn das hergebrachte staatliche Zahlungsmittel
seinen Wert verlor. Der „Matin“ veröffentlichte jüngst
eine Statistik, nach welcher ejn und dasselbe Perlen-
kollier von 25.000 Franken im Jahre 1890 auf 112.000
Franken im Jahre 1914 und auf 250.000 Franken
im Jahre 1919 gestiegen war! Weder die Nachfrage
der Juweliere, noch der Produktionsausfall während
des Krieges, noch die Mode, noch das Sinken des Geld-
wertes vermögen allein dieses Phänomen zu erklären,
vielmehr scheint daran das erschütterte Vertrauen
in den Staat, die Furcht Vor sozialen Krisen, die Des-
organisation der internationalen Zahlungsbilanz Schuld
zu tragen. Die Beschäftigung mit der Perle hat so mehr
denn je Anspruch auf den mondänen Dilettantismuß;
schon vor dem Kriege veröffentlichten 'literarische
Revuen gerne Aufsätze über diesen Gegenstand, wie
es ja im Mittelalter der Fürsten und Dichter würdig
galt, sich im Gebiet der Edelsteine und Perlen auszu-
kennen. Der Besitz einer schönen Perle bildete den Ehr-
geiz der Könige, und hat auch Terenz mit seinem
Distichon recht, daß die „Eitelkeit und nicht die Perle
gefischt wird“, so bestand doch bei kunstliebenden
Herrschern, wie Augustus, Franz I., Katharina von
Medici, Leo X., Sultan Soliman und vielen anderen,
eine wirkliche Leidenschaft für dieses herrliche Natur-
produkt um seiner selbst willen. Hier müßten wir den
Dichter der Vedas und des Alten Testaments, die
Plinius und Tavernier sprechen lassen, deren Beschrei-
bungen der Perlen berühmt sind. Die Inder, die Araber,
die Griechen machten aus ihnen das Symbol der Reinheit
und Schönheit, die Venus des Praxiteles wird mit einem
Ohrgehänge geschmückt.
Ein Pariser Fachmann Leonard Rosenthal hat
bei Payot ein Büchlein herausgegeben, „Au Royaume
de la Perle“, in dem er zu zeigen sucht, welche Be-
deutung gerade für Frankreich der Perlenhandel ge-
winnt. Es ist Paris gelungen, London als Zentralstelle

der Transaktionen zu entthronen und aus diesem
Luxusobjekt par excellence einen Zweig des nationalen
Erwerbslebens zu machen, in dem der Geschmack,
die Kunstfertigkeit und die geschäftliche Ehrbarkeit
des Franzosen sich mit Erfolg betätigen können. Der
Wert der jährlich in Paris gekauften Perlen und Kolliers
beträgt 100 bis 120 Millionen Franken, die teils direkt
von den Fischereien, teils aus Privatbesitz kommen;
der indische, argentinische, italienische, spanische
Kaufmann hat ein Interesse daran, seine Perlen nicht
bei sich zu House, sondern über Paris zu verkaufen,
wo ihr Wert auf das Zehn- und Zwanzigfache des An-
kaufspreises steigt. Man braucht dabei nicht an die
bescheidenen Courtiers der Rue Chateaudun zu denken,
die in einem Cafe oder auf offener Straße ihre in Papier
eingewickelten Perlen auf den Markt bringen, sondern
an die kapitalskräftige Bijouterie, die in Paris dominie-
rend ist. Wer erinnert sich, nicht des Zeitungslärms,
den vor einigen Jahren der Diebstahl eines Kolliers
von drei Millionen Wert, das der Pariser Courtier
Salomon einem Londoner Kaufmann durch die Post
schickte, in der ganzen Welt verursachte?
Die Perle bildet einen Barometer der wirtschaft-
lichen Prosperität eines Landes wie einzelner Erwerbs-
klassen. Ihr Handel folgt aufs engste der Kurve des
Geschäftsiebens, so daß eine Krise nie ohne starken
Rückschlag auf ihn bleibt. Die verminderte Nachfrage,
respektive geringe Kaufkraft des Publikums bewirkt
allerdings nicht ein sofortiges Fallen der Perlenpreise,
da es sich um einen hochwertigen Luxusartikel handelt,
den seine Besitzer mehrere Jahre zurückzuhalten
vermögen. In Amerika bedeutet jede Präsidentenwahl
eine Stockung im Absatz, der Balkankrieg von 1912
mit der Unsicherheit der Weltlage wirkte auf den Perlen-
markt bis in die Staaten Südamerikas hinein kata-
strophal. Daß während des Kriegsjahres 1914 die Perlen
allenthalben den Weg in die feuersicheren Schränke
nahmen, ist begreiflich, aber bereits 1916 mit dem Auf-
tauchen der Kriegsgewinner belebte sich die Nachfrage.
Das massenhaft in Zirkulation gesetzte Papiergeld
suchte ein Ka.ufobjekt, einmal um den Steuern zu ent-
gehen, dann aber auch, weil sich der Reichtum durch
Brillanten und Perlenkolliers am „diskretesten“ zur
Schau tragen läßt. Da.ß gerade unter den Neutralen
enorme Kriegsgewinne erzielt wurden, beweist die
Statistik des Perlenhandels; Länder, wie Holland,
Spanien, die Schweiz, die früher sehr wenig Perlen
 
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