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Seite 26

Internationale Sammler-Zeitung

Nr. 4

nungen für Stoffe und Teppichwirkereien zu entwerfen,
und so bin ich auch überzeugt, daß die Zeichner der
so künstlerischen, französischen Spitze im Kreise der
französischen Ornamentstecher zu suchen sind. Warum
sollten Berain, Marot oder Gillot nicht auch Spitzen-
muster entworfen haben, da die schönen Point de France-
spitzen so sehr ihren Stil zeigen. Oder mindestens sind
die namenlosen Zeichner, denen wir diese Muster
danken, ganz in den graziösen Geist dieser Kinder
eingedrungen. Erreicht die französische Spitze die
höchste Vollendung an Zeichnung und Ausführung mit
der Nadel, so sind die niederländischen
K 1 ö p p e 1 s p i t z e n, die hauptsächlich in Mecheln,
Valenciennes, Brügge, Antwerpen, Binche und Brüssel
hergestellt wurden, von einer Weichheit des Materials
und einer Charakteristik der Zeichnung, die immer
wieder unser Auge erfreut. Wie stark diese niederlän-
dischen Spitzen von den damals in diese Länder durch
die Ostindische Kompanie einströmenden chine-
sischen Waren beeinflußt worden sind, harrt auch
noch der Bearbeitung. Deutlich ließen sich da starke
Einflüsse nachweisen, die diesen Barockspitzen ganz
neue Anregungen gaben. In ihrer Beschaffenheit sind
diese Spitzen äußerst schmiegsam und durch den
dichten gleichmässigen Schlag sehr haltbar, wie denn
auch die niederländische Klöppelspitze die eigentliche
Wäschespitze ist und auch selten in breiten Streifen
hergestellt wird, während die französischen und die
italienischen Schöpfungen Kleiderspitzen sind.
Dieser ganz flüchtige Ueberblick über die ita-
lienische, französische und niederländische Spitze des
16., 17. und 18. Jahrhunderts sollte nur die allbekannte
Kenntnis wiederholen, daß es eine Zeit gab, in der die
Spitze eine große Rolle im kunstgewerblichen Leben
dieser Länder spielte, und daß hier eine aufsteigende
Entwicklung zu immer vollendeterer Zeichnung und
Ausführung im edlen Wettstreit der Länder führte. Aber
schon am Ende des 18. Jahrhunderts ändert sich das.
Marie Antoinette hatte zwar noch besondere Vorliebe
für Spitzen, aber sie liebt nur mehr solche in aller-
duftigster Ausführung, d. h. das Muster wird nun spär-
lich und der Tüllgrund wird das Wesentliche. Als
schließlich die Bobbinet-Maschine im Anfang des 19.
Jahrhunderts erfunden wird, die den Tüllgrund der
echten Spitze täuschend ähnlich nachmachen kann, da
ist der erste Stoß zu ihrem Verfall gegeben.
Die handgearbeitete Spitze wird aber immerhin auch
im 19. Jahrhundert noch weiter geschaffen, und insbe-
sondere in Brüssel werden noch Näh- und Klöppel-
spitzen in großer Menge hergestellt; aber diese Spitzen
entbehren nun meistens des künstlerischen Geschmackes.
Augen, die an alten Spitzen geschult sind, können von
diesen Erzeugnissen der neueren Zeit selten befriedigt
werden. Diese Spitzen gehen meist auf eine grob deko-
rative Wirkung aus, und in einer ermüdenden Gleich-
förmigkeit werden immer dieselben Motive, meist natu-
ralistisch gezeichnete Blumen, sowohl in der Näh- als
in der Klöppelspitze wiederholt. Habe ich vom 18. Jahr-
hundert die Vermutung ausgesprochen, daß hier bedeu-
tende Künstler die Entwerfer der Muster waren, so
kann man vom 19. Jahrhundert wohl behaupten, daß
hier nur mehr Routine, aber nicht mehr schöpferische
Künstlerphantasien der ausführenden Arbeiterin sich
beigesellen.
Neben den naturalistischen Blumen werden auch
immer wieder dieselben geometrischen Muster, die schon
vor Jahrhunderten, meist in Italien .erfunden wurden,
wiederholt. Auch eine, strenge Scheidung zwischen
Klöppel- und Nähspitze findet oft nicht mehr statt,
sondern an ein und demselben Stück werden beide
Techniken oft sehr äußerlich miteinander kombiniert.
So wird die Ausführung und die Erfindung immer

weniger edel, aber immerhin bis zum Weltkrieg wurden
noch viele handgearbeitete Spitzen produziert. Nunmehr
muß man aber befürchten, daß die Herstellung edler,
mühsamer Spitzen überhaupt ganz erlahmen wird. Die
jetzigen Arbeitslöhne müssen sich so hoch stellen, daß
wohl kaum mehr Käufer für solche feine moderne Spitzen
zu finden sein dürften. So sehen wir auch, daß vor-
läufig nur entweder „alte Spitzen“ gekauft werden,
worunter man freilich hauptsächlich solche des 19. Jahr-
hunderts versteht, oder man begnügt sich mit Spitzen,
die weniger mühsam in ihrer Herstellung sind. So ist
plötzlich wieder die Strickspitze modern geworden, die
schon einst in der Biedermeierzeit, die ja auch eine
geldarme Zeit war, sehr beliebt gewesen ist, oder man
begnügt sich mit gröberen Spitzen. Besonders die grob-
fädigen Klöppelspitzen, manchmal auch Nähspitzen,
bringen doch einigermaßen etwas Neues, und Wien
scheint in dieser Richtung führend voranzugehen. In
der Wiener Werkstätte werden von Hoffmann und
Peche und wohl auch von anderen Künstlern in den
letzten Jahren Spitzen entworfen, denen man die er-
freuliche Tatsache anmerkt, daß es eben wieder hoch-
stehende Künstler sind, die diese kunstgewerblichen
Entwürfe liefern und die schablonenhafte Eintönigkeit
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts damit über-
winden. Insbesondere figurale Entwürfe sind hier an-
ziehend. Menschliche Figuren, und besonders Tiere
kommen auch bei früheren Spitzen zuweilen vor. Immer
aber hat hier bei den figuralen Motiven die klare und
künstlerische Form mit der Schwierigkeit der Technik
hart gekämpft, und nur bei besonders hochwertigen
Stücken wurde die Schwierigkeit überwunden. Die neuen
Spitzen der Wiener Werkstätte sind bei ihren figuralen
Entwürfen von vornherein anaturalistisch und doch
wieder von feinster Naturbeobachtung. Sie erinnern
diesbezüglich etwa an orientalische Teppiche, wie etwa
der berühmte Jagdteppich, der sich jetzt im. Oester-
reichischen Museum befindet, und der ja auch die Farbe
der Tiere oder die Tierformen frei stilisiert, und für
die Bewegung der Tiere das feinste Verständnis zeigt.
Etwas ganz ähnliches, vielleicht unter dem Eindruck
dieser persischen Wunderwerke, ist in den modernen
Wiener Spitzen zu beobachten, die übrigens auch in
ihren nicht figuralen Motiven neue erfreuliche Erfin-
dungen bringen und die kluger Weise mehr Gewicht
auf Schönheit der Erfindung als mühsame Ausführung
legen.
Diese neuen Spitzen sind aber auch vielfach für
einen neuen Zweck gedacht. Die frühere Spitze war
Schmuck der Wäsche oder des Kleides, jetzt wird die
edle Spitze nur mehr zur Ausschmückung des Zimmers
gekauft. Auch hier muß ich nochmals einen ganz kurzen
historischen Ueberblick geben.
Die früheste italienische Spitze ist aus der durch-
brochenen Leinwandarbeit hervorgewachsen, haben wir
gesagt. Sie war also in ihren Anfängen Wäschespitze.
Aber schon im 16. Jahrhundert wird sie noch als Zierrat
auf Kleidern verwendet, d. h. der Wäschekragen tritt
zuerst beim Hals und bei den Aermeln hervor, wird
aber bald als „Spitze“ selbständig auf das Kleid auf-
genäht, und zwar bald in immer reicherer Anwendung.
Noch im 16. Jahrhundert kommt der breite, zuerst nieder-
gelegte, dann gesteifte, abstehende Spitzenkragen, den
nicht nur- Damen, sondern ähnlich auch Herren tragen,
und im 17. und 18. Jahrhundert werden dann Spitzen
in reichster Fülle auf Herren- und Damenkleidern ver-
wendet. Auf den Röcken als große Volants, an den
Aermeln als sogenannte Engagements, an den Taillen
als Krägen und Devants, um den Hals als Barben, am
Kopf als Fontanges, so findet die Spitze reichlichste
Verwendung und zwar nicht nur am Damenkleid, son-
dern auch bei den Herren. Es mutet uns heute recht
 
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