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Jäger, Hermann
Gartenkunst und Gärten sonst und jetzt: Handbuch für Gärtner, Architekten und Liebhaber — Berlin, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.20105#0284
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Die Gärten im französischen Stil.

Obstbäumen, auch fehlten einige Statnen nicht. Dolices, nahe bei Genf, kaufte Voltaire 1755
und legte es in seiner Art prächtig an. Als er, wie oft, mit den Genfern in Streit
geriet, kaufte er 1758 Ferney im Waadlande, welches noch angeblich in dem alten Zustande
erhalten wird. Ferney hat nicht die fchöne Lage wie Delices mit der Aussicht auf den
See. Voltaire sagte einmal zu Batinelli: „Jch säe uwine Früchte und nieinen Salat
Korn für Korn; aber diese Ernte ist reicher, als jene andere, die ich in Büchern zum Wohle
der Menschheit (?) ausstreue."

Selbst nach Nordamerika verbreitete sich der regelmäßige Gartenstil, erstens dnrch die
Holländer in den späteren Oststaaten der Union, ferner dnrch die Franzosen in Kanada.

AbrVeichirngerr Vorrr frnnzosischen KLcrssrschen Stil'.^)

Auf die klassische Zeit folgte der Rokoko und der Zopf. Genau genommen besteht
zwischen dem vorhergegangenen Barockstil und dem Rokoko, was die Gärten betrifft, kein
Unterschied, aber er wird gemacht, und wir müssen ihn anch in bezug auf die Gärten
anerkennen. Jn den Gärten fließen eigentlich Barock und Rokoko in einander, als wäre
die sogenannte klassische Zeit gar nicht vorhanden. Barock war die ausgeartete verschnörkelte
Renaissance, Rokoko dasselbe in bezug anf den „klassischen" Stil. Die großen Verhältnisse
der echten Le Notreschen Gärten paßten wenig für bürgerliche Gärten, aber die Spielereien
der Barockzeit konnten teilweise nachgemacht werden und wurden nachgemacht, wie wir bei
den holländischen Gärten (sechster Abschnitt) gesehen haben. Auch die Rokokoformen fügten
sich besser an die kleinen Verhältnisse des Mittelstandes und waren leicht und verhältnis-
mäßig billiger nachznahmen. Man brauchte nnr die geraden und edel gebogenen Linien
etwas zu verschnörkeln, d. h. ein- und auszubiegen, nnd Zierrate im Geschmack der Zeit
aufzustellen. Porzellan und Fayencen, welche danials sehr in der Mode waren, dienten
ebenfalls zur Gartenverzierung, und in einigen besonders begünstigten Gärten sah man
zur Zeit Louis XV. sogar ganze Beete mit Blumen aus kostbarem Süvres-Porzellau. Dieser
Geschmack war auch insofern bequem, weil man sich nicht nach strengen Regeln zu richteu
brauchte, daher den Gartenbesitzern und Architekten gestattete, Selbsterfuudenes nach Belieben
anzubringen. Daß solche eigene Erfinduugen größtenteils geschmacklos waren und selbst
von Zeitgenossen so gefunden wurden, kümmerte die Erfinder wenig. Die schiefen muschel-
förmigeu Formeu der Berninischen Architektur wurdeu vielfach angewendet und zusammen-
gesetzt, sowie durch Schnörkel mannigfaltiger gemacht. Jm Garten wurden Kompositiouen
nach architektonischen Mustern angebracht, welche an Gebäuden unmöglich gewesen wären.
Alles was der Le Notresche Stil von den Auswüchsen des Barockwesens beseitigt hatte,
paßte vortrefflich zum Rokoko, wurde daher mit Vergnügen wieder hervorgeholt, und
erschien den Zeitgenossen neu. Das Neue ist ja dem Durchschnittsmenscheu immer schön.
Jn den Rokoko-Gärten wurde die Künstelei und Unnatnr in der Ausschmückung der bcvor-
zugten Gartenteile, besonders des Parterreö, einesteils noch vermehrt und artete bei den
Holländern und deren Nachahmern, wie wir aus dem vorhergeheuden Abschnitte wissen, in

*) Die französischen Kunstschriststeller nennen unter Ludwig den XIV. entstandenen Ban- und
Gartenstil den klassischen, weil er in das Zeitalter der französischen klassischen Dichter, Corneille und
Racine, fällt.
 
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