56
E. Tietze-Conrat Die Bronzen der fürstlich Liechtensteinschen Kunstkammer
der Spruch graviert: Empli estis pretio magno —; an der anderen Seite die Dedikation und
Künstlerinschrift: Carolus a Liechtenstein Rud. II. Imp. Caes. P. E. Aug. Sacri Palati Prae-
fectus dedicavit An. P. C. N. MDCVII — ADRIANUS FRIES HAGENSIS FECIT 1607.
Christus47) sitzt auf einem behauenen Stein, den ein Tuch deckt; das rechte Bein ist über
das linke gelegt, die Hände sind zum Gebet ge-
faltet; die Haltung ist dem Schmerzensmann von
Dürers großer Holzschnittpassion (B. 4) nachge-
fühlt. Die Züge des Antlitzes prägen sich ein; wir
finden sie in einer großen Statuette der Sammlung
des Dr. Figdor wieder (Fig. 43). Sebastian — auch
hier trägt die Plinthe die Künstlersignatur —■
steht vor einem verschwindend zarten Baum-
stamm — man sieht ihn kaum —, als ob er frei-
willig die Arme übers Haupt und den Rücken
legte (Fig. 44). Vries hat die Figuren behandelt,
wie es auch der farnesische Stier in Gotha weist;
die Modellierung der Oberfläche mit den unzäh-
ligen runden Buckeln und flachen Tupfern ist
zum Ziel erhoben. Die Struktur tritt völlig zurück,
der Körper kann üppig überquellen, der lebendige
Hauteindruck wird angestrebt. Der Boden ist zur
Frucht reif, der Stil des Rubens ist vorbereitet.
Nach diesem Höhepunkt nordisch-italieni-
schen Schaffens sollen des Meisters kleine Pferde-
statuetten (Fig. 45) — es sind ihrer drei in der
Kunstkammer — nur kurz erwähnt werden; mäßige
Reduktionen nach dem größeren Typus im Prager
Rudolphinum (Buchwald, a. a. O., T. IV). Schlos-
ser48) findet die Statuette von Lionardo abhän-
gig, der Zusammenhang erweist sich „durch ein
unzweifelhaftes Detail, die eigentümliche Bildung
des Pferdemaules mit der bleckenden Unterlippe“.
In dem geschlossenen Entwicklungsstrom dürfen
wir nicht von der Mündung zur Quelle springen:
Vries greift auf das Vorbild seines Meisters, das
Cavallo camminante Bolognas zurück (vgl. Fig. 12).
Die Werke des niederländisch-florentinischen
Bologna sind besprochen, die Werke des Schülers,
der auf dem Boden seiner zweiten Heimat er-
wuchs, die Werke des Landsmannes, die den
Ruhm des Meisters in den heimatlichen Norden zurücktragen. Wir wenden uns einem
andern Nordländer zu, der in Rom die Stätte seines Bleibens fand. Es sind nur einzelne
47) Ungenügende Abbildung in einem Aufsatze Frim- 48) Jahrb. d. kunsth. Samml. d. Allerh. Kaiserhauses,
mels über die historische Bronzenausstellung im österr. XXXI, 121.
Museum in Wien, Zeitschr. f. b. K., 1884, S. 226, Fig. 10.
E. Tietze-Conrat Die Bronzen der fürstlich Liechtensteinschen Kunstkammer
der Spruch graviert: Empli estis pretio magno —; an der anderen Seite die Dedikation und
Künstlerinschrift: Carolus a Liechtenstein Rud. II. Imp. Caes. P. E. Aug. Sacri Palati Prae-
fectus dedicavit An. P. C. N. MDCVII — ADRIANUS FRIES HAGENSIS FECIT 1607.
Christus47) sitzt auf einem behauenen Stein, den ein Tuch deckt; das rechte Bein ist über
das linke gelegt, die Hände sind zum Gebet ge-
faltet; die Haltung ist dem Schmerzensmann von
Dürers großer Holzschnittpassion (B. 4) nachge-
fühlt. Die Züge des Antlitzes prägen sich ein; wir
finden sie in einer großen Statuette der Sammlung
des Dr. Figdor wieder (Fig. 43). Sebastian — auch
hier trägt die Plinthe die Künstlersignatur —■
steht vor einem verschwindend zarten Baum-
stamm — man sieht ihn kaum —, als ob er frei-
willig die Arme übers Haupt und den Rücken
legte (Fig. 44). Vries hat die Figuren behandelt,
wie es auch der farnesische Stier in Gotha weist;
die Modellierung der Oberfläche mit den unzäh-
ligen runden Buckeln und flachen Tupfern ist
zum Ziel erhoben. Die Struktur tritt völlig zurück,
der Körper kann üppig überquellen, der lebendige
Hauteindruck wird angestrebt. Der Boden ist zur
Frucht reif, der Stil des Rubens ist vorbereitet.
Nach diesem Höhepunkt nordisch-italieni-
schen Schaffens sollen des Meisters kleine Pferde-
statuetten (Fig. 45) — es sind ihrer drei in der
Kunstkammer — nur kurz erwähnt werden; mäßige
Reduktionen nach dem größeren Typus im Prager
Rudolphinum (Buchwald, a. a. O., T. IV). Schlos-
ser48) findet die Statuette von Lionardo abhän-
gig, der Zusammenhang erweist sich „durch ein
unzweifelhaftes Detail, die eigentümliche Bildung
des Pferdemaules mit der bleckenden Unterlippe“.
In dem geschlossenen Entwicklungsstrom dürfen
wir nicht von der Mündung zur Quelle springen:
Vries greift auf das Vorbild seines Meisters, das
Cavallo camminante Bolognas zurück (vgl. Fig. 12).
Die Werke des niederländisch-florentinischen
Bologna sind besprochen, die Werke des Schülers,
der auf dem Boden seiner zweiten Heimat er-
wuchs, die Werke des Landsmannes, die den
Ruhm des Meisters in den heimatlichen Norden zurücktragen. Wir wenden uns einem
andern Nordländer zu, der in Rom die Stätte seines Bleibens fand. Es sind nur einzelne
47) Ungenügende Abbildung in einem Aufsatze Frim- 48) Jahrb. d. kunsth. Samml. d. Allerh. Kaiserhauses,
mels über die historische Bronzenausstellung im österr. XXXI, 121.
Museum in Wien, Zeitschr. f. b. K., 1884, S. 226, Fig. 10.