E. Tietze-Conrat Die Bronzen der fürstlich Liechtensteinschen Kunstkammer
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alten Beschreibung- (von 1658) und von anderen Exemplaren her wüßten, wir könnten es
uns auch nicht recht denken, was der Gott oder Cupido einst in den Händen hielt und ob
Apoll als Bog-enschütze oder Musikant sich einführt. Das Oval ist nicht so fließend wie
beim Merkur, der Körper liegt wie ein Bogen an einer straffen Sehne; der Stamm ist die
Vertikale, die durch Cupido bereichert,
aber nicht verschoben in den Kontur ein-
gezogen ist. Die Gruppe ist wundervoll
und daß mir die melancholische Kopf-
neigung des Merkur und das weichere
Nachgeben seines Körpers näher geht,
ist schließlich nur eine Frage des Ge-
schmackes. Noch schmerzlicher empfinden
wir es jetzt vom erhaltenen zweiten aus,
daß der andere Putto, der erste freiere
Wurf, verloren gegangen ist!
Nach Fantis Katalog sind die Figuren
antik: „Num. 36. Una Statua antica di
Bronzo, rappresentante un Giovane appog-
giato ad un tronco, alta piedi 1. once
io3/4. — Num. 37. Apollo appoggiato ad
un tronco con Cupido; statua antica di
bronzo, alta piedi 2.“ Den Merkur hatte
schon Clarac in seine „Antikensammlung“
aufgenommen, ohne daß es Salomon Rei-
nach55) aufgefallen wäre. Und schließlich
fühlt sich Bellori an das Stellungsmotiv
des Antinous vom Belvedere erinnert56).
Aber gerade durch die äußerliche Ähn-
lichkeit des Motivs treten die Unterschiede
deutlich hervor. Beim Antinous geht die
Schwerlinie durch den Rumpf in das
Standbein; die Hüfte schiebt sich heraus
und ihrem knappen Anschlag entspricht
die sanfte Senkung der Schultern, die
maßvolle Freiheit des Spielbeines; der
Eindruck des ausgewogenen Stehens geht
von dem menschlichen Wesen allein aus,
die Stütze dient nur dem Material. Anders
bei den Bronzen; Gott, Putto und Baum-
stumpf, Organisches und Unorganisches schließen sich als gleichwertige Faktoren zur formalen
Erscheinung zusammen. In ihrer Verbindung erst g-eben sie ein geschlossenes Ganze, das
Fig. 47 Duquesnoy, Apoll und Cupido (Galerie)
55) Repertoire de la Statuaire Grecque et Romaine,
Paris 1897, !• Bd., S. 364.
5C) In der angeführten Stelle heißt es: „e fiancheggiano
nell’ atto delJ Antinoo di Belvedere“. Fiancheggiare bedeutet:
I. stützen, 2. einfassen, „flankieren“ (3. in übertragenem
Sinne: helfen). Die wörtliche Übersetzung ist nicht leicht,
ich möchte sinngemäß sagen: „und sie schieben sich zur
Seite ähnlich im Motiv wie der Antinous vom Belvedere“.
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alten Beschreibung- (von 1658) und von anderen Exemplaren her wüßten, wir könnten es
uns auch nicht recht denken, was der Gott oder Cupido einst in den Händen hielt und ob
Apoll als Bog-enschütze oder Musikant sich einführt. Das Oval ist nicht so fließend wie
beim Merkur, der Körper liegt wie ein Bogen an einer straffen Sehne; der Stamm ist die
Vertikale, die durch Cupido bereichert,
aber nicht verschoben in den Kontur ein-
gezogen ist. Die Gruppe ist wundervoll
und daß mir die melancholische Kopf-
neigung des Merkur und das weichere
Nachgeben seines Körpers näher geht,
ist schließlich nur eine Frage des Ge-
schmackes. Noch schmerzlicher empfinden
wir es jetzt vom erhaltenen zweiten aus,
daß der andere Putto, der erste freiere
Wurf, verloren gegangen ist!
Nach Fantis Katalog sind die Figuren
antik: „Num. 36. Una Statua antica di
Bronzo, rappresentante un Giovane appog-
giato ad un tronco, alta piedi 1. once
io3/4. — Num. 37. Apollo appoggiato ad
un tronco con Cupido; statua antica di
bronzo, alta piedi 2.“ Den Merkur hatte
schon Clarac in seine „Antikensammlung“
aufgenommen, ohne daß es Salomon Rei-
nach55) aufgefallen wäre. Und schließlich
fühlt sich Bellori an das Stellungsmotiv
des Antinous vom Belvedere erinnert56).
Aber gerade durch die äußerliche Ähn-
lichkeit des Motivs treten die Unterschiede
deutlich hervor. Beim Antinous geht die
Schwerlinie durch den Rumpf in das
Standbein; die Hüfte schiebt sich heraus
und ihrem knappen Anschlag entspricht
die sanfte Senkung der Schultern, die
maßvolle Freiheit des Spielbeines; der
Eindruck des ausgewogenen Stehens geht
von dem menschlichen Wesen allein aus,
die Stütze dient nur dem Material. Anders
bei den Bronzen; Gott, Putto und Baum-
stumpf, Organisches und Unorganisches schließen sich als gleichwertige Faktoren zur formalen
Erscheinung zusammen. In ihrer Verbindung erst g-eben sie ein geschlossenes Ganze, das
Fig. 47 Duquesnoy, Apoll und Cupido (Galerie)
55) Repertoire de la Statuaire Grecque et Romaine,
Paris 1897, !• Bd., S. 364.
5C) In der angeführten Stelle heißt es: „e fiancheggiano
nell’ atto delJ Antinoo di Belvedere“. Fiancheggiare bedeutet:
I. stützen, 2. einfassen, „flankieren“ (3. in übertragenem
Sinne: helfen). Die wörtliche Übersetzung ist nicht leicht,
ich möchte sinngemäß sagen: „und sie schieben sich zur
Seite ähnlich im Motiv wie der Antinous vom Belvedere“.