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Richard Ernst Die Krummauer Madonna der k. k. Staatsgalerie
Faltenwurf. Kräftiger als bei den meisten gleichzeitigen Skulpturen kommt der Kontrapost
zur Geltung. Der Kopf weicht von dem zierlichen ovalen Schema ab, er zeigt einen
tschechischen Frauentypus, wie er auch auf späten Gemälden der Südböhmischen Maler-
schule zu finden ist, etwa auf dem Marienbilde aus Destna im Prager Rudolfinum.
Eine schlichte Maria in der Johanniskapelle zu Gojau läßt in der Art, wie die äußerste
Zugfalte vom Rücken nach vorn zum Boden geht und
dort im spitzen Winkel zum linken Arm hochgezogen
wird, und der staffelförmigen Anordnung der Quer-
falten bei Berücksichtigung- des flachen Reliefs der
Arbeit eine freilich sehr lose Übereinstimmung mit
der Faltenschlichtung der Krummauer Madonna er-
kennen. Die Statue ist 120 cm hoch, aus Holz ge-
schnitten, und trägt zum größten Teil noch ihre ur-
sprüngliche Fassung. Der rechte Arm der Madonna ist
schlecht ergänzt; unterhalb der rechten Schulter hat
man ein Stück Holz und daran einen Arm ang'esetzt,
während der ursprüngliche aus dem Mantel hervor-
gekommen ist, wo neben dem Gürtel die alte Ansatz-
stelle deutlich erkennbar ist. Die Kronen sind neu.
Eine Madonnastatue im Diözesanmuseum von Bud-
weis steht mit ihren derben gedrungenen P’ormen, den
großen Köpfen von Mutter und Kind sowie dem etwas
unruhigen Faltenwurf als handwerksmäßiges Stück ab-
seits von den besprochenen Arbeiten. Sie ist abge-
bildet in dem photographischen Album der tschecho-
slawischen Ausstellung in Prag 1895 (Närodopisnä vy-
stava ceskoslovanskä 1895. Skulptury a rezby Tafel 7)
und bei A. Podlaha, Sochy a skulptury marianske
v Cechäch, Prag 1904, Abb. 10.
Weitere Skulpturen dieser Periode aus .Südböhmen
sind mir nicht bekannt geworden. Die übrige gotische
Plastik Böhmens ist außer der Prags (selbst diese nicht
vollständig!) noch nicht erschlossen. Die Retrospektive
auf der Prager Ausstellung von 1895 hat außer der soeben
genannten Figur aus Budweis nichts gezeitigt, was das
Dunkel aufgehellt hätte, in dem die provinziale Plastik
Böhmens aus den Zeiten Karl IV. und Wenzel I. noch liegt.
Die zwei Skulpturen, die aus Neuwirths Werk „Mittelalterliche Wandgemälde und Tafel-
bilder auf der Burg Karlstein“ (Prag 1896) bekannt sind, die Marienstatue in der Katharinen-
kapelle und der hl. Nikolaus in der Niklaskapelle haben so wenig mit den besprochenen
südböhmischen Arbeiten gemeinsam als die beiden Karlsteiner Stücke selbst miteinander.
Auch unter den Marienstatuen, die der Prager Domherr Dr. A. Podlaha in seiner vorhin
erwähnten volkstümlichen Abhandlung über böhmische Marienstatuen veröffentlicht hat,
findet sich kein Werk, das einen stilistischen Zusammenhang mit Südböhmen erkennen ließe.
Spärlich sind die Funde, die die „Topographie der historischen und Kunstdenkmale im
Fig. 100 Maria, Nesvacil
Richard Ernst Die Krummauer Madonna der k. k. Staatsgalerie
Faltenwurf. Kräftiger als bei den meisten gleichzeitigen Skulpturen kommt der Kontrapost
zur Geltung. Der Kopf weicht von dem zierlichen ovalen Schema ab, er zeigt einen
tschechischen Frauentypus, wie er auch auf späten Gemälden der Südböhmischen Maler-
schule zu finden ist, etwa auf dem Marienbilde aus Destna im Prager Rudolfinum.
Eine schlichte Maria in der Johanniskapelle zu Gojau läßt in der Art, wie die äußerste
Zugfalte vom Rücken nach vorn zum Boden geht und
dort im spitzen Winkel zum linken Arm hochgezogen
wird, und der staffelförmigen Anordnung der Quer-
falten bei Berücksichtigung- des flachen Reliefs der
Arbeit eine freilich sehr lose Übereinstimmung mit
der Faltenschlichtung der Krummauer Madonna er-
kennen. Die Statue ist 120 cm hoch, aus Holz ge-
schnitten, und trägt zum größten Teil noch ihre ur-
sprüngliche Fassung. Der rechte Arm der Madonna ist
schlecht ergänzt; unterhalb der rechten Schulter hat
man ein Stück Holz und daran einen Arm ang'esetzt,
während der ursprüngliche aus dem Mantel hervor-
gekommen ist, wo neben dem Gürtel die alte Ansatz-
stelle deutlich erkennbar ist. Die Kronen sind neu.
Eine Madonnastatue im Diözesanmuseum von Bud-
weis steht mit ihren derben gedrungenen P’ormen, den
großen Köpfen von Mutter und Kind sowie dem etwas
unruhigen Faltenwurf als handwerksmäßiges Stück ab-
seits von den besprochenen Arbeiten. Sie ist abge-
bildet in dem photographischen Album der tschecho-
slawischen Ausstellung in Prag 1895 (Närodopisnä vy-
stava ceskoslovanskä 1895. Skulptury a rezby Tafel 7)
und bei A. Podlaha, Sochy a skulptury marianske
v Cechäch, Prag 1904, Abb. 10.
Weitere Skulpturen dieser Periode aus .Südböhmen
sind mir nicht bekannt geworden. Die übrige gotische
Plastik Böhmens ist außer der Prags (selbst diese nicht
vollständig!) noch nicht erschlossen. Die Retrospektive
auf der Prager Ausstellung von 1895 hat außer der soeben
genannten Figur aus Budweis nichts gezeitigt, was das
Dunkel aufgehellt hätte, in dem die provinziale Plastik
Böhmens aus den Zeiten Karl IV. und Wenzel I. noch liegt.
Die zwei Skulpturen, die aus Neuwirths Werk „Mittelalterliche Wandgemälde und Tafel-
bilder auf der Burg Karlstein“ (Prag 1896) bekannt sind, die Marienstatue in der Katharinen-
kapelle und der hl. Nikolaus in der Niklaskapelle haben so wenig mit den besprochenen
südböhmischen Arbeiten gemeinsam als die beiden Karlsteiner Stücke selbst miteinander.
Auch unter den Marienstatuen, die der Prager Domherr Dr. A. Podlaha in seiner vorhin
erwähnten volkstümlichen Abhandlung über böhmische Marienstatuen veröffentlicht hat,
findet sich kein Werk, das einen stilistischen Zusammenhang mit Südböhmen erkennen ließe.
Spärlich sind die Funde, die die „Topographie der historischen und Kunstdenkmale im
Fig. 100 Maria, Nesvacil