Richard Ernst Die Krummauer Madonna der k. k. Staatsgalerie
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kann leicht versucht sein, auch die Krummauer Madonna in Verbindung zu bringen mit
den burgundischen Madonnen des Louvre und Musee Cluny, besonders aber mit den Werken
der Chartreuse von Champmol. Aber die dekorative Verwendung von großzügigen tiefen,
scharf hervorgehobenen Falten, Vornehmheit und Raffinement war in der böhmischen
Kunst das ganze XIV. Jh. hindurch nichts Seltenes. In einigen Miniaturen des Passionales
der Äbtissin Kunigunde finden sich schon Ansätze, die zu der großzügigen Draperie der
Krummauer Madonna führen, desgleichen auf der Kaufmannschen Kreuzigung7). In den
Werken des Meisters von Wittingau scheinen mir unmittelbare Vorstufen zu der merk-
würdigen Drapierung der Krummauer Madonna gelegen zu sein. Ein Ausschnitt der
Fig. 104 Meister von Wittingau, S. Maria Magdalena inmitten von SS. Katharina und Margareta, Ausschnitt
Kreuzigung aus St. Barbara8) mag das verdeutlichen; man vergleiche die Maria auf diesem
Bilde mit der Steinfigur. Die hochgerafften Gewandfalten, das Zusammenfassen in große
Züge, das Vermeiden von jedem kleinen Gefältel, welches die dekorative Wirkung vermindert
hätte, sind charakteristisch für die Draperie beider Figuren, der gemalten und der in Stein
gehauenen. Entwickelter und ausdrucksvoller sind diese Merkmale naturgemäß an der
späteren Schöpfung. Die Zartheit, die alle weiblichen Heiligengestalten auf den Bildern des
Meisters von Wittingau auszeichnet, ihre minnigliche Süße ist gesteigert in der Krummauer
Madonna. Das wunderbare Haupt der Statue ist nichts so Unerhörtes mehr, wenn man die
Köpfe der heiligen Jungfrauen auf dem Altarflügel aus St. Magdalena9) vergleicht; es er-
7) Gemälde des XIV. bis XVI. Jhs. aus der Samm- Forschungen z. Kunstgescli. Böhmens, Prag 1912. Taf. XII.
jung Richard v. Kaufmann: Tafel XXX (Berlin 1901). — 8) Ernst, a. a. O., Tafel XXV.
R. Ernst, Beiträge zur Kenntnis der Tafelmalerei Böhmens. 9) A. a. O., Tafel XXVII.
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kann leicht versucht sein, auch die Krummauer Madonna in Verbindung zu bringen mit
den burgundischen Madonnen des Louvre und Musee Cluny, besonders aber mit den Werken
der Chartreuse von Champmol. Aber die dekorative Verwendung von großzügigen tiefen,
scharf hervorgehobenen Falten, Vornehmheit und Raffinement war in der böhmischen
Kunst das ganze XIV. Jh. hindurch nichts Seltenes. In einigen Miniaturen des Passionales
der Äbtissin Kunigunde finden sich schon Ansätze, die zu der großzügigen Draperie der
Krummauer Madonna führen, desgleichen auf der Kaufmannschen Kreuzigung7). In den
Werken des Meisters von Wittingau scheinen mir unmittelbare Vorstufen zu der merk-
würdigen Drapierung der Krummauer Madonna gelegen zu sein. Ein Ausschnitt der
Fig. 104 Meister von Wittingau, S. Maria Magdalena inmitten von SS. Katharina und Margareta, Ausschnitt
Kreuzigung aus St. Barbara8) mag das verdeutlichen; man vergleiche die Maria auf diesem
Bilde mit der Steinfigur. Die hochgerafften Gewandfalten, das Zusammenfassen in große
Züge, das Vermeiden von jedem kleinen Gefältel, welches die dekorative Wirkung vermindert
hätte, sind charakteristisch für die Draperie beider Figuren, der gemalten und der in Stein
gehauenen. Entwickelter und ausdrucksvoller sind diese Merkmale naturgemäß an der
späteren Schöpfung. Die Zartheit, die alle weiblichen Heiligengestalten auf den Bildern des
Meisters von Wittingau auszeichnet, ihre minnigliche Süße ist gesteigert in der Krummauer
Madonna. Das wunderbare Haupt der Statue ist nichts so Unerhörtes mehr, wenn man die
Köpfe der heiligen Jungfrauen auf dem Altarflügel aus St. Magdalena9) vergleicht; es er-
7) Gemälde des XIV. bis XVI. Jhs. aus der Samm- Forschungen z. Kunstgescli. Böhmens, Prag 1912. Taf. XII.
jung Richard v. Kaufmann: Tafel XXX (Berlin 1901). — 8) Ernst, a. a. O., Tafel XXV.
R. Ernst, Beiträge zur Kenntnis der Tafelmalerei Böhmens. 9) A. a. O., Tafel XXVII.