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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 14.1893

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Die Ornamente eines altchristlichen Codex der Hofbibliothek
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https://doi.org/10.11588/diglit.5885#0215
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Die Ornamente eines altchristlichen Codex der Hofbibliothek.

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Schriften schon seit der Zeit ihrer Entstehung zusammen aufbewahrt wurden. Jedenfalls sind sie zu
einer Zeit entstanden, wo sich die griechische und die lateinische Schrift, die sich in den ersten Jahrhun-
derten unserer Zeitrechnung allmälig ganz nahe gekommen waren, noch nicht wieder differenzirt hatten.

Ornamente im engeren Sinne fehlen in den ältesten geschmückten Codices, die uns erhalten sind,
und die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen thun ihrer keine Erwähnung. Ihre reichere Ausstattung
beschränkt sich vielmehr auf einen Aufwand von kostbarerem Materiale einerseits, indem das Pergament
mit Purpur gefärbt, die Schrift in Gold aufgesetzt wurde, andererseits auf die Zugabe von Bildern, die,
wohl abgegrenzt, als selbstständige Beilage eingefügt wurden. So ist gleich der älteste Codex, über dessen
Ausschmückung eine Nachricht erhalten ist, ein Purpurcodex. Als Maximinus junior »dem Gramma-
tiker übergeben wurde, schenkte ihm eine verwandte.Dame die sämmtlichen Bücher Homer's, auf
Purpurpergament mit goldenen Buchstaben geschrieben«.1 Der vornehme Barbarenknabe,
der dieses buntfarbige Schulbuch erhielt, trug, herangewachsen, eine Lorica von Silber und Gold,
einen vergoldeten, mit geschnittenen Steinen besetzten Schild und eine vergoldete Lanze.2 Demselben
barbarischen Geschmacke, der hier in den Waffen mit dem Edelmetall prunkte, genügte die schlichte
Einfachheit des antiken Buches nicht mehr. Es war also zunächst ein Schulbuch, ein Kinderbuch, an
dem diese Wandlung stattfand. Dass der erste Prachtcodex, den die Literatur erwähnt, ein Kinderbuch
war, gibt uns zu denken. Werden uns dadurch nicht jene Codices mit grossen, mehr gezeichneten als
geschriebenen Buchstaben verständlich, deren Schrift sich durch ihren Massstab, so sonderbar nicht
nur von der des antiken Volumen sondern auch von der der anderen Codices abhebt? Dass es zumeist
Handschriften des Virgil, also eines im Elementarunterricht beständig verwendeten Buches sind, macht
die Sache noch deutlicher. Birt hat eingehend ausgeführt, wie der Codex zunächst dort die Rolle
verdrängte, wo das Buch als häufig zu benützendes Nachschlagewerk zu dienen hatte, und dabei als die
beiden Hauptgattungen die Rechtshandbücher und die heiligen Bücher der Christen angeführt.3 Er
hätte als die dritte Classe die Schulbücher anführen sollen. Nirgends hätte ein unzerreissbares Buch
besser am Platze sein können. Vielleicht war der Gebrauch der Codices zu diesem Zwecke noch älter.
Wenigstens die Blätter der ältesten Virgilhandschrift, die in Berlin und im Vatican vereinzelt erhalten
sind und die, wie ich glaube, nichts Anderes sind als die Reste eines solchen Buches, das Knaben zur
Schule mitnahmen, gehen der Zeit nach, allen erhaltenen juridischen oder biblischen Codices voran. So
wie diese Fragmente mag die Masse der Schulbücher ausgesehen haben und in einzelnen Fällen, wo
man die Mühe daran wenden wollte, wurden sie kindlichem Geschmacke entsprechend bunt getüncht
und mit Goldbuchstaben beschrieben. Man spricht heute dabei immer von Prachtcodices und verbindet
damit die Vorstellung besonderen Werthes. Wie viel Groschen mag wohl das Töpfchen Purpurfarbe
und das Bischen Muschelgold gekostet haben? Dass die Purpurcodices später Lieblinge der Barbaren-
könige wurden, rührt nicht davon her, dass jene Codices königlichen Werth hatten sondern dass diese
Könige Barbaren waren, die wie Kinder nach gleissendem Zeuge griffen.

Solche Ausschmückung bildete aber jedenfalls nur die Ausnahme; es waren noch andere Wege
offen, das leidige Buch dem Kinde gefälliger zu machen. Ein Beispiel ist uns in dem aus St. Denis
stammenden Virgil, Vat. 3867, erhalten. Wattenbach bemerkt: »die Schrift ist affectirt mit starkem
Unterschied der dicken und dünnen Striche«.-* Das war natürlich absichtlich zu dem Zwecke gemacht,
die verschiedenen Theile, aus denen sich der Buchstabe zusammensetzte, dem Elementarschüler recht
augenfällig zu machen. An den deutlich und gross geschriebenen, weit von einander stehenden Linien
konnte das Kind leicht mit dem Finger nachfahren. Noch ein pädagogisches Hilfsmittel wurde benützt,
das bestimmt war, den Inhalt des Gelesenen im Gedächtnisse festzuhalten. Die Tabula iliaca zeigt uns,
dass dem späteren Alterthume die Verwendung von bildlichen Darstellungen zum Behufe des Unter-
richtes in der Sagengeschichte geläufig war. Auch unser Virgil wurde mit Bildern versehen, die, blatt-

' Capitolinus, Maximini duo, 3o (4).

2 A. a. C, 29 (3).

3 Theodor Birt, Das antike Buchwesen, Berlin 1882, S. 104 ff. Vgl. übrigens das ganze zweite Capitel.

4 Schriftwesen, S. 2o3.

XIV. 2 - * *
 
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