Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 14.1893

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Schlosser, Julius von: Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I.
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.5885#0312
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I.

283

Nu hat uff mich gebunden

Die frowe min ain sweres joch. (Ebenda, Nr. 131, v. 4.)
Etwas anders variirt Hadlaub (XIV, 3) den Gedanken:

Minne klemmet alsam ein zange.

Nicht minder fügt sich der Eisvogel in die Allegorie. Als Strandvogel, der am Wasser nistet und
sich von daher seine Beute holt, — schon seine volksthümlichen Namen Königsfischer, böhmisch ryba-
ficek,1 kleiner Fischer, und französisch Martin-pecheur weisen darauf — steht er in Beziehung zur
Baderin. Aber er ist auch das Sinnbild treuer Liebe: er ist die Alkyone der antiken Sage, welche sich, da
ihr Gatte Keyx auf der See umkommt, verzweifelnd ins Meer stürzt und von den Göttern in den Eis-
vogel verwandelt wird (Ovid, Metam., XI, 410 — 750; Hygin, Fab. 65). Zum Lohne für ihre Treue liegt
während ihrer Brutzeit, die mitten in den Winter fällt, das Meer ruhig und spiegelglatt unter wolken-
losem heiteren Himmel: das sind die berühmten alkyonischen Tage; eines der herrlichsten Märchen des
Alterthums, welches bekanntlich Lukian in einem eigenen Dialog behandelt hat. Die Sage war im
Mittelalter wohl bekannt; Chaucer hat sie z. B. im »Book of the Duchesse« bearbeitet und in dem oben
erwähnten altniederländischen Gedichte wird der Vogel mit seinem antiken Namen Alcyon bezeichnet.

Auch die wilden Männer spielen in der mittelalterlichen Erotik eine Rolle. Es ist bekannt, dass
die Waldleute, welche auch die deutsche Volkssage kennt (Grimm, Deutsche Mythologie I, 3gg—403),
seit dem 14. Jahrhunderte in Poesie und bildender Kunst auftreten und dass sie dann besonders die
Renaissance nicht blos heraldisch verwerthet.2 Zu Ende des 14. Jahrhunderts treten sie in öffentlichen
Schauspielen auf, wo sie allerlei Tänze aufführen. Ein solches »Ballet de sauvages« fand 1385 zu Cam-
brai statt (Hist. litt, de la France XXIV, 756); durch seinen tragischen Ausgang bekannt ist das soge-
nannte »Ballet des Ardents«, welches am 29. Jänner i3g3 am französischen Hofe dargestellt wurde und
bei dem König Karl VI , der selbst als wilder Mann maskirt war, nach Froissart's Bericht nur mit Noth
dem schrecklichen Feuertode seiner mit Ketten aneinander gefesselten Genossen entrann.3 Auch in Italien
führte man solche Schauspiele auf. Boccaccio erzählt (Decam.,
giorn. IV, nov. 2), dass bei einem Volksfeste in Venedig Leute als
Bären und »uomini selvatici« verkleidet, mit Keulen bewaffnet,
an Ketten geführt und von grossen Hunden begleitet, auftraten.
Schon im früheren Mittelalter spielt übrigens in den Vaganten-
liedern der Satyrus, der gewiss nicht anders wie als wilder Mann
zu denken ist, eine grosse Rolle (vgl. Carm. Bur., Nr. 4, 49
u. a. m.).

Beiläufig gesagt, scheinen aus solchen Schauspielen die Dro-
lerien überhaupt häufig geschöpft zu haben. Wie wir hier von
als Bären verkleideten Menschen hören, so bot man schon i3i3
Philipp dem Schönen ein Schauspiel, worin neben dem Enfer und
dem Paradis auch eine Procession de Renarts, »oü de gens fei-
gnaient d'exercer leur metier sous des deguisements d'animaux«,
(Hist. litt. XXIV, 753) zu sehen war.

In Darstellungen der Minnetrühlein findet sich häufig Frau Minne in Begleitung von allerlei
Thieren und wilden Männern. Merkwürdig ist ein von v. d. Hagen beschriebenes Holzkästchen in Berlin,«

1 Die moderne czechische Bezeichnung »lednäcek« entspricht vollkommen dem deutschen »Eisvogel«; in den deut-
schen Glossen in Nr. 97 der Carm. Bur. entspricht »isevogil« dem lateinischen »aurificus«.

2 In den neapolitanischen Volksmärchen, welche Basile in seinem Pentameron erzählt, spielt der »orco« (ogre) ge-
nannte wilde Mann eine grosse Rolle.

3 Vgl. die Miniatur aus der Handschrift Froissart's, welche dieses traurige Ereigniss darstellt, bei Lacroix, Moeurs etc.
du moyen-äge, p. 263.

4 Minnesänger, Bildersaal.

36*
 
Annotationen