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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 14.1893

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.5885#0327
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I

298

Dr. Julius von Schlosser.

Koberstein, Grundriss I, 333) nachgeahmt wurde, erscheint die Dame als Hirsch, von ihrem Geliebten
als Jäger verfolgt (Hist. litt. XXIII, 290). Die italienischen Lyriker des 14. Jahrhunderts folgen auch
hierin ihren provencalischen Lehrmeistern. Für Dante personificirt sich der Amore in der Gestalt
Beatricens; den Zusammenhang dieser Vorstellung mit der bildenden Kunst hat Wickhoff (Jahrb. der
kgl. preuss. Kunstsammlungen, Bd. XI (1890), S. 41 ff.) nachgewiesen. Cavalcanti's »Primavera« ist be-
kannt; besonders reich ist Cino da Pistoja an solchen allegorischen Bezeichnungen. Er feiert wie
Rambaut einen »Bei Cavalier«, eine merla (Amsel) in hübscher Schilderung:

Per una merla, che d' intorno al volto
Sovra volando di sicur mi venne
Sento ch' amore e tutto in me raccolto
Lo quäle uscio de le sue nere penne.

(Bartoli, Storia della litt. Ital. IV, 98.)

Durch den Zusammenhang mit einer Gestalt der gleichzeitigen bilden-
den Kunst ist uns aber besonders seine berühmte »Selvaggia«, die auch
in Petrarca's Trionfo d' amore, wie Bice mit Dante, auftritt, interessant.
Bartoli (a. a. O., p. 79 ff.) hat nachgewiesen, dass »Selvaggia« nicht, wie
man früher annahm, ein Eigenname (es liefe das auch dem Geiste dieser
Poesie zuwider) sondern ein allegorischer Name ist. Wenn Cino in einem
Sonette (Bartoli, p. 88) singt:

Come d'una crudel fera selvaggia
Una selvaggia fera esser pietosa,

so steht uns das Bild sofort vor Augen: es ist das Waldfräulein, die Be-
gleiterin des wilden Mannes, wie sie in den Manuscripten des 14. und
15. Jahrhunderts und in den neapolitanischen Volksmärchen in Basile's
»Pentameron« vorkommt. Wir haben sie schon in der Wenzelsbibel ge-
funden; besonders anmuthige Darstellungen dieser Art enthält das franzö-
sische Gebetbuch der Hof bibliothek, Nr. 1857 (fol. 169', 179', auf fol. 37
eine ganze Waldmenschenfamilie: Mann, Weib und Kind, eine Darstel-
lung, die bekanntlich auch der ältere Kranach sehr reizend behandelt hat).
Das führt uns schon in den Kreis der Drolerien in den Handschriften Wenzels. In dieser Zeit
der weitausgesponnenen Minneallegorien, die häufig einen Zug ins Burleske zeigen (Gervinus, Gesch.
der deutschen Lit. II, 433), wäre es nicht undenkbar, dass sich hinter der Gestalt der Bademagd die
mittelalterliche Sirene, eine Verwandte des Waldfräuleins, verbärge. In dem oben erwähnten fran-
zösischen Gebetbuche der Hofbibliothek findet sich auf fol. 166' unter den Drolerien ein Meerweibchen,
den Oberkörper nackt, mit goldenem Kamme und Spiegel. Besonders wichtig aber ist für uns eine
Stelle der Chronik des Jehan de Troyes, in welcher die Festlichkeiten beim Einzüge Königs Karl V.
in Paris (1461) geschildert werden (Michaud et Poujoulat, Nouv. coli, des mem., ser. I, vol. 4, p. 250):
»Et ung peu avant dedans la dicte ville estoient ä la fontaine du Ponceau hommes et femmes
sauvaiges, qui se combattoient et faisoient plusieurs contenances, et si y avoit encores trois bien
belles filles faisans personnages de seraines toutes nues, et leur veoit-on le beau tetin droit
separe, rond et dur, qui estoit chose bien plaisante, et disoient des petits motets et bergerettes. Et pres
s'eulx jouoient plusieurs bas instrumens, qui rendoient de grandes melodies. Et pour bien raffreschir
les entrans en la dicte ville, y avoit divers conduits en la dicte fontaine, gettans laict, vin et ypocras,
dont chacun auroit qui vouloit« etc.

Wenn Adam und Eva in der Gestalt von Badenden erscheinen (siehe oben), so liegt es der naiven
Phantasie des Mittelalters nicht ferner, mit einem leichten Anflug von Humor die Nixen des Wassers
als Baderinnen darzustellen.
 
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