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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 17.1896

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Giusto's Fresken in Padua und die Vorläufer der Stanza della Segnatura
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https://doi.org/10.11588/diglit.5904#0039
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28

Julius von Schlosser.

Ornamentik
der

Handschriften.

Superbus abgelöst wurde, ist der Canon an beiden Orten, in der wallonischen Bischofsresidenz der
Renaissance und in der italienischen Universitätsstadt des Trecento, vollständig derselbe. Das lässt auf
eine gemeinsame alte Quelle schliessen, deren Erkundung mir leider nicht gelungen ist.

Besondere Aufmerksamkeit verdient noch die Ornamentik des Anhanges der beiden Hand-
schriften in Wien und Florenz. Ausser den gewöhnlichen Fleuronne-Initialen in Roth und Blau, die,
ursprünglich von Frankreich ausgehend, im XIV. Jahrhundert international sind, finden wir hier farbige
Initialen und namentlich Ranken als Randborduren, die einen ganz eigenthümlichen Charakter haben.
Es sind schwere aber elegant geschwungene, akanthusartige Gebilde in lebhaften Deckfarben, mit
Innenzeichnung, oft auch mit vegetabilischem, stilisirten Geschlinge älteren Charakters combinirt.
Besonders charakteristisch sind die eingesetzten Goldtröpfchen und Goldknospen als Zwickelfüllung
sowie die frei an den Rand gesetzten goldenen Sterne und Kreuze. Es ist dies die national-italie-
nische Ornamentik der Handschriften, die, offenbar eine Weiterbildung der alten romanischen Ranke,
sich bis in die Hochrenaissance hinein erhält und noch von dem veronesischen Maler und Miniator
Girolamo dai Libri in seinen prächtigen Chorbüchern (Beispiele im Museum von Verona) verwendet

Fig. i. Ranke aus der Wenzelsbibel in Wien.

Die Präger
Miniatoren-
schule.

worden ist.1 Gerade wie der französischen Bauweise gegenüber hat sich Italien auch gegenüber der
französischen Ornamentik, in deren Banne damals das ganze übrige Europa steht, ablehnend ver-
halten. Diese ist nicht weniger charakteristisch und ebenso leicht erkennbar. Ihr Hauptmerkmal ist das
sogenannte Dornblattmuster, feine, magere, spitzige Blättchen (in Gestalt der Pique im französischen
Kartenspiele), in ebenso feinen scharfkantigen Ranken dicht aneinanderstehend. Zusammen mit dem
gemusterten Teppichhintergrunde der Bilder und dem Geschmacke der grotesken Randverzierungen
ist dieser Decorationsstil im XIV. Jahrhundert fast im ganzen übrigen Abendlande heimisch. Erst am
Ende dieses Zeitalters, als die alte französische ideale Kunst von der neuen realistischen, flandrisch-
burgundischen depossedirt wird, beginnt sich auch deren naturalistischer Geschmack in der Bücher-
verzierung — naturgetreu wiedergegebene Blumen, Insecten etc. in gefälliger Anordnung — mehr und
mehr auszubreiten.

Nur eine einzige bedeutende Malerschule des XIV. Jahrhunderts ausserhalb Italiens, in der sich
der mittelalterliche Geschmack zum letzten Male glänzend manifestirt hat, macht hievon eine Aus-
nahme und ist in der Ornamentik ihre eigenen Wege gegangen. Es ist dies die Hofschule Königs
Wenzel I. in Prag. Seit Karl IV. trägt die Cultur Böhmens einen internationalen Charakter: deutsche,

' Da italienische Miniaturen eben nicht in grosser Zahl publicirt sind, so notire ich hier aus den paläographischen
Facsimilesammlungen einige charakteristische Stücke: Collezione Fiorentina I, t. 6 in der Laurenziana, um i326; ibid. III,
t. 26, Florenz, Archivio di stato: Statut der Calimala, um i3l7; ibid. t. i$, ebenda: Juridische Tractate um 1307 (hier die
charakteristischen Goldknöpfe). Monaci, Facsimili di ant. manoscr. II, 26: französ. Rolandslied, wohl in Oberitalien ge-
schrieben. Marciana, Venedig, Saec. XIV. Archivio paleografico italiano, t. 40: Rosarium des Guido di Baisio,
Saec. XIV. Paleographical Society, tab. 221: Rationale des Durandus, Saec. XIV; ibid. tab. 198: Ital. Lucan, um 1378.
Vgl. auch Beissel, Vaticanische Miniaturen, XXII: Bibel aus Neapel, Saec. XIV, mit merkwürdigen Drölerien.
 
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