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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 17.1896

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Giusto's Fresken in Padua und die Vorläufer der Stanza della Segnatura
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https://doi.org/10.11588/diglit.5904#0060
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Giusto's Fresken in Padua und die Vorläufer der Stanza della Segnatura.

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Diese Eintheilung der Wissenschaften, in dem das System der Facultäten bereits deutlich er-
kennbar ist, hat sich bis in die neue Zeit hinein, bis zu den Anfängen der modernen Philosophie er-
halten. Es lehrt dies unter Anderem eines der verbreitetsten und vielgelesensten encyklopädischen
Handbücher, die »Margarita philosophica« des Gregorius Reisch. Ihr Titelbild im Strassburger Druck
von 1504 (Fig. 10) gibt das ganze Programm. Die ersten sieben Bücher enthalten unverändert die alten
freien Künste, denen die Physik (Buch VIII und IX, Titelbild: Erschaffung Evas) mit den Principien
der Medicin (Buch X: De principiis animae
sensitivae, Titelbild: eine Wochenstube),
die Metaphysik (Buch XI: De principiis
animae intellectivae, Titelbild: Paradies,
Purgatorium, Höllenrachen), endlich die
Philosophia moralis (Buch XII) folgen.

Wir werden also die übrigen, höheren
Wissenschaften auf der rechten Seite suchen
müssen. Schon äusserlich ist an ihnen eine
Unterscheidung bemerklich. Vier1 der ihnen
zu Füssen sitzenden Männer haben Hei-
ligenscheine. Sie werden also die Vertreter
der theologischen Disciplinen sein.
Von den drei anderen sind die beiden
ersten als die Träger der höchsten irdischen
Gewalten, des Papst- und des Kaiserthums,
gekennzeichnet. Die gewöhnliche Deutung,
dass hier das weltliche und das canonische
Recht dargestellt sind, wird daher aufrecht
erhalten werden dürfen; die Attribute der
beiden allegorischen Gestalten sprechen da-
für: die eine trägt die Krone und die Welt-
kugel mit den Namen der drei Erdtheile;
die andere, wie die Fides der Ambraser
Handschrift, das Modell einer Kirche. Die
beiden Vertreter werden dann Papst Inno-
cenz IV., der »Summus jurista« der Kirche,

oder Gregor IX. (Vasari sagt: Clemens IV.) und Justinian,2 kenntlich an der den Italienern damaliger
Zeit wohlbekannten byzantinischen Tracht, sein.

Wir werden die beiden Rechte später noch auf den Wandgemälden eines norddeutschen Klosters
finden. Der Scientia moralis, der Jurisprudenz, folgt die Scientia naturalis, die Physik oder Medicin,
eine Scheibe haltend, auf der die Gestalt Gottes als Creator mundi, als Schöpfer der sichtbaren Erde
erscheint, ähnlich wie auf den Medaillons mit den sieben Schöpfungstagen in den Bibelminiaturen
dieser Zeit.3 Die Wahl dieses Attributes erklärt sich leicht, zumal wenn man sich der Eintheilung der
Physik nach den sieben Schöpfungstagen in den mittelalterlichen Encyklopädien erinnert. Der zu
Füssen seiner Wissenschaft sitzende Vertreter, eine ausdrucksvolle Gestalt, in einer Tracht, die wohl

Reisch's
Margarita
philosophica.

Fig. 10. Titelbild aus Reisch's »Margarita philosophica« (1504).

erste Wissenschaft, weil sie die Dinge in der ,prima causa' ansieht. Deshalb genügt ihr nicht das natürliche Licht
und sie bedarf des göttlichen Lichtes. Darum müssen vor dieser einen Wissenschaft alle anderen sich verdunkeln und
ihr den Platz einräumen.«

1 Da nach der Zahlenmystik des Mittelalters die Zahl Sieben in Drei und Vier aufzulösen ist, so verdient dieser
Umstand, schon der Parallele zu Trivium und Quadrivium halber, Beachtung.

2 Siehe oben den Cassone der Sammlung Wittgenstein.

3 Ein Beispiel (aus der Antwerpener Wcnzelsbibel) abgebildet in diesem .lahrbuche, Bd. XIV, Taf. XXII.
XVII. 7
 
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