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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 17.1896

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Abhandlungen
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List, Camillo: Wiener Goldschmiede und ihre Beziehungen zum kaiserlichen Hofe
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https://doi.org/10.11588/diglit.5904#0315
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292

Camillo List.

Meisterlisten betrachtet — derselbe schwankt zwischen 20 und 3o Meistern — und die Ausgaben des
Hofes an Wiener Goldschmiede in Betracht zieht, so bestärken alle diese Momente zusammengenommen
die früher ausgesprochene Meinung, dass Wien in Bezug auf die Leistungen seiner Goldschmiedezunft
den deutschen Centren dieses Kunsthandwerkes, Augsburg und Nürnberg, nicht um ein Bedeutendes
nachgestanden sein mochte. Nur sind wir leider eben nicht mehr in der Lage, die künstlerische und
technische Höhe der Zunft so zu würdigen wie bei den ebengenannten, da das Monumentenmaterial
ein unverhältnissmässig geringes ist.

Die älteste nachweisbare Wiener Goldschmiedearbeit der kaiserlichen Sammlung ist der auf
Taf. XX abgebildete Nautiluspokal (N. Inv., Nr. io63). Derselbe misst in der Höhe 278 Mm.; die Muschel
hat eine Länge von 158 Mm. und eine grösste Breite von 85 Mm. Die Fussplatte, aus getriebenem
Silber und vergoldet, ist am unteren Wulst mit Fischen, Schlangen, Wasservögeln, Muscheln, Alles im
Wasser befindlich, geziert. Hier sind noch Spuren von kaltem Email zu erkennen. Am untersten

des auf dem unteren dargestellten Gewässers vor, worauf sich Muscheln, Schlangen, Steine befinden.
Den Ständer bildet eine doppelgeschwänzte bekrönte Sirene mit einem Brustschmuck; die Anordnung
der Schwänze ist dieselbe wie bei den Wappen der Nürnberger Familie Rieter. Auch die Sirene ist
mit kaltem Email in Grün und Weiss bemalt; die Schwänze, die Haare, Krone und Brustschmuck
sind vergoldet. Das Figürchen ist in Silber gegossen. Die eigentliche Montirung der Muschel besteht
aus dem Mundrande und vier Spangen, von denen zwei am Kamm der Muschel, die zwei anderen an
der Wange derselben laufen. Sie vereinigen sich in eine ornamentirte Platte, die von der Krone der
Sirene getragen wird. Die längs des Kammes der Muschel laufenden Spangen sind einfach ornamentirt;
die beiden an den Wangen haben die Form von Pilastern mit je einer weiblichen Karyatide; die
letzteren sind kalt emaillirt. Die beiden seitlichen Spangen sowie die vordere, welche in Ringe tragende
kalt emaillirte Löwenköpfe endigen, sind am einfach ornamentirten, gleichfalls mit kaltem Email ge-
schmückten Mundrande befestigt. Dieser selbst lauft in einen Mascaron aus, der sich auf der Muschel-
schnecke befindet und mit der rückwärtigen Spange zusammenstösst. Die Bekrönung des Ganzen bildet
das 63 Mm. hohe silbergegossene, kalt emaillirte, in der Haltung an die Venus Euploia erinnernde
Figürchen der Fortuna, die auf einer in einer unten grün emaillirten Muschel befindlichen Kugel steht
und mit der Rechten das roth emaillirte, um sie wehende Segel hält. Auch an diesem Figürchen sind
die Haare vergoldet; ebenso die Kugel und die Innenseite der Muschel.

Die Muschel selbst ist mit phantastischen Vogelgestalten geziert und trägt an den beiden Seiten
je eine aus Silber gegossene, kalt emaillirte Schnecke mit vergoldetem Gehäuse; die an der (heraldisch)
rechten Seite befindlich gewesene Schnecke ist abgefallen; man sieht nur noch den Ausguss des silbernen
Gehäuses. Die die Ornamentation der Muschel bildenden Vogelgestalten haben in ihrer Stilistik etwas
so Fremdartiges, an orientalische Kunstübung Erinnerndes, dass die Vermuthung naheliegt, die Muschel
sei schon so ornamentirt in kaiserlichen Besitz gekommen und erst hier montirt worden. Die Ornamen-
tation ist in technischer Hinsicht so hergestellt, dass die Vogelgestalten in die äussere Schale ein-
geschnitten und der Grund dann weggeätzt wurde. In letzteren ist ein Schuppenmotiv ebenfalls mit
dem Stichel eingeritzt und mit Schwarzloth ausgerieben.

Es möge hier gestattet sein, einige Bemerkungen über die Nautilusmuschel und deren Verwen-
dung zu machen. Der Nautilus, den man zu den Trinkgefässen verwendete, wurde und wird im ost-
indischen Meere gefunden. Daher ist es wohl erklärlich, dass der Nautilus erst nach der Entdeckung
des Seeweges nach Ostindien im Kunstgewerbe auftaucht und wir keine Nautiluspokale aus früherer
Zeit besitzen; selbst das überaus reiche Inventar des Jean duc de Berry2 enthält keine Erwähnung des
Nautilus. Das im fernen Osten gefundene Product des Meeres ward im Westen für eine grosse Natur-

1 Hier in doppelter linearer Vergrösserung wiedergegeben.

2 Guiffrey Jul., Inventaires de Jean duc de Berry (1401 —1416), Paris 1894.

Rande des Fusses sind die Marken
 
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