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Heinrich Modern.
seiner Zeit auf die Wanderschaft, zog dann zuerst nach Augsburg, hierauf nach Nördlingen; aber der
Raum konnte doch keine trennende Schranke zwischen dem seinen Werken nach treuesten Schüler
und dem grössten aller deutschen Malermeister errichten. Dass Dürer seine beiden Schüler Hans
Schäufelein und Hans Baidung in freundlicher Erinnerung behielt, ist durch Notizen in den Tage-
büchern seiner niederländischen Reise bekannt.1 Dürer verkauft Holzschnittwerke Schäufelein's und
Grien's und verschenkt auch letztere. Thausing will in dem Verkaufe der Werke Schäufelein's nur
eine Handelssache sehen. Er widerspricht sich aber wenige Seiten später, indem er in dem Verkaufe
der Werke Grien's einen Ausfluss persönlicher Freundschaft erblickt. Es muss auffallen, dass Dürer
nebst seinen eigenen Kunstblättern nur die Werke
seiner zwei hervorragendsten Schüler zu Verkaufs-
zwecken mitnahm. Hiedurch wird letzteren gleich-
sam auch die künstlerische Approbation Dürer's er -
theilt. An hervorragenden deutschen Holzschnitt-
werken überhaupt war ja zu Beginn des dritten
Decenniums des XVI. Jahrhunderts kein Mangel.
Von Hans Baidung Grien, der verhältnissmässig
nur kurze Zeit Dürer's Lehre genoss, wissen wir,
dass er bis zu seinem Tode eine noch heute er-
haltene Haarlocke seines verschiedenen Meisters
verwahrte. Dagegen fehlt jede literarische Notiz,
die Schäufelein's Freundschaft und Verehrung für
Dürer bezeugte. Und doch hat Schäufelein dieser
ein schönes Monument gesetzt, an dem merkwür-
digerweise Generationen auf Generationen, ohne
es zu beachten, vorübergegangen sind. Im Ger-
manischen Museum zu Nürnberg (Katalog Nr. 225)
findet sich als Theil des grossen Christgartener
Altarwerkes »Die Befreiung Petri aus dem Kerker«.
Wie häufig bei Schäufelein, sind drei Episoden
dieser Geschichte zu einem Bilde vereinigt. Im
Vordergründe links steigt Petrus treppaufwärts aus
dem Kerker; ein bartloser Jüngling führt ihn und
hält ihn an der Hand. Im Vordergrunde rechts
nimmt eine vornehme Gestalt Petrus die Ketten
ab und drückt ihm die Hand. Im Mittelgrunde
begegnet Petrus Christus. Thieme schildert die
Gruppe des Vordergrundes rechts folgendermassen: »Den Mittelpunkt bildet die fesselnde prächtige
Gestalt Christi, wohl die edelste männliche Gestalt, welche Schäufelein überhaupt geschaffen hat.
Milder Ernst und freundliches Wohlwollen sind in diesen Zügen mit einem wirklich hoheitsvollen
Ausdruck gepaart« (Fig. 7, nach einer Photographie Höfele's). Die Deutung, die Thieme dieser Ge-
stalt gibt, ist sicher unrichtig. Christus konnte hier Schäufelein unmöglich vorstellen wollen, ohne in
einen argen Widerspruch zu verfallen. Wenn Christus im Vordergrunde Petrus die Ketten abnimmt
und ihm durch kräftigen Händedruck gewissermassen Glück auf die Fahrt wünscht, dann kann un-
mittelbar darauf, auf die Frage des Petrus: »Herr, wo gehst du hin?« Christus nicht die vorwurfsvolle
Antwort ertheilen: »Nach Rom, mich nochmals kreuzigen zu lassen.« Christus erscheint erst in der
dritten Episode im traditionellen Costüme und mit dem Nimbus. Der Befreier Petri im Vordergrunde
Fig. 7. Gruppe aus der Befreiung Petri (Dürer).
> Dürer's Briefe, Tagebücher und Reime, herausgegeben von Moriz Thausing, Wien, Braumüller, 1872, S. m,
226, n332, 229, 128 i5, 237.
Heinrich Modern.
seiner Zeit auf die Wanderschaft, zog dann zuerst nach Augsburg, hierauf nach Nördlingen; aber der
Raum konnte doch keine trennende Schranke zwischen dem seinen Werken nach treuesten Schüler
und dem grössten aller deutschen Malermeister errichten. Dass Dürer seine beiden Schüler Hans
Schäufelein und Hans Baidung in freundlicher Erinnerung behielt, ist durch Notizen in den Tage-
büchern seiner niederländischen Reise bekannt.1 Dürer verkauft Holzschnittwerke Schäufelein's und
Grien's und verschenkt auch letztere. Thausing will in dem Verkaufe der Werke Schäufelein's nur
eine Handelssache sehen. Er widerspricht sich aber wenige Seiten später, indem er in dem Verkaufe
der Werke Grien's einen Ausfluss persönlicher Freundschaft erblickt. Es muss auffallen, dass Dürer
nebst seinen eigenen Kunstblättern nur die Werke
seiner zwei hervorragendsten Schüler zu Verkaufs-
zwecken mitnahm. Hiedurch wird letzteren gleich-
sam auch die künstlerische Approbation Dürer's er -
theilt. An hervorragenden deutschen Holzschnitt-
werken überhaupt war ja zu Beginn des dritten
Decenniums des XVI. Jahrhunderts kein Mangel.
Von Hans Baidung Grien, der verhältnissmässig
nur kurze Zeit Dürer's Lehre genoss, wissen wir,
dass er bis zu seinem Tode eine noch heute er-
haltene Haarlocke seines verschiedenen Meisters
verwahrte. Dagegen fehlt jede literarische Notiz,
die Schäufelein's Freundschaft und Verehrung für
Dürer bezeugte. Und doch hat Schäufelein dieser
ein schönes Monument gesetzt, an dem merkwür-
digerweise Generationen auf Generationen, ohne
es zu beachten, vorübergegangen sind. Im Ger-
manischen Museum zu Nürnberg (Katalog Nr. 225)
findet sich als Theil des grossen Christgartener
Altarwerkes »Die Befreiung Petri aus dem Kerker«.
Wie häufig bei Schäufelein, sind drei Episoden
dieser Geschichte zu einem Bilde vereinigt. Im
Vordergründe links steigt Petrus treppaufwärts aus
dem Kerker; ein bartloser Jüngling führt ihn und
hält ihn an der Hand. Im Vordergrunde rechts
nimmt eine vornehme Gestalt Petrus die Ketten
ab und drückt ihm die Hand. Im Mittelgrunde
begegnet Petrus Christus. Thieme schildert die
Gruppe des Vordergrundes rechts folgendermassen: »Den Mittelpunkt bildet die fesselnde prächtige
Gestalt Christi, wohl die edelste männliche Gestalt, welche Schäufelein überhaupt geschaffen hat.
Milder Ernst und freundliches Wohlwollen sind in diesen Zügen mit einem wirklich hoheitsvollen
Ausdruck gepaart« (Fig. 7, nach einer Photographie Höfele's). Die Deutung, die Thieme dieser Ge-
stalt gibt, ist sicher unrichtig. Christus konnte hier Schäufelein unmöglich vorstellen wollen, ohne in
einen argen Widerspruch zu verfallen. Wenn Christus im Vordergrunde Petrus die Ketten abnimmt
und ihm durch kräftigen Händedruck gewissermassen Glück auf die Fahrt wünscht, dann kann un-
mittelbar darauf, auf die Frage des Petrus: »Herr, wo gehst du hin?« Christus nicht die vorwurfsvolle
Antwort ertheilen: »Nach Rom, mich nochmals kreuzigen zu lassen.« Christus erscheint erst in der
dritten Episode im traditionellen Costüme und mit dem Nimbus. Der Befreier Petri im Vordergrunde
Fig. 7. Gruppe aus der Befreiung Petri (Dürer).
> Dürer's Briefe, Tagebücher und Reime, herausgegeben von Moriz Thausing, Wien, Braumüller, 1872, S. m,
226, n332, 229, 128 i5, 237.