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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 17.1896

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Abhandlungen
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Modern, Heinrich: Der Mömpelgartner Flügelaltar des Hans Leonhard Schäufelein und der Meister von Messkirch
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https://doi.org/10.11588/diglit.5904#0436
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Der Mömpelgarter Flügelaltar des Hans Leonhard Schäufelein und der Meister von Messkirch.

3g3

Mömpelgarter Flügelaltars: »Christus bei Martha« (Taf. XXXIII). Die feststehenden Seitenflügel mit
dem ergreifenden »Abschied Christi von Maria« und der »Gefangennehmung Christi« variiren bekannte
Compositionen Schäufelein's, das stimmungsvolle Nachtbild der »Gefangennehmung«, vom abnehmen-
den Monde und von Fackeln erhellt, mit den Lichtreflexen auf den Eisenrüstungen die gleiche Dar-
stellung im Mömpelgarter Flügelaltare. Auf den beweglichen Flügeln befinden sich an der Aussenseite
die Bildnisse der Stifter Gottfried Werner von Zimmern und dessen Gattin Apollonia, im Gebete
knieend, mit ihren Wappen, auf der Innenseite auf beiden Flügeln »Christus am
Oelberge«. Das Ehepaar Zimmern kniet vor einem cassettirten Rundbogen, der
auf eigenartigen, am Fusse anschwellenden, mit einem Blattkranze umgebenen
und aus Vasen herauswachsenden Säulen ruht. Den Hintergrund bildet bei dem
Grafen Gottfried eine Terrasse, auf welcher sich ein allseitig offenes, freistehen-
des Kreuzgewölbe erhebt, bei Gräfin Apollonia ein Renaissancethurm. Säulen,
die aus Vasen herauswachsen, finden sich im Oettinger Gebetbuche, wiederholt
auch Säulen, die am Fusse mit einem Blattkranze umgeben sind.1 Die Archi-
tekturen des Hintergrundes aber sind nicht Schäufelein's Erfindung. Sie sind
getreu zwei Planetenbildern des Hans Sebald Beham entnommen, die Architek- Architektonisches Detail,
tur auf dem Bilde des Stifters aus »Venus« (P. 187), die Architektur auf dem

Bilde der Stifterin aus »Sol« (P. 181).2 Es dürfte nicht überflüssig sein, daran zu erinnern, dass Schäu-
felein dieselben Planetenholzschnitte des Hans Sebald Beham auch für seine Planetenbilder im Oet-
tinger Gebetbuche benützt hat. Wie sehr aber derartige entlehnte Motive in des Künstlers Fleisch und
Blut übergingen, gewissermassen zu seinem Formenschatze wurden, zeigen folgende Beispiele. Die
Umrahmung des Stifterbildes des Grafen Karl Wolfgang von Oeningen baut sich aus denselben archi-
tektonischen Elementen auf wie das oberste Geschoss und das Dach des Thurmes auf dem Stifter-
bildnisse der Gräfin Apollonia von Zimmern (Fig. 26, zu
vergleichen mit Fig. 8); nur ein kleines Zwischenglied ist
behufs Unterbringung der Inschrifttafel eingeschoben. Die
Beham'sche Composition des »Planeten« Luna ist das Vor-
bild zur Composition des »Triumphes der Religion« (vgl.
Fig. 5, S. 352 mit Fig. 3, S. 344).

Ergreifend und von grosser Wirkung ist das Bild des
Christus am Oelberge auf der Innenseite der beiden Flügel.
Aufschreiend und mit emporgestreckten Händen sieht Chri-
stus der Erscheinung des Engels mit den Leidenswerk-
zeugen entgegen; das Dunkel ist durch die Lichterschei-
nung des Engels erhellt; am Horizonte verrathen Licht-
streifen die nahende Sonne; im Vordergrunde links schlafen Fig- 2?m Petrus vom wüdensteiner Marienaltare.
Johannes und Jacobus. Auf dem linken Flügel liegt rechts

im Vordergrunde der schlafende Petrus. Vom Hintergrunde windet sich ein Weg neben einem Gebirgs-
bache von links nach rechts, dann im Mittelgrunde von rechts nach links, wo über den Bach eine
Brücke führt. Auf diesem langen Wege zieht die Schaar der Häscher, geführt von Judas und einem:
Schelm mit der wohlbekannten tiefeingesattelten Stumpfnase. Auf dem Gipfel des Hügels im Hinter-
grunde rechts liegt in einem Laubwäldchen das vielgenannte Schwarzwaldhaus mit einem Gartenzaune,
vom Monde mit Silberlicht bestrahlt. Das im idyllischen Frieden, im zauberhaften Mondlichte liegende
Landhaus bietet einen wirksamen Contrast zu der auf dem Hohlwege im nächtlichen Dunkel zu un-
heilvollem Thun heranziehenden Armee von Schergen. Zugleich genügt das einfache Holzhaus, um

■ Vgl. z. B. Fig. 3, 9, 10, 16, 31 und »das grosse Abendmahl«, B. 26.

2 Der verstorbene Inspector der fürstlich Fürstenbergischen Galerie in Donaueschingen, Herr Frank, soll, wie mir
mitgethcilt wurde, diese Uebereinstimmung schon vor Jahren festgestellt haben, hat hierüber aber nichts veröffentlicht.
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