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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0020
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

15

Die Ueberlieferung fiel der Malerei zu. Als die altchristliche Kunst das Dunkel der Katakomben
verliess und monumentale Aufgaben an sie herantraten, nahm sie, was von antiker Kunst noch übrig
war, in sich auf. Gegenstand und Inhalt hatten sich geändert, nicht die Formensprache. Die Land-
schaftsmalerei wurde von dem Umschwünge nicht betroffen; nur der allgemeine Verfall des künst-
lerischen Darstellungsvermögens zog auch sie in Mitleidenschaft.

Die Reste altchristlicher Malerei, die sich erhalten haben, lassen grosse Lücken beklagen. Arbeiten
des IV. Jahrhunderts, an denen man den unmittelbaren Uebergang von antiken zu christlichen
Stoffen, das Ausmaass der Landschaft und ihre Vorbilder erkennen könnte, sind spärlich.1 Erst vom
V. Jahrhundert an besitzen wir Denkmäler genug, um die Richtungen der Entwicklung im Grossen
zu kennzeichnen, während über den Antheil der localen Kunstschulen kein sicheres Urtheil zu ge-
winnen ist.

Die Werke, die wir zusammenfassend betrachten wollen, sind in erster Linie die Mosaiken, welche
die Basiliken von Rom und Ravenna schmücken; ferner die Miniaturen geistlicher Handschriften, zu
deren Ergänzung die Illustrationen der beiden Vergilcodices der Vaticana wie die Ilias der Ambrosiana,
ungeachtet ihres profanen Inhaltes, herangezogen werden dürfen. Nach dem Verhältnis ihrer Land-
schaften zur antiken Malerei zerfallen sie in zwei Gruppen: die einen2 suchen von dem römischen Illu-
sionismus in Farben-und Raumbehandlung so viel als möglich zu erhalten, die anderen3 beschränken
das localbezeichnende Beiwerk und zwängen es in eine Reihe ständiger Typen.

Von den Werken der ersten Gruppe antikisirt jedes auf besondere Weise. Keines von ihnen
»schliesst sich der späteren Antike ... so genau in Composition und Empfindung an«4 wie der Pariser
Psalter.5 Die anspruchslosen Motive der Landschaften könnten pompejanischen Gemälden entnommen
sein. Die kräftig modellirten Felsen des Vordergrundes, die sich gut vertiefen, heben sich von den in
Weiss und Blau duftig abgetönten Hügeln und den zart angedeuteten Gebäuden der Ferne ab. Die
Luftperspective ist wohl beobachtet, die Luft erglänzt auf einem Blatte in Abendbeleuchtung oder ist
mit weissen Wolken bedeckt. Der architektonische Hintergrund auf der »Salbung Davids« besteht aus
plumpen Säulen mit schweren ungegliederten, wie aus Balken gezimmerten Architraven und Bogen,
die ähnlich auf Miniaturen des Wiener Dioscorides6 wiederkehren.

Die Hintergründe der Mosaiken von Santa Maria Maggiore, der Wiener Genesis, der Josuarolle
und der beiden Vergilhandschriften sind dagegen schon von jenem Mischstile durchsetzt, der sich in
der römischen Reichskunst des II. und III. Jahrhunderts unter starker Einwirkung der Triumphalreliefs
ausgebildet hatte. Das Streben nach handgreiflicher Raumwirkung, die völlig zuchtlose Perspective
sind allen diesen Werken gemeinsam: aber auf jedem wird eine andere Auswahl aus dem landläufigen
Formenschatze der antiken Landschaftsdarstellung getroffen. Am reichsten sind die Hintergründe auf
den Miniaturen des künstlerisch unbedeutenden Vergilcodex (Vat. 3225)7 mit antiken Motiven ausgestattet.

1 Copien römischer Gemälde sind die Flussstreifen mit den fischenden und vogelstellenden Amorinen auf den Mosaiken
von San Giovanni in Laterano (Wickhoff, a. a. O., S. 85 ff.) und Santa Costanza (nach der Aquarellcopie des Francesco d' Ollanda
bei Garrucci, tav. 204, 4). Auf dem Hintergrunde des Mosaiks von Santa Pudenziana hat man die Abbildung einer be-
stimmten Localität, des vicus patricius, erblicken wollen: Ainaloff (Golgatha und Kreuz in einem Mosaik des III. Jahrhunderts,
cit. von Dobbert, Repertorium XXI [1899], S. i3) sieht hier den Golgathahügel mit dem daraufstehenden Kreuze und die con-
stantinischen Bauten in Jerusalem. Es sind wohl nur schematische Gebäude wie auf den Triumphbogenmosaiken von Santa
Maria Maggiore dargestellt.

2 Psalter, Paris, Bibl. Nat., Nr. 139; Mosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom; Wiener Genesis; Josuarotulus; Vergil,
Vaticana, Nr. 3225 und Nr. 3867. Ueber die Ilias der Ambrosiana vgl. Woermann, a. a. O., S. 293. Die jüngst veröffentlichten
Italaminiaturen enthalten kaum erkenntliche Reste verwandter landschaftlicher Hintergründe.

3 Mosaiken: Ravenna, Grabmal der Galla Placidia, San Apollinare Nuovo, San Vitale, San Apollinare in Classe. Rom,
Santa Maria Maggiore, Triumphbogen, die Mosaiken, welche die Triumphbogen und Apsiden der übrigen altchristlichen
Kirchen Roms schmücken. Miniaturen: Codex Rossanensis, syrische Bibel, Kosmas.

* Wickhoff, Ueber die Ornamente eines altchristlichen Codex, Jahrbuch der kunsthistor. Sammlungen des Allerh. Kaiser-
hauses XIV, 199.

5 Tikkanen, Die Psalterillustration im Mittelalter, Bd. I, S. 112 ff.

6 Abb. bei d'Agincourt, Peinture, pl. XXVI.

7 Abb. bei Wickhoff, a. a. O., S. 95, Taf. E; d'Agincourt, Peinture, pl. XX—XXV.
 
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